Barbara Dribbusch
In Rente
: Wenn alte Frauen in Sommernächten für sich tanzen

Foto: Archiv

Dies ist meine letzte Kolumne der Serie „In Rente“, die ich nach zwei Jahren aus freien Stücken beende, weil ich Sorge habe, dass ich mich wiederholen könnte. Wobei sich wiederholen ja nicht immer schlecht ist. Meine Freundin Chrissy, 74, zum Beispiel erzählt immer wieder die gleichen Geschichten von früher, wenn wir beim immer selben Iraner das immer gleiche Gericht, Reis mit Kartoffelscheiben, verspeisen.

Chrissy schmückt die Geschichten manchmal etwas aus. Ob es sich um die Geschichte handelt, wie ihr Labrador ins Eis einbrach und von ihr gerettet wurde, um die Geschichte, als ­Chrissys Freundin S. ihr Domina­studio auflöste und Martin dann die Ketten mitnahm, die er für seine Autowerkstatt gut gebrauchen konnte, wobei Martin mit der Reparatur des Lada Niva von ­Chrissy später gute Arbeit leistete. Ja, der Lada, das waren noch Zeiten, als wir mit dem Lada zu F.s Reiterhof fuhren, diese Schlammwege! Einmal blieben wir fast im Morast stecken. Aber ein Vierradantrieb kann hilfreich sein im Leben.

Die immer gleichen Geschichten zu hören, gibt mir ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, denn die Zeit läuft uns davon. Ich bin froh, dass ­Chrissy es trotz ihrer schweren Krankheit noch schafft, zum Essen beim Iraner zu kommen. Ich liebe ihre Wiederholungen. Aber eben nicht nur. Manche Dinge ändern sich noch und das ist gut. Und damit bin ich beim Open-Air-Konzert neulich und den tanzenden alten Frauen.

Beim Umsonst-und-draußen-Konzert im Humboldt Forum spielte und sang Steve Mekoudja aus Kamerun. Es war noch früh, hell und warm, ideal für uns Alte. 60-jährige, 70-jährige weiße Frauen stehen in weiten Sommerkleidern oder Jeans und Seidenblusen vor der Bühne und wiegen sich zum Afro-Pop. „Himmel, so viele alte Frauen“, sagt Freundin Hille. Es stimmt, früher tanzten 40- oder 50-jährige Frauen und erschienen mir „alt“. Jetzt aber sind sie 60 und 70 und machen immer noch mit.

Ein paar alte weiße Männer mit spärlichem Haupthaar und Bauch stehen am Rand. Sie haben freundliche Gesichter, „Mitgeh-Männer“, denke ich. Aber ich glaube, die Männer würden sich lieber totschießen lassen, als sich einzureihen in die Gruppe der tanzenden alten Frauen.

Zugegeben, ich spüre bei mir auch eine Spur von Abwehr, die sich manchmal einstellt, wenn ich bei einem Event fast nur noch alte Leute sehe. Dieses Gefühl ist ja eigentlich eine Form von Selbstablehnung. Auch mein Körper verwandelt sich in eine Art Landschaft mit hügeliger Oberfläche auf den Oberschenkeln und Pergamenthaut auf den Armen. Der Gedanke, eine Art Landschaft zu werden, beruhigt mich übrigens in gewisser Weise.

„Eigentlich ist es doch toll, dass die alten Frauen tanzen“, sagt Hille, „ich glaube, die tanzen nur für sich, nicht für irgendjemand anderes.“ Das stimmt. Der Discotanz früher war anders. Ich wollte damals auch ein bisschen Eindruck schinden. Die Frauen hier aber wollen niemanden mehr beeindrucken. Die wollen Spaß haben. Ich wippe ein bisschen mit.

Die immer gleichen Geschichten zu hören, gibt mir ein Gefühl von Sicherheit

Ich muss das alles Chrissy erzählen, beim nächsten Essen. 70-jährige Frauen, die zum Afro-Pop tanzen, ganz für sich, für die Musik, ist das nicht ein Fortschritt? Dann höre ich mir wieder ihre alte Geschichte an mit dem Lada im Schlamm. Das Alte ist erinnerungswürdig. Aber irgendwas Neues gibt es immer. Machen Sie’s gut.