Verblasenes Getöse in den Uferhallen

WEDDING Bei einer Diskussion über das Buch „Kulturinfarkt“ wird es laut – und dann doch noch spannend

Die alte Kantine in den Uferhallen in Wedding ist gut besucht, und das ist nicht verwunderlich. Viel wurde in den letzten Wochen über das Buch „Kulturinfarkt“ von Dieter Haselbach, Pius Knüsel, Armin Klein und Stephan Opitz gestritten. Es ist ein polemisches Buch, das mit dem Gedanken spielt, was wäre, wenn die Hälfte aller Theater und Museen aus Deutschland verschwände. Es ist auch ein Buch, in dem hässliche Metaphern wie „kulturelle Flutung“ vorkommen und dem deshalb von Rezensenten vorgeworfen wird, es sei rechtspopulistisch. Wer deshalb wie die Kulturpolitische Gesellschaft mit Dieter Haselbach, einem der Autoren von „Kulturinfarkt“, auf ein Podium setzt und daneben Adrienne Goehler platziert, ehemals Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Kultur und Kuratorin des Hauptstadtkulturfonds, der wird vom Publikum überrannt.

So klatschten die Zuhörer auch beglückt, als gleich am Anfang geschah, was geschehen musste: Adrienne Goehler und Dieter Haselbach beschimpften sich, es war von „verblasenem Getöse“ die Rede, es hieß sogar, der jeweils andere solle doch bitte „die Schnauze halten“. Was in der Diskussion über weite Strecken unterging, war das anvisierte Thema: Denn trotz aller Verfehltheit im Ton hätte „Kulturinfarkt“ durchaus Debatten anstoßen können. Zum Beispiel darüber, nach welchen Kriterien Kulturförderung eigentlich vergeben wird. Oder wie sie gerechter verteilt werden könnte.

Wer versuchte, den anderen Teilnehmern der Runde zuzuhören, der konnte interessante Aspekte mit nach Hause nehmen. Das galt besonders für die Redebeiträge von Günter Jeschonnek, der aus seinem 2010 erschienenen „Report Darstellende Künste“ zitierte und anschaulich belegte, was jeder, der sich in der Kultur tummelt, stets zu verdrängen versucht: 90 Prozent aller Kulturschaffenden können nicht von dem leben, was sie tun. Besonders die Situation der „Pendler“, die nur zeitweise für größere Kulturinstitutionen arbeiten, dafür aber nicht wie die Freien durch die Künstlersozialkasse abgesichert sind, sei prekär. Sie leben von 9.000 bis 11.000 Euro im Jahr.

Vor diesem Hintergrund erscheinen die Fragen, die man an die Kulturförderung hätte stellen können, als überfällig. Er macht aber auch klar, dass die Lage zu ernst ist, um von der Kulturpolitik allein gelöst werden zu können. Es muss eine andere Sozialpolitik her, die die neue Klasse der Working Poor noch gar nicht erkannt hat. SUSANNE MESSMER