berliner szenen Das Alphabet der Stadt

F wie Friedrichshain

Sonntag, 15 Uhr, Boxhagener Platz: Flohmarkt. Ein Schäferhund apportiert ein Stöckchen, das Herrchen schleppt ein Sperrholzregal. Zwei Mädchen diskutieren über den Erwerb eines Tulpenbaums. Ein Standbetreiber beklagt sich über den Umsatz, von Neuwahlen kann er noch nichts ahnen. Ächzend nimmt er die Baseballkappe ab und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Eine Lampe soll sieben Euro kosten, nach kurzem Handel gibt er sich mit fünf zufrieden.

Zur selben Zeit auf der Rigaer Straße: Eine Apotheke bietet eine „Happy Hour“ an. 10 Prozent Preisnachlass auf alle rezeptfreien Medikamente. Von 14 bis 15 Uhr. Sonntags geschlossen. Ein Passant wird von einer Gähnattacke ereilt, er hält sich an einer Straßenlampe fest und nimmt seinen Mantelkragen vor den Mund. Eine junge Frau steht auf ihrem Balkon und telefoniert. Irgendwo bellt ein Hund.

Später an der Grünberger Straße: Ein irrer Graupelschauer geht los. Alles flüchtet sich in die nächstbesten Unterstände. Im „Plusminusnull“, einem Kaffeehaus für schicke Studenten, wuseln nicht weniger als fünf Bedienstete hinter den Tresen herum. Einer von ihnen trägt ein Nationalmannschaftstrikot. Eine andere schleppt eine übertrieben große Geldbörse durch die Räume. Der Rest ist äußerlich nicht als Servierkraft auszumachen. Was nichts macht, weil ohnehin nicht viel los ist.

Zur selben Zeit am Bersarinplatz: Ein Punk fummelt an seinen Ohrstöpseln, er nennt einen MP3-Player sein Eigen. Böser Seitenblick, dann braust ein Taxi mit überlanger Funkantenne vorbei. Die Antenne baumelt bis auf die Straße herunter. Endlich kommt die neue M10, die sich nicht wesentlich von der alten Linie 20 unterscheidet. Berlin verändert sich. RENÉ HAMANN