der rote faden
: Friedhöfe können schön sein, aber nur im Frieden

Foto: Polina Eremenko

Durch die Woche mit Jannik Grimmbacher

Ich streife gern über Friedhöfe. Das ist kein Ausdruck morbider Züge. Vielmehr haben Friedhöfe etwas Hoffnungsvolles, Tröstendes an sich. Zu sehen, wie etwas aus dieser vermeintlichen Endstation wächst und blüht und wie sich Angehörige dieser weltlichen Ersatzkörperschaften annehmen, sie pflegen und gießen, all das nährt eine Art Urvertrauen in die Menschen um mich herum. Außerdem entdecke ich hier oft Unverhofftes. In dieser Woche zum Beispiel in Berlin-Friedenau das Grab von Marlene Dietrich („Hier steh ich an den Marken meiner Tage“), oder zwei Parzellen weiter das des Fotografen Helmut Newton (kein Text, nur ein schwarzer Stein mit einem Loch in der Mitte – eine Lochkamera).

Dass Friedhöfe Hoffnung geben können, ist sicher auch ein Privileg. Es gibt Orte, da würde ich gerade lieber keinen Streifzug um die Totengräber machen. In der Ukraine zum Beispiel, auch in Russland, Sudan, Myanmar, Israel und im Gazastreifen sowieso. Dem Sterben in Letzterem ein Ende setzen zu wollen, ist aus unerfindlichen Gründen unpopulär; westliche Regierungen wie Deutschland bemühen sich zwar um diplomatische Lösungen, scheuen sich aber, die Regierung Netanjahus wirkungsvoll unter Druck zu setzen. Diesem Umstand wollten Ak­ti­vis­t*in­nen in den USA ein Ende setzen, indem sie vor dem Parteitag der Demokraten protestierten und „ihrer“ Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris die Loyalität verweigern. Sicherlich gibt es vieles am US-Ableger zu kritisieren, aber die Pro-Palästina-Bewegung ist die einzige Bewegung außerhalb Israels, die sich für ein Ende des allzu einseitigen Sterbens im Nahen Osten einsetzt. Ihr Druck auf die Demokraten ist wichtig. Gleichzeitig muss allen klar sein, dass ein Präsident Donald Trump das Schlimmste ist, was der Region passieren könnte.

Marlene

Harris ritt auf dem Parteitag ihre erste Euphorie-Welle und machte damit allen Zweifler*innen, die nach Hillary Clintons Niederlage vor wenigen Jahren noch meinten, der Grund dafür sei das Aufstellen einer Frau als Kandidatin gewesen, klar, dass sie falsch lagen.

Loyalitätsverweigerung

Grabesstimmung herrscht dagegen in der deutschen Politik, genauer, in der Regierungskoalition. In der irischen Mythologie gibt es die Figur der Banshee, eine Todesfee, die den baldigen Tod einer Person ankündigt. Die Banshee selbst trifft dabei keine Schuld, sie ist lediglich die Überbringerin der Nachricht. Mehr noch: Dank ihrer rechtzeitigen Warnung haben die Angehörigen genug Zeit, sich zu verabschieden und Vorbereitungen zu treffen.

Banshee of Sommerinterview

Kleister

Als Banshee der Ampelkoalition trat diese Woche Grünen-Vorsitzender Omid Nouripour im ZDF-Sommerinterview auf. Er zeichnete ein hoffnungsloses Bild der Ampel-Regierung, die er „Übergangsregierung“ nannte. Übergang in den Untergang? So nah am Koalitionsbruch wie in dieser Woche schien die Ampel noch nie; die ewige Pfennigfuchserei des Finanzministeriums im Haushaltsstreit trieb sie dorthin. Und nicht nur das: Kurz vor der Wahl in Thüringen muss sogar die SPD um den Einzug in den Landtag bangen – ganz zu schweigen von ihren beiden Juniorpartnern. Wie die Banshee trifft auch Nouripour und die Grünen nicht die Schuld. Zumindest nicht die Hauptschuld. Es ist die FDP, an der die meisten klima-, sozial- und wirtschaftspolitischen Vorhaben der Regierung scheitern. Aber gerade diese „harten“ Themen sind es, in denen die Politik die entscheidenden Weichen stellen muss.

Als die Ampel einst antrat, vermittelte sie den Eindruck, die Differenzen könnten überbrückt werden, indem man sich auf „weiche“ Themen konzentriert. Die vergleichsweise progressiven Positionen in gesellschaft­lichen Themen sollten der Kleister der Koalitionäre werden. Knapp drei Jahre später ist davon nicht viel übrig. Der Paragraf 218 steht noch immer im Strafgesetzbuch. In dieser Woche ging die FDP dann doch noch eines dieser vielversprechenden Ampelthemen an: die Kriminalisierung der Eizellspende endlich abzuschaffen. Vielleicht hat die Koalition ja doch noch nicht fertig. Und vielleicht findet sich dann sogar die ein oder andere Person, die am Ende ihre Blumen gießt.

Nächste Woche: Silke Mertins