Nostalgischer Horror

Der Science-Fiction-Film „Alien: Romulus“ von Fede Álvarez möchte die Reihe wieder zu alter Stärke bringen. Doch gegen Ende hin verzehrt der Film sich vor allem selbst

Aliens bleiben zudringlich, wie auch Rain (Cailee Spaeny) erfahren muss Foto: Walt Disney Motion Pictures

Von Martin Seng

Das obere Ende der Nahrungskette ist nicht der Hai. Es ist auch nicht der Bär oder die Harpyie, nicht der Gorilla oder gar der Mensch. Der perfekte Organismus, der allen anderen überlegen ist und sie erlegen kann, kommt nicht von der Erde. Er stammt aus den schwarzen Tiefen des Alls und ist so dunkel und unergründlich wie der Kosmos, aus dem er langsam seine schwarzen, knöchrigen Hände hervorstreckt. In seinem länglichen Schädel versteckt sich eine Reihe an Zähnen und ein zweites Maul, das nur darauf wartet, ein anderes Wesen zu zerreißen. Sein länglicher Schwanz, ähnlich einer überdimensionalen, menschlichen Wirbelsäule, ist bereit, einen jeden Organismus zu durchbohren und ausbluten zu lassen.

Trotz seiner Größe bewegt sich die skelettartige Gestalt geräuschlos und passt sich ihrer Umgebung an. Der Xenomorph, ein unheimliches Wesen aus einer fremden Welt, ist eine Figur, die alle menschlichen Ängste vereint – und ist glücklicherweise fiktiv. 1979 von dem Schweizer Künstler Hans Rudolf Giger zum Leben erweckt, sucht die Gestalt seitdem die Popkultur heim und ist der heimliche Star der „Alien“-Filmreihe. Mit „Alien: Romulus“ erscheint der nunmehr achte Teil der alteingesessenen Reihe und soll das Publikum wieder das Fürchten lehren. Denn zuvor verlor das Alien einiges von seinem Horror und Mysterium.

Der vorerst letzte Teil, „Alien: Covenant“, fiel 2017 bei den Kri­ti­ke­r:in­nen nicht vollends durch, bei den Fans dafür umso mehr. Der uruguayische Regisseur Fede Álvarez machte für „Alien: Romulus“ bereits im Vorfeld deutlich, dass er wieder zu den furchteinflößenden Wurzeln will, mit denen die Reihe anfing. Das möchte er erreichen, indem er die junge Rain (Cailee Spaeny) mit dem Androiden und Begleiter seit Kindheitstagen Andy (David Jonsson) auf eine verlassene Raumstation schickt. Zusammen mit einer befreundeten Gruppe wollen sie die Station plündern, bevor sie in wenigen Stunden in den Ring eines Planeten kracht.

Doch natürlich steht die Dramaturgie des Drehbuchs diesem Plan entgegen. Die Gruppe entdeckt durch den Computer der Station, dass das Unternehmen „Weyland-Yutani“ gefährliche Experimente mit anderen Lebensformen unternahm. Und sie bemerken langsam, dass sie nicht alleine sind. Denn im Dunkeln der Station lauert eine Kreatur auf sie, der sie nicht entkommen können.

Bei der „Alien“-Reihe geht es nie „nur“ um das namensgebende Alien. Die Filme sind stets mehr als ein Horror- oder Action-Produkt und so auch der neueste Teil. Wenn der Bordcomputer der Station sagt, dass das Leben der Gruppe nichts zählt im Vergleich zu den Zielen des Unternehmens, ist die Botschaft klar: Korporatokratie im Weltraum. Auch im Jahr 2142, in dem die Handlung spielt, behält das Kapital die Oberhand. Der Computer setzt alles daran, das menschliche Kapital bei der Flucht zu sabotieren, lässt sie im Namen des Unternehmens sterben und versucht den Androiden Andy auf seine Seite zu bringen, um die Experimente zu beenden. Und doch ist die Macht des Kapitals nicht die größte Bedrohung. Das ist noch immer die perfekte Tötungsmaschine, die die Gruppe durch alle Ebenen der Station jagt.

Rain und Andy kämpfen nicht nur mit dem großen Xenomorphen, sondern auch mit den kleinen, spinnenartigen Facehuggern, die sich am Gesicht der Menschen festsaugen, ihre Eier in ihnen platzieren, bevor das Alien aus dem Brustkorb herausbricht. Doch wenn das Alien sein zweites Maul offenbart, um jemanden damit zu töten oder wenn es als kleine, aber tödliche Larve aus einem Menschen hervorbricht, kennt man diese blutigen Bilder bereits. Seit dem ersten Teil wiederholen sie sich, bleiben gleich und reproduzieren sich selbst. Den klaustrophobischen und panischen Horror aus dem originalen Film lassen sie dabei vermissen. Die Bilder sind nostalgisch verklärt, aber kaum effektiv.

Dafür bleibt Regisseur Álvarez an anderer Stelle originell und überzeugt mit mehreren Actionszenen, die die Reihe so noch nicht gesehen hat. Die Charaktere müssen sich oft mit spontan auftretender Schwerelosigkeit zurechtfinden, was nicht nur für spannende Momente sorgt, sondern auch an die Strukturen von Videospiel­leveln erinnert. Nicht umsonst hat sich Álvarez von dem hervorragenden Horrorspiel „Alien: Isolation“ inspirieren lassen.

Das Budget des Films lag bei überschaubaren 40 Millionen US-Dollar. Im Vergleich zu den 97 Millionen US-Dollar von „Covenant“ ist das wenig und hängt auch mit dem enttäuschenden Einspielergebnis des Vorgängers zusammen. Trotz des deutlich niedrigeren Budgets zaubern Álvarez und Kameramann Galo Olivares optisch beeindruckende Bilder und Per­spek­tiven auf die Leinwand, die den Weltraum und die Station in allen Facetten zeigen. Lediglich einige CGI-Effekte sind misslungen, insbesondere solche, mit denen man Figuren jünger erscheinen lassen will.

Fans der Reihe freuen sich über altbekannte Gesichter, doch aus Spoilergründen soll hier nicht gesagt werden, um wen es sich dabei handelt. Auch die beiden Newcomer Cailee Spaeny und David Jonsson können in ihren Rollen als Kämpferin und um seine Loyalität verwirrter Android überzeugen. Und doch verblassen sie im Vergleich zur großen Sigourney Weaver, die ihrer Figur Ellen ­Ripley im ersten Teil zur Unsterblichkeit verhalf.

Den klaustrophobisch-panischen Horror aus dem originalen Film lassen die neuesten Alien-Bilder vermissen. Sie sind nostalgisch verklärt, aber kaum effektiv

Doch ganz gleich, welches Gesicht man sieht, der Star des Films ist das Alien. Und tatsächlich wird es in „Romulus“ in all seiner grausigen Schönheit präsentiert. Das Design von Giger überdauert die Zeit, es braucht kein „Reimagining“ oder „Rethinking.“ Dabei ist das Alien nicht nur ein außerirdischer Todbringer, sondern eine Projektionsfläche für mehr. Bereits der Filmkritiker und Pulitzer-Preisträger Roger Ebert bemerkte in seiner Kritik zum ersten Film die phallische Form des Kopfes. Dazu durchbohrt das Alien mit seinem Schwanz andere Lebewesen und nimmt sie in sich auf. Kann man das Alien dadurch als Kritik maskuliner Gewalt lesen?

Andere wiederum bemerkten das Sekret, das das Wesen permanent ausstößt und die prominente Rolle der Geburt. Also vielleicht doch ein Schauplatz vom Kampf der Geschlechter? Andererseits erkennt die Menschheit im Xenomorphen die Endstufe der Evolution und sieht etwas, das sie niemals erreichen wird. Dadurch wird das Alien zu einem idealen Konglomerat, das gleichzeitig faszinierend und doch tödlich ist. Ohnehin war der Künstler Giger bekannt dafür, in seinen Werken mit einer Vielzahl von sexuellen und philosophischen Thematiken zu spielen.

Und doch macht der Film den gravierenden Fehler und versucht, die Lebensform weiterzuentwickeln. Spätestens das ist der Punkt, an dem der Horrorfilm auseinanderfällt. Das Publikum merkt, dass „Romulus“ der Reihe kaum etwas Neues hinzuzufügen hat und denselben Fehler macht wie die Menschen im Film. Denn auch sie versuchen durch Experimente, die nächste Evolutionsstufe zu erreichen und so perfekt zu werden wie der Xenomorph. Doch im Gegensatz zu ihnen ist er es bereits. Auch „Romulus“ kreiert zum Ende hin eine neue Version des Aliens und scheitert damit kläglich. Somit bleibt es nur ein solider Horrorfilm, der seinem Ursprungsmaterial aber mehr schadet als nutzt.

„Alien: Romulus“. Regie: Fede Alvarez. Mit Cailee Spaeny, David Jonsson u. a. USA 2024, 119 Min.