Die Zukunft des Trommelns

Nkisi verbindet kongolesische Musik mit Industrial zu polyrthythmischen Arrangements. Am Samstag performt sie beim Festival Openless im Kraftwerk

Die komplexen Klanglandschaften von Nkisi sind am Samstag bei Openless zu hören Foto: Clara Wildberger

Von Ilo Toerkell

„Für mich ist Musik eine spirituelle Technologie“, sagt Nkisi. Die Künstlerin hinter dem Namen ist Melika Ngombe Kolongo. Die Producerin und DJ ist in der Demokratischen Republik Kongo geboren und in Belgien aufgewachsen, in ihrer Arbeit befasst sie sich mit den vielfältigen Klängen des afrikanischen Kontinents, kongolesischer Kosmologie und Musik als Form der Kommunikation. So auch in ihrer Performance, mit der sie am 24. August auf dem Berliner Festival Openless auftreten wird. In dieser nimmt sie gezielt Bezug auf den senegalesischen Trommler Doudou N’Diaye Rose und sein Stück „Cheikh Anta Diop“, das dem gleichnamigen Wissenschaftler und Anthropologen gewidmet ist. Im Gespräch mit der taz erzählt Nkisi von ihrer Beziehung zu N’Diaye Rose, Diop und wie kongolesische Kosmologie ihre elektronischen Experimente beeinflusst.

„Wenn ich im Studio bin, spüre ich die Energie meiner Vorfahren und meiner Umgebung und versuche diese durch Musik auszudrücken“, erklärt Nkisi ihre Philosophie der Musikproduktion. Schon in ihrer Kindheit spielte Musik eine wichtige Rolle. Im Haus ihrer Mutter, die sich in panafrikanischen Gruppen organisierte, hörte sie kongolesische und andere westafrikanische Musikrichtungen. Auch der Name Nkisi ist ein Symbol der Verbindung zu den Vorfahren. Nkisi sind Skulpturen des präkolonialen Königreichs Kongo, denen spirituelle Entitäten innewohnen. Die Musikerin bezieht sich auf afrikanische Kunst und Denkweisen und findet sich damit in der Tradition Cheikh Anta Diops wieder. Dessen Forschung zu Panafrikanismus und präkolonialer Geschichte Afrikas, die sie als proto-afrofuturistisch beschreibt, prägt ihr Schaffen. Afrofuturismus ist eine politische und künstlerische Bewegung, die Schwarze Lebensrealitäten zentriert und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft durch diese imaginiert. Dabei vermischen sich futuristische Elemente mit Tradition – so auch in Nkisis Musik.

Die experimentellen Klänge ihres in diesem Jahr erschienenen Albums „The Altar“ sind das Ergebnis von Recherchen in ethnografischen Musiksammlungen kongolesischer Musik sowie elektronischer Klangkunst der belgischen Industrial- und Doomcore-Szene. Dabei nimmt Nkisi eine kritische Haltung ein: „Mir ist bewusst, dass diese ethnografischen Archive und Aufnahmen oft durch koloniale Methoden generiert wurden und einen westzentrierten Blick auf indigene und afrikanische Kulturen reproduzieren.“

Inspiriert von akustischen Trommelmustern und den scheinbar endlosen Möglichkeiten der digitalen Produktion, kreiert Nkisi gezielt Balance oder Disbalance. Harmonie trifft Chaos. Zentral ist der Rhythmus, oder besser gesagt, die Rhythmen, denn Nkisi arbeitet mit polyrhythmischen Arrangements, die komplexe Klanglandschaften bilden und das Gefühl von Raum und Zeit verzerren.

Hier knüpft sie an Doudou N’Diaye Rose (1930–2015) an, der als Meister der senegalesischen Sabar-Handtrommel bekannt ist. N’Diaye Rose kreierte hunderte Trommelrhythmen und wurde zu Lebzeiten als Unesco-Kulturerbe betitelt. Seine Kompositionen wurden vom Projekt Transcriptions, das sich mit dem Vermächtnis des Perkussionisten befasst, gemeinsam mit Mitgliedern der Familie und internationalen Musikschaffenden neu vertont. Diese Aufnahmen werden nun im Rahmen des Berliner Openless Festivals vorgestellt. Das Festival entspringt Berlin Atonal – das nunmehr alle zwei Jahre und daher erst wieder 2025 stattfindet – und präsentiert vom 23. bis 25. August 2024 experimentelle Musik und visuelle Kunst. Der Festivalsamstag ist dem Werk von N’Diaye Rose sowie kontemporären Interpretationen dessen gewidmet.

Die Musik ist auch inspiriert vom Trommler Doudou N’Diaye Rose

In Dakar erlebte Nkisi die Tradition hautnah und spürte „eine tiefe Verbindung zu der Trommel“, die sie als Wurzel aller elektronischer Musik ansieht: „In Produktionen von heute höre ich das Echo der Musik von damals. Elektronische Musik ist eine Weiterführung dieser rhythmischen Traditionen.“

Auf die Frage, was von ihrer Performance am Samstag zu erwarten sei, schmunzelt Nkisi. „Ich verstehe meine Musik und Performance als Dekodierung und Rekodierung. Ich dekodiere Klänge durch meine Recherchen und rekodiere sie durch mich in die Musik. Das passiert meistens im Moment und wird von der Umgebung beeinflusst. Ich habe also keine Ahnung, was genau auf der Bühne passieren wird.“ Nach dem Gespräch mit der Künstlerin scheint das sowohl ein kluger Teaser zu sein als auch einfach der Wahrheit zu entsprechen. Neben Nkisi werden Mitglieder der N’Diaye Rose Familie, Lamin Fofane, Shackleton und Labour den Abend bespielen. Eine Hommage an Doudou N’Diaye Rose, die sowohl die Tradition als auch Zukunft des Trommelns ehrt.

„Openless“ – ein Projekt von Berlin Atonal: Kraftwerk Berlin, 23.–25. August