Brandenburg, mon amour

Unser Autor lädt seine Berliner Freunde zu einer Geburtstagswanderung in seine neue Heimat Brandenburg ein. Die Sorge eines Clashs der Milieus mit den Leuten vor Ort stellt sich als unbegründet heraus. Eine Liebeserklärung an Brandenburg

Die Uckermark in Brandenburg im Sommer Foto: © Rene Zieger/Ostkreuz – Agentur der Fotografe

Von Uwe Rada

Meinen sechzigsten Geburtstag habe ich nicht in Berlin gefeiert, sondern in Brandenburg. Es war ein Herzenswunsch. Ein bisschen nervös war ich dennoch. Ich hatte zu einer Geburtstagswanderung ins Schlaubetal eingeladen, Brandenburgs schönstes Bachtal. Wie würden meine Freundinnen und Freunde aus Berlin auf die aus der Brandenburger Heimat reagieren und umgekehrt? Würden an diesem Tag die gängigen Klischees bekräftigt oder entkräftet werden?

Seit meine Frau 2018 die Leitung des Naturparks Schlaubetal im Osten des Landes übernommen hat, verbringe ich mehr Zeit in unserem Brandenburger Wohnsitz in Grunow als in Berlin. Auch meine Themen finde ich inzwischen öfter in der Mark als in der Metropole. Es sind andere Themen als die, die die Berliner beschäftigen, wenn sie über das Nachbarland sprechen und schreiben.

Als mir gleich nach unserer Ankunft ein Nachbar vom Torfabbau in Grunow erzählte, habe ich angefangen, mich mit dem Verhältnis von Geschichte und Landschaft zu beschäftigen. Später kam das Thema Wald dazu. Es waren Vorarbeiten für mein Buch „Sieh­dich­um. Annäherungen an eine brandenburgische Landschaft“. Seitdem werde ich immer wieder zu Lesungen in den Dörfern eingeladen. Die für mich berührendste Rückmeldung war die, dass ich mit diesem Porträt der Region die Menschen literarisch beheimate – und das als Fremder.

Die AfD interessiert mich weniger. Vielleicht deshalb, weil es Themen gibt, die wichtiger sind. Warum wird die neue Busverbindung so wenig genutzt? Ist das Totholz, das in den Kiefernforsten liegen bleibt, Brandbeschleuniger oder hilft es bei der Naturverjüngung? War es wirklich ein Wolf, der dem Weidehalter ein Schaf gerissen hat? Geredet wird über diese Themen beim Osterfeuer, nach dem Konzert in der Kirche oder im Bauwagen, dem provisorischen Sitz eines Landvereins im Nachbardorf. Es sind Themen, die die Menschen bewegen. Strittige Themen, denen keiner aus dem Weg geht. Ich bin mir sicher, dass bei diesen Gesprächen auch Wählerinnen und Wähler der Grünen mit denen der AfD sprechen.

Ja, es gibt den Gegensatz zwischen Stadt und Land. Und so herablassend wie viele Städter aufs Land schauen, gucken die vom Land zurück. Aber es gibt auch die, die Brücken schlagen. Die Raumpioniere, die alte Gebäude nicht nur mit neuem Leben füllen, sondern auch Arbeit mit aufs Land bringen. Die Menschen, die neue Wege in der Landwirtschaft gehen. Das „Netzwerk Zukunftsorte“ ist auch ein Atlas, der zeigt, wie selbstbewusst der „ländliche Raum“ inzwischen ist und wie zukunftsorientiert.

Wird die Zukunft auf dem Land gemacht? Seit Corona spricht einiges dafür. Noch aber macht das Morgen vielen Angst. Doch das Gestern kommt nicht wieder. Nicht nur große Umwälzungen wie der Strukturwandel in der Lausitz sind deshalb beispielgebend, sondern auch kleine wie die solidarische Landwirtschaft, von der wir das Gemüse beziehen.

Was viele Menschen übrigens am Populismus stört: Er sucht nicht nach Lösungen, sondern macht nur schlecht. Die Menschen, die ich kennengelernt habe, wollen Lösungen, keine Ideologie. Zu diesen Lösungen gehört auch die Frage, wie die Kommunen die wachsende Zuwanderung bewältigen sollen. Für mich, als ehemaligen Autonomen und Verfechter offener Grenzen, war dieser Lernprozess nicht einfach.

Meine Geburtstagswanderung führte die Gäste aus Berlin und meine Nachbarn entlang der Schlaube nach Müllrose. Dort, am Campingplatz, wurden wir mit Sekt empfangen. Ich kenne die Dauercamper. Sie kommen aus Eisenhüttenstadt oder Frankfurt (Oder) und lieben das Schlaubetal wie ich. Immer wieder werde ich dort zu Lesungen eingeladen. Nun gab es als Dankeschön den Sektempfang. Gleichzeitig fand auf dem Platz das Sommerfest als Pyjamaparty statt.

Zum Clash der Milieus kam es übrigens nicht. Meine Freunde aus Berlin amüsierten sich köstlich mit den Dauercampern. Fast hatte ich den Eindruck, als würden sie es genießen, für einen Tag aus der Berliner Blase rauszukommen und in eine andere Realität einzutauchen.

Uwe Rada,taz-Redakteur und Autor zahreicher Bücher, veröffentliche u. a. voriges Jahr „Morgenland Brandenburg“. Er ist auf dem taz Panter Ost Forum in Cottbus gegen 17.30 Uhr am „Küchentisch“ zu Gast – und liest aus seinen Geschichten vor.