Krankenhaus-Krise: Outsourcen bis zum Umfallen

Das Jüdische Krankenhaus in Wedding kündigt 80 Mitarbeitenden – trotz Unterbesetzung. Die Belegschaft fürchtet eine noch stärkere Belastung.

Gibt es noch mehr Entlassungen, fährt hier bald nix mehr: Das Jüdische Krankenhaus im Wedding Foto: dpa | Sebastian Gollnow

BERLIN taz | Auch Berlin bleibt von der Krankenhauskrise nicht verschont. Am Montag kündigte die Geschäftsleitung des Jüdischen Krankenhauses Berlin (JKB) in Wedding an, massiv Personal abzubauen. Betroffen sind die rund 80 Pfle­ge­hel­fe­r:in­nen ohne Berufsqualifikation, die bislang die ausgebildeten Fachkräfte bei der Patientenbetreuung unterstützen und Serviceaufgaben übernehmen.

„Zu Beginn dieses Jahres hat sich unsere wirtschaftliche Situation abrupt und bedrohlich verschlechtert, sodass wir einen Sanierungsplan verfolgen müssen“, begründet die kaufmännische Direktorin Brit Ismer den Schritt am Montagnachmittag.

Hintergrund ist das Inkrafttreten des 2022 beschlossenen Gesetzliche-Krankenkassen-Stabilisierungsgesetztes zum Anfang des Jahres. Das Bundesgesetz regelt die Finanzierung von Pflegekräften neu. Demnach fließen nur noch Pfleger:innen, die eine Ausbildung abgeschlossen haben, in die Berechnung der Budgets ein.

Wie viele andere Häuser hatte das JKB in den letzten Jahren aufgrund des anhaltenden Fachkräftemangels verstärkt auf ungelernte Assistenzkräfte gesetzt, die die Pfle­ge­r:in­nen mit abgeschlossener Berufsausbildung bei der Patientenbetreuung unterstützen. Ebenso sind die ungelernten Kräfte derzeit verantwortlich für Essensverteilung, Reinigung und weitere Serviceaufgaben. Laut Verdi machen die rund 80 zu entlassenden Mit­ar­bei­te­r:in­nen 20 Prozent des gesamten Pflegepersonals aus.

Outsourcing und Neueinstellungen

Kompensieren will das JKB diesen Ausfall durch Outsourcing an externe Dienstleister. Laut einem internen Rundschreiben, dass der taz vorliegt, erhofft sich das JKB eine jährliche Ersparnis in sechsstelliger Höhe. Die Unterstützung bei der Pflege sollen hingegen wieder examinierte Pfle­ge­fach­as­sis­ten­t:in­nen übernehmen, die eine 18-monatige Ausbildung absolviert haben. Diese müssten aber erst neu eingestellt werden. Den Servicekräften empfahl die Geschäftsführung, sich bei dem externen Dienstleister zu bewerben oder Ausbildung anzufangen. Laut JKB soll es bei dem Schritt weder zu einer Verschlechterung der Versorgung noch zu einer Mehrbelastung für den Rest der Belegschaft kommen sollen.

„Da wird verstärkt Arbeit liegen bleiben“, fürchtet hingegen Gisela Neunhöffer. Die Verdi Gewerkschaftssekretärin hält es für wenig wahrscheinlich, dass das JKB so kurzfristig geeignete Fachkräfte finden kann. Es seien jetzt schon Stellen offen, die nicht belegt werden können, am Ende müssten die ohnehin schon überlasteten Pfle­ge­r:in­nen die Aufgaben übernehmen.

Erst im Januar hatten die Belegschaft erfolgreich einen Entlastungstarifvertrag erkämpft, der die Arbeitsbedingungen verbessern sollte. Im Kern geht es um einen deutlich verbesserten Personalschlüssel und ein Kompensationssystem, das Ausgleich in Form von Ausgleichstagen oder Bonuszahlen bietet. Derzeit befindet sich Verdi mit der Geschäftsführung in Verhandlungen, die durch den Personalabbau noch weiter erschwert würden, kritisiert Verdi.

Auch zweifelt Verdi daran, dass tatsächlich soviel Geld durch das Outsourcing eingespart werden könne, schließlich müsste dafür bei den externen Dienstleistern deutlich weniger gezahlt und der Personalumfang deutlich verringert werden. „Ein Sparkurs auf dem Rücken dringend benötigter Beschäftigter ist keine Lösung“, resümiert Neunhöffer.

Krankenhäuser in der Krise

Eigentlich konnte der Trend zum Outsourcing in den letzten Jahren infolge gewerkschaftlichen Drucks umgekehrt werden. Bei Vivantes und Charité hat es die Wiedereingliederung des Servicepersonals in den Koalitionsvertrag geschafft.

In den 2000ern lagerten die landeseigenen Unternehmen Serviceaufgaben in Tochterunternehmen mit deutlich schlechterer Bezahlung aus. Mit der Umsetzung lässt sich der Senat allerdings Zeit.

Das JKB ist nicht das einzige strauchelnde Krankenhaus. Laut einer im Juli veröffentlichten brancheninternen Umfrage schreiben bundesweit 70 Prozent der Häuser rote Zahlen. Gründe sind neben den Folgen von Inflation und Pandemie das derzeitige Finanzierungssystem. Gesundheitsminister Karl Lauterbach verspricht mit seiner Krankenhausreform Besserung, wann das Reformpaket kommt und welche Auswirkungen es hat, ist allerdings noch komplett ungewiss.

„Keiner weiß, wie in zwei Jahren Krankenhäuser finanziert werden. Da ist der Senat in der Verantwortung, Sicherheit zu gewährleisten“, fordert der Linken-Gesundheitspolitiker Tobias Schulze.

Senat in der Verantwortung

Träger des einzigen jüdischen Krankenhauses in Deutschland ist eine gemeinnützige Stiftung, in dessen Aufsichtsrat auch das Land sitzt. Deshalb sei Berlin auch in der Pflicht, sich für den Erhalt des Hauses einzusetzen, so Schulze. Derzeit greift der Senat nur den landeseigenen Unternehmen unter die Arme.

Möglich wären verschiedene Wege, zum Beispiel eine finanzielle Entlastung durch die Bereitstellung höherer Investitionsmittel. Zuletzt hatte das JKB einen Neubau überwiegend aus eigenen Betriebsmitteln investiert und dabei dringend benötigte Rücklagen aufgebraucht.

Auch sei ein „Fonds für gute Arbeit“, wie auch Verdi ihn fordert, denkbar, so Schulze. Krankenhäuser wie das JKB, die mit Entlastungstarifverträgen für bessere Arbeitsbedingungen sorgen, könnten entsprechend belohnt werden. „Wir brauchen Finanzierungsinstrumente, die für alle offen sind“, fordert Schulze.

Auf taz-Anfrage schließt die Senatsverwaltung für Gesundheit solche Schritte aus. Eine gesonderte Finanzierung würde „außerhalb der Zuständigkeit und rechtlichen Einwirkungsmöglichkeit des Landes Berlin liegen“, so ein Sprecher am Dienstag. Es sieht so aus, als würden bald nicht nur die Beschäftigten des JKB um ihre Arbeitsplätze bangen müssen.

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