Wie vereinigen wir uns (wieder)?

Kaum tauchen Themen wie Klimakrise, Migration oder queere Identität in den sozialen Medien auf, schon brodelt es in den Kommentarspalten. Wie bringen wir Menschen wieder zusammen? Eine Handlungsempfehlung

„Respekt für alle“ steht auf einem Plakat: Während der Proteste am Leipziger Hauptbahnhof Ende Januar nach der Veröffentlichung der Correctiv-Recherche zur AfD Foto: Timo Krügener

Von Johannes Rachner

Queere Identitäten, Klimakrise, Migration: Die Fronten scheinen sich schnell zu verhärten. Glaubt man den Social-Media-Diskussionen, scheint das Land politisch gespalten zu sein. Aber ist das wirklich so?

In diesem Kontext unterscheiden Kommunikationswissenschaftler oft zwischen Fragmentierung und Polarisierung. Bei der Fragmentierung teilen sich Nutzer in kleinere Interessengruppen auf, während Polarisierung bedeutet, dass sich Menschen an entgegengesetzte Pole eines Meinungsspektrums bewegen. „Der aktuelle Forschungsstand zeigt jedoch, dass diese Phänomene oft überschätzt werden“, sagt Anna Sophie Kümpel, Juniorprofessorin für digitale und soziale Medien an der Technischen Universität Dresden.

„Der aktuelle Forschungsstand geht aber davon aus, dass die Gefahren dieser Phänomene überschätzt werden“, so Kümpel. Tatsächlich kommen Analysen der letzten Jahre zu dem Ergebnis, dass es Themen gibt, in denen sich die Meinungen der Menschen in Deutschland unterscheiden, bei den wenigsten kommt es aber zu zwei gespaltenen Lagern. Gespalten wirken die Kommentarspalten aber trotzdem. Anna Sophie Kümpel erklärt das wie folgt: „Gerade das, was polarisiert und eine starke Meinung ist, ruft viel Interaktion hervor, wodurch diese Inhalte prominenter angezeigt werden.“

Obwohl die Polarisierung in den sozialen Medien die Realität verzerrt, scheint sie dennoch eine aufgeheizte politische Stimmung im Land, speziell im Osten, widerzuspiegeln. Besonders deutlich wurde dies bei der Europawahl, wo die Wahlergebnisse einzelner Parteien stark variierten. In Städten wie Leipzig oder Dresden lagen sie zum Beispiel teils um 20 Prozent höher als in ländlichen Wahlkreisen wie Görlitz, Bautzen oder Nordsachsen.

„Wir sind gerade in einer Gesellschaft, die mit Überalterung, Männerüberschuss sowie einem von Zuwanderung abhängigen Arbeitsmarkt kämpft, und gleichzeitig von Abwanderung geprägt ist“, fasst Alexander Prinz zusammen. Der Autor, Unternehmer und Webvideoproduzent aus Halle setzt sich in seinen Videoessays für das öffentlich-rechtliche Jugendangebot funk immer wieder mit den Herausforderungen, denen Ostdeutsche gegenüberstehen, und ihrem Umgang damit auseinander. Was Prinz hier beschreibt, zeigt sich auch in einer im April veröffentlichen Studie der Bertelsmann Stiftung: Bis 2040 soll die deutsche Bevölkerung in allen Bundesländern der ehemaligen DDR schrumpfen, während in allen anderen Bundesländern (außer im Saarland) ein Zuwachs erwartet wird. In Sachsen soll der Anteil der potenziell Erwerbstätigen je nach Altersgruppe sogar um 12 bis 14 Prozent abnehmen. „In Ostdeutschland gibt es nicht ein einziges DAX-Unternehmen, das hier seinen Sitz hat“, sagt Prinz. Es gebe hier weniger Zukunftschancen und gleichzeitig einen sehr starken Fachkräftemangel.

Die Folgen der Wiedervereinigung wirken bis heute nach. „Aufgrund der Wende und der Benachteiligung während dieses Prozesses stehen die Menschen in Ostdeutschland schlechter da“, erklärt Prinz. Beispielsweise besitzen die Menschen in Ostdeutschland viel weniger Immobilien als im Westen. „Wenn man gleichzeitig für westdeutsche Unternehmen arbeitet und Mieten an Westdeutsche bezahlt, kann das frustrieren.“ Gleichzeitig zögen viele Leute weg und die, die zurückblieben, fühlten sich isoliert. „Das ergibt eine Mixtur an Unzufriedenheit, die immer mehr aufquillt“, erklärt Prinz. Es fehle der Glaube daran, etwas ändern zu können.

„Die Erfolge, die im Osten gefeiert werden, müssten wahr­genom­men und zum Narrativ gemacht werden“

Alexander Prinz

Um die Menschen aus dem ländlichen Raum Ostdeutschlands, mit den Menschen im Rest von Deutschland zusammenzubringen, könnten soziale Medien wiederum eine gute Plattform sein. Dafür sei es aber wichtig, so Kümpel, dass Unterhaltungen den gleichen Diskussionsregeln folgen wie in Person: respektvoll, empathisch und nicht belehrend zu sein.

Doch das reicht natürlich nicht aus. Es muss sich noch viel mehr ändern, um Ost- und West zusammenzubringen. „Es ist ein langfristiger Prozess“, meint Prinz. Die Erfolge, die im Osten gefeiert werden, müssten wahrgenommen und zu einem Narrativ gemacht werden. „Ich glaube, vielen würde schon ausreichen, dass man anerkennt, dass es verschiedene Lebensrealitäten gibt. Man muss begreifen, dass es unterschiedliche Realitäten, Probleme und Vergangenheiten gibt.“ Es gebe nicht einfach eine Lösung für das ganze Land.

Johannes (25), Medizinstudent und Journalist, ist 2018 nach Leipzig gezogen. Er hat Familie in Crimmitschau/Neukirchen und sein Vater kommt aus Zwenkau.