„Der Senat deckt die Bremser in den Bezirken“

Gabi Jung ist die neue Landesgeschäftsführerin des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). An der Politik der Berliner Landesregierung lässt sie kein gutes Haar

Gabi Jung, Jahrgang 1965, ist seit dem 1. August neue Berliner Landesgeschäftsführerin des BUND. Die studierte Grundschullehrerin und Geografin arbeitet seit 1998 für den Verband, bis zu ihrem Wechsel an die Spitze als Fachreferentin für Mobilitäts­bildung Foto: Josepha Stolz

Interview Rainer Rutz

taz: Frau Jung, das Thema Umwelt- und Klimaschutz stand lange ganz oben auf der Agenda. Das hat sich drastisch verändert. Welche Auswirkungen hat das auf die Arbeit Ihres Verbands?

Gabi Jung: Ein nachlassendes Bewusstsein für Klimaschutz sehe ich in unseren Kreisen jetzt wirklich nicht. Unser Problem ist die Landesregierung, bei der das Thema unter den Tisch fällt. Nehmen Sie das Schneller-bauen-Gesetz, das sehr große Eingriffe in den Natur- und Artenschutz vorsehen wird, den Angriff auf Freiflächen wie das Tempelhofer Feld oder die demonstrative Förderung des Autoverkehrs zulasten des Umweltverbunds. Das sind so eindeutige Signale gegen den Klimaschutz – das bereitet uns Kopfzerbrechen.

taz: Die Naturschutzverbände gelten als dauernörglige Blockierfraktion. Auch Sie werden in Ihrer Funktion als neue Landesgeschäftsführerin des BUND bald als Fortschrittsfeindin im öffentlichen Fokus stehen. Braucht man ein dickes Fell, wenn man an der Spitze eines Umweltverbands steht?

Jung: (lacht) Das werde ich jetzt merken. Aber ich denke, damit muss ich leben.

taz: Würden Sie sich selbst als Blockiererin beschreiben?

Jung: Ach was. Letztlich sind wir doch nur diejenigen, die auf Probleme aufmerksam machen, die die Verwaltungen zu verantworten haben. Beim Bauen etwa, wenn artenschutzrechtliche Vorgaben nicht berücksichtigt werden. Gleiches gilt für die TVO.

taz: Die umstrittene vierspurige Stadtstraße zwischen Marzahn und Köpenick.

Jung: Gegen die wir auch klagen werden, sollte der Bau genehmigt werden. Denn hier wird mit absolut veralteten Prognosedaten gearbeitet, um absolut veraltete Planungen umzusetzen. Das ist eine Straße, die niemand braucht. Die ursprünglich auf der Trasse angedachte Schienennahverkehrsverbindung, die wäre ein Thema gewesen. Aber bei Schwarz-Rot geht es eben nur um die Straße.

taz: Nun haben die Vorgängersenate die TVO auch nicht gestoppt, und mit dem Radwegeausbau ging es auch nur schleppend voran. Lügen wir uns nicht in die Tasche, wenn wir sagen, dass unter Rot-Grün-Rot doch alles viel besser war?

Jung: Rot-Grün-Rot hat aber wenigstens viel auf den Weg gebracht. Bei den temporären Spielstraßen zum Beispiel, für die ich mich sehr eingesetzt habe, hatten wir im Bündnis Temporäre Spielstraßen gemeinsam mit dem alten Senat schon einen entsprechenden Leitfaden erarbeitet. Mit Schwarz-Rot kam hier sofort Sand ins Getriebe. Der Leitfaden wurde verändert, die Gelder sollten gestrichen werden. Wir haben es dann zwar geschafft, die Spielstraßen zu erhalten, aber in einzelnen Bezirken gibt es nach wie vor Kämpfe. Und das alles wegen eines kurzen Abschnitts einer Straße, der einmal in der Woche oder im Monat Kindern zum Spielen zur Verfügung gestellt wird.

taz: Sie sagen selbst: die Bezirke. Ist es fair, immer nur auf den Senat zu zeigen? Die Bezirke sind ja nicht ganz machtlos. Sei es beim Verhindern von Spielstraßen oder Radwegen.

Jung: Wenn man irgendwie vorankommen will, müssen Senat und Bezirke Hand in Hand ihre Aufgaben erfüllen. Hinzu kommt hier natürlich die Frage der Finanzierung. Das Geld der Bezirke kommt ja im Wesentlichen vom Land. Was aber stimmt: Vor allem beim Thema Radwege mussten wir schon früher feststellen, dass die Bezirke da zum Teil sehr unterschiedlich ticken, vor allem, wenn Parkplätze wegfallen. Die Bremser werden nun vom Senat gedeckt.

taz: Die Bundes-FDP fordert jetzt kostenfreies Innenstadtparken oder eine deutschlandweite 49-Euro-Park-Flatrate. Da sagt selbst die Berliner CDU: Kommt nicht in Frage. Ist die Koalition in Berlin vielleicht doch an manchen Punkten fortschrittlicher als behauptet?

Jung: Reden kann man viel. In Sachen Parkgebühren ist unter Schwarz-Rot jedenfalls nichts passiert. Autofahrerinnen und Autofahrer können ihr Auto viel zu oft kostenfrei parken. Es kann auch nicht sein, dass das Anwohnerparken nur eine läppische Verwaltungsgebühr kostet. Das Parken muss einfach Geld kosten. Aber es geht um mehr: Letztendlich müssen wir Parkplätze reduzieren und den Raum in der Stadt umgestalten. Es geht darum, die Schwerpunkte zu verändern – mit dem großen Ziel des Klimaschutzes.

taz: Es gab zuletzt immerhin etliche Vorstöße, das Anwohnerparken zu verteuern. Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) schlug eine Verdopplung der bisherigen Gebühr auf 20,40 Euro im Jahr vor.

Jung: Ich bitte Sie. Das merkt doch kein Autofahrer.

taz: Um wie viel wollen Sie denn erhöhen?

Gründung Der Berliner Landesverband des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) wurde 1980 gegründet, fünf Jahre nach der Konstituierung des Bundesverbands.

Mitglieder Mit rund 15.000 Mitgliedern, Förder:innen und Spender:innen ist der BUND Berlin einer der größten Umweltverbände in der Hauptstadt.

Schwerpunkte Der Verband widmet sich in erster Linie den Themen Mobilitätswende, Klima-, Arten- und Ressourcenschutz.

Leitung Seit 2005 wurde der Landesverband von Tilmann Heuser geleitet, ihm folgt nun Gabi Jung. (rru)

Jung: Ganz klar. Das Anwohnerparken sollte mindestens 10 Euro im Monat kosten, und das auch nur als Einstieg. Die Gebühren müssen perspektivisch deutlich höher liegen. Zudem muss die Parkraumbewirtschaftung massiv ausgeweitet werden, auch außerhalb des S-Bahn-Rings, auf die Bezirkszentren, die stark verdichteten Wohngebiete und die Zielorte für Pendler aus dem Umland.

taz: Parkraumbewirtschaftung, TVO, Radwege: Der BUND lässt kein gutes Haar an der Politik des Senats. Gibt es irgendetwas, wo Sie sagen: Das geht in die richtige Richtung?

Jung: Viel gibt es da nicht, das kann ich sagen. Wir freuen uns, wenn der angekündigte Reparaturbonus wirklich kommt. Auch dass das Geld für den Schutz und die Rettung von Kleingewässern im Haushalt zur Verfügung gestellt wurde, ist schön. Bescheiden, aber immerhin. Dazu noch die Gelder für die temporären Spielstraßen. Aber gut, die sollten ja eigentlich gestrichen werden, bevor wir sie dann sichern konnten.

taz: Und das war’s?

Jung: Ja, mehr sehe ich da nicht.