Ein Bär im Winterschlaf

In der dritten Staffel der erfolgreichen Restaurant-Serie „The Bear“ scheinen die Figuren mehr zu leiden als zu kochen. Warum es sich dennoch lohnt, sie anzuschauen

Gestresstes Duo: Jeremy Allen White als Chefkoch Carmen „Carmy“ Berzatto und Sous-Chefin Ayo Edebiri als Sydney Adamu Foto: Disney+

Von Valérie Catil

Mutig ist das Wort, das die dritte Staffel „The Bear“ wohl am besten beschreibt. Die ersten beiden Staffeln der Serie über ein Chicagoer Restaurant wurden mit etlichen Preisen ausgezeichnet. Die dritte startet auf völlig andere Weise. Nicht nur für „The Bear“, für Serien überhaupt. Unterlegt mit atmosphärischer Musik reihen sich in Folge 1 Rückblicke aneinander. Sie geben Einblick in die Psyche von Carmen Berzatto (Jeremy Allen White), dem Koch, Restaurantchef und Protagonisten.

Bilder vom Schneiden, Kochen, Braten, Ernten, von echten Szenen aus Chicago, frischem Obst, Gemüse, Fisch, Bilder davon, wie Teig geknetet und Essen auf Tellern angerichtet wird. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen. Man fühlt sich beim Zusehen fast wie in Trance.

Das Risiko, auf solch unkonventionelle Art die Staffel zu eröffnen, lohnt sich: Die erste Folge ist beeindruckend, wirkt fast wie ein Musikvideo. Dennoch ist sie ein schlechtes Omen für den Rest der Staffel.

Sie wird, wie die erste Folge, handlungsarm bleiben und ein Großteil der Figuren wird in Erinnerungen festhängen.

Nachdem der Sternekoch Carmen, oder Carmy wie ihn alle nennen, den Sandwichladen „The Beef“ seines verstorbenen Bruders Mikey (Jon Bernthal) übernahm und ihn in ein gehobenes Restaurant namens „The Bear“ verwandelte, geht es in Staffel 3 darum, dass Carmy sich einen Stern erkochen will. Er und sein Team streben mit ausgeklügelten Menüs, den besten Produkten und raffinierten Kochtechniken kulinarische Exzellenz an. Doch dabei verwandelt sich das Restaurant in einen toxischen Arbeitsort. Zwischenmenschliches bleibt auf der Strecke.

Besonders die Beziehung zu Sydney (Ayo Edebiri), Carmys Geschäftspartnerin und Sous-Chefin, kühlt aus. Es gelingt ihnen nicht mal mehr, sich in der Küche zu inspirieren. Jeder scheint in der eigenen mentalen Blase gefangen zu sein. Carmy ist traumatisiert vom Selbstmord seines Bruders und kommt nicht über seine Ex Claire hinweg.

Er hört mit dem Rauchen auf und hat neben dem Bruder- auch Kühlschranktrauma, nachdem er sich im vorigen Staffelfinale dort einsperrte.

Sydney leidet unter PDF-Dokument-Trauma, denn das kann sie nicht unterzeichnen, um vollwertige Geschäftspartnerin zu werden, auch weil sie ein Job­angebot von einem anderen Restaurant bekommt. Der Patissier Marcus (Lionel Boyce) ist deprimiert wegen des Todes seiner Mutter. Auch Carmys Schwester, Natalie (Abby Elliott), hat Mutter-Trauma – spätestens seit dem desaströsen Weihnachtsabend in „Fische“ (S2/E6) ist klar, warum. Carmys Cousin, der Kellner Richie (Ebon Moss-Bachrach) ist furchtbar einsam und alle sind konstant schlecht gelaunt.

Es mag dafür relevant sein, wie man die Charaktere versteht, doch es macht nicht wirklich Spaß. Nur die Faks, Carmys Cousins, sorgen für ein bisschen Heiterkeit. Leider machen sie das mit unerträglichem Slapstick, für den viel zu viel Sendezeit geopfert wird, statt die Handlung etwas voranzutreiben.

Sie sind wohl der einzige Grund, warum „The Bear“ ­theoretisch als Komödie gilt. Dabei ist das einzig Lustige an der deprimierenden Serie, dass sie als Komödie kategorisiert wurde.

Obwohl es nur schleppend vorangeht, fühlt man sich beim Zusehen oft gestresst. Das liegt nicht nur am ständigen Rumschreien, „Hands!“, „Behind!“, „Shut the fuck up, Chef!“, auch am Visuellen: Stellenweise sind die Aufnahmen regelrecht klaustrophobisch. Oft verbringt man – wie auch in Staffel 2 – lange Szenen oder eine gesamte Folge an einem einzigen Ort.

Hinzu kommen Ultranahaufnahmen, die einem jede einzelne Mikroexpression der Schauspieler_innen zeigen.

Ihre Leistungen sind weiterhin überragend. Fantastisch ist die Folge „Ice Chips“, in der die schwangere Natalie niemanden telefonisch erreichen kann, als die Wehen einsetzen und sie gezwungen ist, ihre neurotische Mutter Donna (Jaime Lee Curtis) ins Krankenhaus zu bestellen.

40 TV-Minuten lang bringt einen das Drama im Kreißsaal mal zur Weißglut, zum Lachen, dann zum Weinen, während man dabei zusieht, wie sich Mutter und Tochter wieder annähern, nachdem sie eine Ewigkeit keinen Kontakt hatten.

Obwohl es nur schleppend vorangeht, fühlt man sich beim Zusehen oft gestresst

Eins schmeckt wirklich bitter: „The Bear“ ist ein einziges Gentrifizierungsprojekt.

Charaktere wie Ibrahim, ein Sandwich-Macher, der das kritisiert, werden einfach dargestellt, als sträubten sie sich vor Veränderung. Die ehemaligen Kund_innen von „The Beef“ werden sich Carmys 175-Dollar-Menüs jedenfalls nicht leisten können. Ist „The Bear“ eine Selbstbestätigung für Carmy oder eine Notwendigkeit, weil sich sein kulinarisches Genie irgendwo materialisieren muss – koste es, was es wolle?

Staffel 3 und die finale Staffel 4 sollen am Stück gedreht worden sein. Wenn die nächste sitzt, könnte es sein, dass man diese Staffel aus einer anderen Per­spek­tive betrachten kann, birgt sie doch viel Tiefe, viel Vorbereitung und Antizipation.

Möglicherweise wird sie sich sogar zum Favoriten unter Fans entwickeln. Gerade aber wirkt es so, als sei „The Bear“ im Winter­schlaf.