Starke Stimmen aus dem Exil

Die International Journalists Association verbindet Exil­jour­na­lis­t*in­nen aus aller Welt, die wegen kritischer Berichterstattung von Repressionen betroffen sind – mit Erfolg. Die Klickzahlen ihrer Kanäle wachsen

Wurde wegen kritischer Berichter­stattung in Russland zu 16 Jahren Haft verurteilt und im Juli vorläufig entlassen: US-Journalist Evan ­Gershkovich Foto: Kevin Mohatt/reuters

Von Alexandra Welsch

Cevheri Güven ist ein türkischer Journalist, aber in seiner Heimat schreiben kann er seit zehn Jahren nicht mehr. Wegen seiner kritischen Berichterstattung über Staatspräsident Erdoğan wurde der ehemalige Chefredakteur des politischen Magazins Nokta 2015 für zwei Monate inhaftiert, und wie vielen seiner regimekritischen Kol­le­g*in­nen drohte ihm weitere, jahrelange Haft.

Also floh er aus der Türkei und kam mit seiner Familie nach Deutschland. Von hier aus berichtet er weiter über die Politik in der Türkei – etwa auf seinem eigenen Youtube-Kanal, der fast 700.000 Abon­nen­t*in­nen hat. Seine Videos werden millionenfach angeklickt. So wie er publizieren viele Be­richt­erstat­te­r*in­nen aus dem Exil.

Zusammen mit anderen aus der Türkei geflüchteten Jour­na­lis­t*in­nen hat Güven 2017 in Frankfurt die International Journalists Association (IJA) gegründet, eine international ausgerichtete Vereinigung Medienschaffender. „Unser vorrangiges Ziel ist, Exiljournalisten bei der Fortführung ihrer Arbeit zu unterstützen“, sagt Güven. Ihrer Erfassung nach sind seit 2013 circa 1.150 Kol­le­g*in­nen aus der Türkei geflohen, davon rund die Hälfte in die Europäische Union. Versammelt unter einem Vereinsdach, wollen die International Journalists die Solidarität und den Informationsaustausch untereinander stärken, Pressefreiheit und Medien­ethik fördern und natürlich berichten.

Die Journalistenvereinigung bespielt inzwischen diverse Veröffentlichungskanäle. Sie betreibt die türkischsprachigen Online-Zeitungen Turkish Minute, Velev und Bold. Darin begleiten und kommentieren die International Journalists nicht nur kritisch das politische Geschehen in der Türkei und Repressionen gegenüber Regimekritiker*innen. Sie berichten auch über Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft sowie Internationales.

Zudem bringt die IJA seit 2020 halbjährlich das Print-Magazin Journalist Post heraus. Der Fokus liegt hier auf Fragen der Pressefreiheit und ihrer weltweiten Bedrohung. Ein häufiges Thema: Türkische Investigativjournalist*innen, die wegen ihrer regierungskritischen Berichterstattung im Gefängnis sitzen. Berichtet wird aber auch über Repressalien gegen Kol­le­g*in­nen in Russland, Kolumbien, Saudi-Arabien, Afghanistan oder auf dem Balkan. Und selbst in Deutschland: Da problematisiert eine Lokalredakteurin aus der deutschen Provinz etwa den Anstieg tätlicher Angriffe gegen Journalist*innen, häufig aus rechten Kreisen.

Während die Journalist Post in einer kleinen Druckauflage von 3.000 Exemplaren erscheint, kommen die Online-Publikationen der IJA bereits auf beachtliche Reichweiten.

„Wir entwickeln mit unseren und von uns unterstützten Plattformen allein 150 Stunden Video-Content im Monat“, unterstreicht Yasemin Aydin, Director of International Affairs bei dem Verein mit inzwischen 420 Mitgliedern aus 20 Staaten. Der Youtube-Kanal von Bold etwa sei im Juni 13 Millionen Mal aufgerufen worden und die Turkish Minute sei bislang 6.400 Mal als Quelle von anderen Medien und Organisationen verwendet worden. Auch die Opposition in der Türkei nutze sie.

„Wir arbeiten vorwiegend ehrenamtlich“, betont Aydin. Finanziert wird das Ganze durch Sponsoren und inzwischen 1.800 Fördermitglieder. Der Finanzierungsbedarf steigt. Die IJA betreibt auch eine Medienakademie, engagiert sich in der Nachwuchsförderung, kooperiert mit Journalistenschulen oder Stiftungen. Sie unterstützt Exil­kol­le­g*in­nen weltweit über die Berichterstattung hinaus, etwa durch Beratung befreundeter An­wäl­t*in­nen oder Unterstützung bei publizistischen Fragen.

Nach Erfassung der IJA sind seit 2013 circa 1.150 Kol­le­g*in­nen aus der Türkei geflohen

Dass die Arbeit auch aus dem Exil heraus nicht immer einfach ist, weiß Cevheri Güven aus eigener Erfahrung: Vor knapp zwei Jahren hat die regierungsnahe türkische Zeitung Sabah ihn zur Zielscheibe erklärt und seine Adresse veröffentlicht. Seither lebt er mit seiner Familie an einem anderen Ort und steht unter Polizeischutz.

Doch es stimmt ihn und andere IJA-Aktive hoffnungsvoll, wie Journalismus im Exil trotz aller Repressalien eine wachsende Bedeutung über neue Kanäle und Non-Profit-Ansätze erlangen und seine Kontrollfunktion wahrnehmen kann.

„Das hat großes Potenzial und kann auch die Medienlandschaft verändern“, sagt Cevheri Güven. Er würde trotzdem gerne wieder möglichst bald von der Türkei aus publizieren.