debatte
: Vergiftete Stimmung

Um Mi­gran­t:in­nen im Bürgergeldbezug rankt sich negatives „Storytelling“ in der Sozialpolitik. Dabei wäre der Arbeitsmarkt ohne Zugewanderte schlecht dran

Wie konnte die Stimmung so schnell kippen? Im November 2022, als das Bürgergeld mit den Stimmen auch der Union beschlossen wurde, hatte sich Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) noch als „sehr glücklichen Arbeitsminister“ bezeichnet. Das neue Bürgergeld biete die Chance, „die gesellschaftliche Polarisierung zu entgiften“. Heute hat man den Eindruck, die Stimmung gegenüber So­zi­al­leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen, erst recht mit Migrationshintergrund, ist vergifteter denn je. Die starke Dynamik dieses Stimmungswandels fällt ebenso auf wie die Brutalität der Sprachbilder.

So schlug CDU-Innenpolitiker Alexander Throm unlängst vor, einen „verpflichtenden gemeinnützigen Dienst“ für Flüchtlinge einzuführen. „Morgens Sprache lernen, nachmittags den Park pflegen. Jeder muss seinen Beitrag leisten“, sagte Throm der Bild-Zeitung. Dieses Bild erinnert eher an eine Strafkolonie und ist das Gegenteil der Schutzversprechen, die Po­li­ti­ke­r:in­nen vor zwei Jahren den Geflüchteten aus dem Ukrainekrieg und vor mehr als acht Jahren den Sy­re­r:in­nen aus dem Bürgerkrieg gaben. 2022 hatte die Bundesagentur für Arbeit noch erklärt, man wolle die Geflüchteten aus der Ukraine „ausbildungsadäquat“ vermitteln. Heute sollen Ukrai­ne­r:in­nen mit der Kampagne des „Job-Turbo“ irgendeinen Job annehmen, wurschtegal, was sie mal gelernt haben.

Die aggressiven Narrative gegen migrantische Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r:in­nen gründen auf Ver­änderungen, die teilweise nichts mit den Geflüchteten zu tun haben. Bedingt durch die Coronazeit, in der auch kleine Selbstständige plötzlich zu Bürgergeldempfängern wurden, erleichterte die Regierung die Zugangsbedingungen für Hartz IV, milderte Sanktionen ab und erweiterte die Formel für die jährliche Anpassung der Regelsätze im dann neuen „Bürgergeld“.

Jetzt aber erscheint das Bürgergeld vielen als zu üppig, die FDP würde den Regelsatz am liebsten kürzen. Die Angst vor einem unkontrollierbaren Absaugen von Sozialleistungen durch Mi­gran­t:in­nen wird medial geschürt, zumal inzwischen fast die Hälfte der Emp­fän­ge­r:in­nen des Bürgergeldes eine ausländische Staatsangehörigkeit haben. Dieser Anteil ist vor allem durch die Ukrai­ne­r:in­nen gestiegen und auch durch anerkannte Flüchtlinge aus arabischen Herkunftsländern.

Die Sozialmissbrauchsdebatte verschärft sich generell. Laut Studien des Instituts für Arbeitsmarkts- und Berufsforschung (IAB) erhöhen Sanktionsmöglichkeiten die Zahl der Leistungsempfänger, die in den Arbeitsmarkt wechseln. Das ist nicht überraschend. Nur muss man daraus nicht schließen, dass Leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen in der Regel faul sind.

5,5 Millionen Menschen leben vom Bür­ger­geld­, darunter viele Kinder. Nur 1,7 Millionen der Bürgergeldempfänger gelten überhaupt als arbeitslos. Die anderen betreuen den Nachwuchs oder pflegen Angehörige, sind krank, gehen zur Schule, befinden sich in Maßnahmen oder müssen einen geringen Lohn mit Bürgergeld aufstocken.

Foto: jutta_henglein-bildau

Barbara Dribbusch

ist Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlands­ressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: „Schattwald“, Roman (Piper, August 2016). „Können Falten Freunde sein?“ (Goldmann 2015, Taschenbuch).

Doch solche Faktenchecks ändern das negative Storytelling wenig. Dabei fällt die wachsende Empathielosigkeit gegenüber anerkannten Geflüchteten auf. Mehr oder weniger offen sagen Politiker:innen: Fliehen kriegsbedingt noch mehr Menschen aus der Ukraine, soll Deutschland nicht als das attraktivste Zielland in Europa gelten. Es herrscht eine Art Sozialwettbewerb nach unten: Norwegen, Irland und andere Länder haben die Sozialleistungen für Ukrai­ne­r:in­nen bereits deutlich verschlechtert. Vor diesem Hintergrund fordern auch Union und FDP, Ukrai­ne­r:in­nen nach der Ankunft jetzt ins schlechter ausgestattete Asylsystem und nicht gleich ins Bürgergeld zu schicken.

Liest man in den Facebook-Gruppen der Ukrai­ne­r:in­nen mit, gilt das Bürgergeld in Deutschland zwar als Pluspunkt, die komplizierte deutsche Sprache, die den Zugang zu attraktiven Jobs verschließt, die Bürokratie und die Unterbringung in Massenunterkünften schrecken wiederum ab.

Diese Feinheiten allerdings interessieren nicht, denn die Fokussierung auf Migrant:innen, die den deutschen Sozialstaat belasten, ist auch ein politisches Ablenkungsangebot. Es hat den Neben­effekt, dass nicht so auffällt, wie wichtige Gebiete des Sozialen derzeit politisch verwaisen: Zum Pflegedesaster und der Wohnungsnot gibt es kaum politische Vorschläge aus Regierung und Opposition, dabei sind davon Millionen Menschen betroffen.

Die Frage ist, ob und wie sich die Rollenverteilungen an Zuwanderer in den öffentlichen Narrativen erweitern und drehen lassen. Aus­län­de­r:in­nen sind ja langfristig Ret­te­r:in­nen der Demografie in Deutschland. Rund 40 Prozent der Kinder unter fünf Jahren hierzulande haben einen Migrationshintergrund. Wenn in manchen Milieus vielköpfige Familien und nicht materieller Wohlstand als wichtigster Lebensinhalt gelten, profitiert möglicherweise zukünftig auch die deutsche Gesellschaft davon. Bei den Geflüchteten selbst, etwa aus Syrien und der Ukraine, ruhen die Zukunftshoffnungen oft auf den Söhnen und Töchtern, weil diese die deutsche Sprache schneller lernen als die Eltern und sich leichter integrieren.

Migrant:in­nen sind Ret­te­r:in­nen der Demografie. 40 Prozent der Kinder unter fünf sind ausländischer Herkunft

Laut Bundesarbeitsagentur ist der Beschäftigungsaufbau derzeit ausschließlich Aus­län­de­r:in­nen geschuldet. Ohne sie würden die Dienstleistungsbranchen verkümmern. Mi­gran­t:in­nen gelten medial aber erst dann als Hoffnungsträger, wenn sie für Deutschland Medaillen gewinnen oder Tore schießen. Zugewanderte, die es in Deutschland gut in den Arbeitsmarkt geschafft haben, sind übrigens besonders kritisch gegenüber Migrant:innen, die sich mit Sozialleistungen und Arbeitslosigkeit langfristig einrichten.

Mit negativem Storytelling kommt man also nicht weiter. Abgesehen davon ist jede auch indirekte Schuldzuweisung an Kriegsflüchtlinge schäbig. Die Narrative zu erweitern – nur darin liegt eine Zukunft.