Auf Augenhöhe

Die 22-jährige Janine Pietsch schwimmt Weltrekord – und damit in die Rolle der Van-Almsick-Nachfolge

BERLIN taz ■ Manche Weltrekorde kommen so überraschend, dass man erst mal gar nichts von ihnen mitbekommt. Als Janine Pietsch, die 22-jährige Rückenschwimmerin, bei den deutschen Meisterschaften in Berlin im 50-Meter-Rennen nach 28,19 Sekunden angeschlagen hatte, fiel erst mal die Anzeigetafel aus. „Ich war mir sicher, dass ich ein fast perfektes Rennen geschwommen bin“, sagte Pietsch, „aber ich hatte Angst, dass am Ende keine Zeit für mich steht.“ Glück für sie: Es war nur die Anzeige, die versagte, die Zeitmessung hingegen hatte perfekt funktioniert. Nach einigen spannenden Minuten erhob der Hallensprecher seine Stimme und sagte – ein feierlicher Unterton war unüberhörbar: „Meine Damen und Herren, Sie haben soeben einen Weltrekord gesehen!“

Erst brandete Applaus auf, dann brach es über Janine Pietsch herein. Zuerst fragte man sich, warum ausgerechnet Franziska van Almsick auf sie zugestürmt kam und sie herzlich umarmte. Aber es war keine Selbstinszenierung, die beiden sind Freundinnen und haben sich bei Großereignissen schon das Zimmer geteilt. Außerdem: Die beiden Nixen machten natürlich eine gute Figur. Hielt da das Glamourgirl des deutschen Schwimmens gar ihre Nachfolgerin im Arm? Die Fernsehkameras liefen, die Fotoapparate klickten im Akkord.

Janine Pietsch, die 1,88 Meter große Modellathletin, hatte ja schon im vergangenen Jahr bei den Olympischen Spielen als Geheimtipp gegolten. Als 23. über 100 m enttäuschte sie dann aber ebenso wie viele andere DSV-Athleten. Noch heute wird über die Gründe dieses Debakels gerätselt. Die gängigste Erklärung ist, dass sie übertrainiert waren.

Mit dem Weltrekord vom Mittwoch, die alte Bestmarke (28,25) hatte Sandra Völker vor fünf Jahren aufgestellt, lieferte Janine Pietsch nun einen weiteren kleinen Beleg für diese These. Unfreiwillig. Wegen eines Infekts hatte die Rücken-Spezialistin in den zehn Tagen vor dem Weltrekord völlig anders trainiert als bisher: täglich zweieinhalb Stunden Krafttraining, nur eine Wassereinheit. „Ins Wasser bin ich nur gesprungen, um mich nass zu machen“, sagt sie.

Viele Schwimmer setzen diese Methode der verringerten Trainingsintensität vor großen Wettkämpfen – von Fachleuten „Tapern“ genannt – bewusst ein. Janine Pietsch hat jetzt gemerkt, dass auch sie gut auf ein solches Programm reagiert. „Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben richtig abgetapert“, sagt sie. Eine interessante Erkenntnis für die Schwimmerin, die in den vergangenen Monaten von Bandscheiben- und Rückenproblemen und immer wieder von grippalen Infekten geplagt worden war. Da wird es einigen Gesprächsstoff geben zwischen der Athletin und ihrem Vater Steffen, der über all die Jahre auch ihr Trainer war seit sie 1991 von Dynamo Berlin nach Ingolstadt gegangen war. „Vielleicht müssen wir einige Dinge in der Vorbereitung überdenken“, sagte die Schwimmerin.

Gesprächsstoff liefert der Weltrekord auf jeden Fall – auch für die Klatschspalten. Nachdem sich in den vergangenen Tagen Helge Meeuw (Wiesbaden) und Marco di Carli (Sögel) als heiße Kandidaten für die Schließung der „Franzi-Lücke“ (Süddeutsche Zeitung) anempfohlen hatten, stand jetzt endlich eine Schwimmerin da, die sich auf Augenhöhe mit der 200-Meter-Freistil-Weltrekordlerin messen kann. Groß, blond, erfolgreich – und mit der größeren erotischen Ausstrahlung als die Jungs. Was vielleicht das entscheidende Plus sein könnte im Wettschwimmen um öffentliche Aufmerksamkeit und Sponsorengelder. Janine Pietsch mochte sich darüber noch nicht viele Gedanken machen. „Ich hoffe, dass ich jetzt endlich mal acht Wochen am Stück gesund bleibe“, sagte sie. Dann ist in Montreal WM. Seit Mittwoch gehört sie zum Favoritenkreis. JÜRGEN ROOS