Gemeinsam queer sein

Das Jugendzentrum Qu:al­le in Spandau bietet jungen, queeren Menschen einen geselligen Rückzugsort und berät bei Sorgen und Nöten. Der Bedarf ist groß – manche Jugendliche kommen sogar aus Brandenburg angereist

Rummikub am ­Couchtisch: ­Jugendliche in der Qu:al­le in Spandau Fotos: Sally B.

Von Ulrike Wagener

Vor dem Neubau des Treffpunkts Neue 18 in Spandau steht „stabil“ auf dem Gartenzaun. Von außen sieht man nicht, dass hier in der Neuendorfer Straße 18 seit April das queere Jugendzentrum Qu:al­le untergebracht ist. Das soll sich bald ändern, sagt die Sozialpädagogin Lara Streit. Sie führt durch grün gestrichene Flure, denen man ansieht, dass die Einrichtung noch nicht lange geöffnet ist.

Im Aufenthaltsraum sieht das schon anders aus, hier gibt es Plakate und Fähnchen mit queeren Motiven, eine gehäkelte trans Flagge und ein queeres Tabu-Spiel. Auf dem Sofa sitzen M., Ada, Acheron und Jeffrey the III. Die Pseudonyme haben sich die Jugendlichen unter großem Gekicher gerade ausgesucht. Der Name Jeffrey the III. findet sich auch auf dem Whiteboard unter der Rubrik „Namensvorschläge für den Hai“ – ein Kuscheltier, das als trans Icon gilt.

Die vier Jugendlichen auf der Couch sind zwischen 15 und 21 Jahre alt, zugänglich ist die Qu:al­le für Menschen von 12 bis 26. M, Ada, Acheron und Jeffrey the III., die nicht mit ihren richtigen Namen in der Zeitung stehen wollen, sind oft zu viert hier, die meisten leben in Spandau. Sie wirken vertraut miteinander und auch mit den Betreuer*innen. Im Hintergrund läuft Musik, die Jugendlichen witzeln herum, sprechen über Taschengeld, Musik und Konzerte.

Acheron ist 21 Jahre alt, bevorzugt das nichtbinäre Pronomen they, versteht sich aber trotzdem als schwul. Zur Qu:al­le ist Acheron über eine Therapeutin gekommen. Acheron war erst wenig angetan von dem Gedanken – „Jugendzentren sind die Hölle“ –, doch jetzt ist Acheron begeistert: „Identität und Geschlecht werden hier nicht hervorgehoben, du wirst ganz normal behandelt. Das bedeutet für mich Akzeptanz.“ In der Schule hat Acheron blöde Kommentare zu hören bekommen, als die Mit­schü­le­r*in­nen erfuhren, dass Acheron schwul ist. „Leute fragen mich, ob ich ihr schwuler bester Freund sein will oder nach meiner bevorzugten Sexstellung“, erzählt Acheron. In der Qu:al­le gebe es so etwas nicht. Hier können die Jugendlichen einfach sie selbst sein, abhängen, spielen und quatschen.

In Neue 18 sind verschiedene Projekte unter einem Dach angesiedelt. „Die Qu:al­le ist für mich ein Leuchtturmprojekt für die Gleichzeitigkeit von Schutzraum für queere Jugendliche und Inklusion in gesamtgesellschaftliche Räume“, sagt Malte Mühlsteff. Er ist Bereichsleiter von „Queer Leben ambulante Hilfen und Projekte“ des Trägers Trialog Jugendhilfe.

Für alle Jugendlichen in dem Haus gibt es ein Tonstudio, einen Proberaum, eine Küche, einen Medienprojektraum, einen Tanzraum, eine Sporthalle, einen Cafébereich mit Kinooption und eine Werkstatt. Auf einer Etage befindet sich ein reiner Mädchenbereich. Mädchen und queere Jugendliche haben einen eigenen Eingang, damit sie ihren Raum erreichen können, ohne durch den offenen Bereich gehen zu müssen. Auch der Aufzug kommt direkt vor den Räumen der Qu:al­le im zweiten Stock an.

Noah und Felix spielen Kicker. Die beiden Jugendlichen haben sich hier kennengelernt. „Für mich ist neu, dass die Leute einem so viel Aufmerksamkeit geben. Wir werden immer gefragt, was wir uns wünschen“, sagt Felix. Das sei ganz anders als in der Schule. Noah war vorher schon mal in Mitte in einem queeren Jugendzentrum, die Qu:al­le sei jedoch viel näher an seinem Zuhause. Auch für Felix hat die Qu:al­le in Spandau eine Lücke gefüllt. „Die Gemeinschaft, die ich hier habe, ist für mich der Hauptgrund, hier zu sein.“

Die Qu:al­le wird vom Senat und dem Bezirk Spandau gefördert. Schwarz-Rot will die Randbezirke im queeren Bereich besser ausstatten. Die Finanzierung ist bis Ende nächsten Jahres gesichert. „Uns ist wichtig, dass das Projekt auch darüber hinaus finanziell abgesichert wird“, sagt Sozialpädagogin Lara Streit. Die Einrichtung sei schnell gut angenommen worden, der Bedarf für queere Jugendarbeit in Spandau sei also da. „Die jungen Menschen brauchen die Gewissheit, dass ihnen dieser Ort erhalten bleibt“, so Streit.

Dem ebenfalls queeren Team der Qu:al­le ist eine intersektionale Perspektive wichtig, bei der Mehrfachdiskriminierungen berücksichtigt werden. Deshalb auch der Name: eine Mischung aus queer und alle. Außerdem steckt dahinter die Idee, dass Meerestiere oft queer sind.

Auch nichtqueere Freun­d*in­nen sind in der Qu:al­le willkommen. „Dabei geht es uns darum, dass Jugendliche, die sich allein nicht trauen würden oder sich noch nicht ganz sicher sind, jemanden mitbringen können und sich auch nicht direkt outen müssen“, erklärt Lara Streit. Man müsse sich auch nicht sicher sein, wo man sich verortet, um zu kommen. Meist seien vier bis zehn Be­su­che­r*in­nen da. Viele Jugendliche kommen aus Spandau, aber manche reisen sogar aus Brandenburg an.

In der Runde wird mittlerweile Rommé gespielt. M. erzählt viel, will aber auf keinen Fall auf Bildern erscheinen. „Auf meinem Instagram-Profil teile ich nur Fotos, wo ich total normativ aussehe“, sagt sie. Sie macht sich Sorgen, dass ihre Freundin Ada zu unvorsichtig ist. Ada nimmt das nicht so wichtig: „Ich werde sowieso beleidigt, weil ich Schwarz bin. Mir ist egal, was fremde Menschen über mich sagen.“

„Die Gemeinschaft, die ich hier habe, ist für mich der Haupt­grund, hier zu sein“

Felix, Jugendlicher in der Qu:al­le

„Ich bin sehr christlich aufgewachsen, mein Bruder war der erste, dem ich etwas erzählt habe. Meine Mutter musste das erst akzeptieren“, sagt Ada über ihr Coming-out. „Ich habe mich vor meiner Mutter nie geoutet. Ich habe ihr nur erzählt, ich stehe auf jemanden und als sie nachgefragt hat, einen Mädchennamen gesagt“, sagt M. Jeffrey hält sich in der Diskussion eher zurück. „Das ist jedem selbst überlassen“, sagt er. Acheron hat zum 18. Geburtstag eine Outing-Party gemacht. Eigentlich sollte das aber nicht nötig sein, findet Acheron.

Neben der offenen Jugendarbeit bietet die Qu:al­le auch Beratungsgespräche an. „Wir sehen uns als erste Anlaufstelle, mit einem niedrigschwelligen Zugang“, sagt Streit. In der Beratung gehe es viel um geschlechtsangleichende Maßnahmen und Hormontherapien, aber auch um Themen wie Mobbing in der Schule und Ausbildung oder Konflikte in Beziehungen.

„Das wichtigste ist, dass Jugendliche einen diskriminierungsarmen Raum haben und dass sie sich an uns wenden können“, sagt Streit. Anfeindungen habe es bisher nicht gegeben, auch nicht, wenn sie draußen unterwegs waren. „Wir merken jedoch, dass die Sichtbarkeit queerer Lebensrealitäten im Bezirk noch kein Alltag ist.“

Unten in der gemeinsamen Küche riecht es nach Gewürzen, auf der Ablagefläche stehen Töpfe und allerlei Zutaten. Die Qu:al­le kocht jeden ersten Mittwoch im Monat nach den Wünschen der Jugendlichen. Ob sie im offenen Bereich essen wollen oder in der Qu:alle, bleibt ihnen überlassen.

Sozial­pädagogin Lara Streit

Ärger habe es mit den anderen Jugendlichen bisher nicht gegeben, manchmal aber unsensible Fragen zum Geschlecht, sagt Streit. „Wenn wir es mitbekommen, intervenieren wir in Absprache mit unseren Be­su­che­r*in­nen und erklären zum Beispiel, dass es auch noch andere Geschlechter gibt.“

Wichtig sei, dass auch alle anderen Angestellten in dem Haus sensibilisiert sind, um die gesamte Einrichtung zu einem geschützten Raum zu machen. „Unser Ziel ist, dass die Jugendlichen hier gestärkt werden, um sich öffentliche Orte anzueignen und dass wir queere Sichtbarkeit ausstrahlen“, sagt Bereichsleiter Malte Mühlsteff.

Das teilt auch der Einrichtungsleiter Enrico Rogge. „Bisher gab es im Bezirk viele kleine Projekte als geschlossene Rückzugsräume“, sagt er. Das sei auch sehr wichtig. „Unsere Einrichtung ist eine Art Upgrade, da hier zusätzlich noch ein inklusives Umfeld gestaltet werden kann, was den Transfer in die Gesellschaft erleichtert. Wenn man eine inklusive Gesellschaft will, braucht es auch inklusive Konzepte.“