Trost auf Brettern

Der Filmkritiker und Gurgelexperte Patrick Holzapfel erzählt in seinem Debüt „Hermelin auf Bänken“ von einem Bankier besonderer Art

Von Birthe Mühlhoff

Ein himmelweiter Unterschied, sollte man meinen, besteht zwischen einer Sitzbank im Park und der Bank als Kreditinstitut. Tatsächlich kommt auch das Wort „Bank“ für den Ort, an dem mit Geldgeschäften die Welt gestaltet wird, ursprünglich von einem länglichen Holzmöbel. Die italienische banca war ein Tisch, an dem man seit dem 13. Jahrhundert Wechselgeschäfte tätigte.

Im Debütroman „Hermelin auf Bänken“ von Patrick Holzapfel erfährt man solcherlei etymologisches Hintergrundwissen nicht. Es ist ein schmaler Band, angenehm unüberfrachtet, unaufgebauscht und unaufgeregt. Ein kleiner Roman über das Sitzen auf Bänken in Wien. Der Ich-Erzähler, der für seine Stunden auf Parkbänken sein Studium schleifen lässt, nennt sich, mit verschmitztem Stolz „Bankier“. Und mit einigem Unverständnis sieht er zu, wie sein alter Studienfreund Prince ins ernste Arbeitsleben wechselt.

Er sitzt auf Bänken. Das klingt im Buch zunächst genauso ziellos, wie man es sich vorstellt. Da passiert erst einmal gar nicht viel. Der Bankier sitzt. Seine Gedanken wandern.

Patrick Holzapfel: „Hermelin auf Bänken“. Roh­stoff Verlag, Matthes & Seitz, Berlin 2024, 166 Seiten, 12 Euro

„Donaukanalstraße, 4. August, 19:55 Uhr. Grau-braunes Modell mit roter Metallstange, die als Verbindungsglied, Armlehne und als Beine zugleich dient. Lehne und Sitzfläche jeweils einbrettrig. Bank steht zusammen mit Zwillingsbank ungefähr einen Meter abgesetzt von der Uferpromenade am Donaukanal; Blick auf das Wasser.“

Es gibt Exemplare aus Holz, Metall, Beton. Manche sind funktional, manche verschnörkelt, einige zerkratzt und mit Sprüchen bedeckt. Manche Bänke kommen auch in „Rudeln“ vor, „wie alte Hunde“ aneinander gekettet. „Sie winseln, das kann man hören.“

Als man beim Lesen schon fast nicht mehr damit rechnet, schält sich ganz sachte doch noch eine Art Handlung heraus. Denn jedem mit Datum versehenen Bank-Porträt folgt eine Erzählung darüber, was dem Ich-Erzähler beim „Bankieren“ durch den Kopf geht und wer ihm dabei begegnet. Angefangen hat alles mit dem Hermelinkönig. Einem Obdachlosen, der auf einer Bank saß, in einem höchst teuren weiß-schwarzen Pelzmantel aus Hermelin. Alle, die auf der Straße leben, scheinen ihn zu kennen. Doch nach der ersten wortlosen Begegnung ist er wie vom Erdboden verschluckt. Ihn wiederzutreffen wird zur fixen Idee unseres Bankiers.

Und so lässt er sich durch die Stadt treiben. Probiert sämtliche Sitzgelegenheiten aus. Hält die Merkmale der Bänke fest, auf denen er verweilt. Das erinnert ein wenig an die Pollerforschung von Helmut Höge: Der langjährige taz-Autor widmete sich in ähnlich akribischer oder sollte man sagen manischer Weise sämtlichen Formen, Farben und Funktionen von Straßenbegrenzungspfählen. Auch dem Buch über die Pollerforschung entströmt etwas merkwürdig Tröstliches: Jemand richtet einen liebevollen Blick auf etwas, an dem sonst achtlos vorbeigegangen wird. Immerhin!

Wenn schon nicht er selbst, so steht doch zumindest die Bank, auf der er sitzt, mitten im Leben

Die sinnlose Suche nach dem Hermelinkönig bleibt letztlich Sinnbild für eine Suche, für die es kein Bild gibt. Es ist die Suche nach Trost. Denn wohin mit der Trauer, wenn jemand, der teuer war, gestorben ist? Wenn man der Letzte in einer Familie ist? Zu wem? Es ist ausgerechnet der öffentliche Raum, der unserem Bankier Halt gibt. Wenn schon nicht er selbst, so steht doch zumindest die Bank, auf der er sitzt, mitten im Leben.

In literarischen Debüts wird nicht selten das eigene Leben verarbeitet. Autofiktion ist das Stichwort, unter dem Schreibende über sich selbst schreiben können, ohne sich angreifbar zu machen, weil für die Lesenden schwer zu erkennen ist, was autobiografisch und was fiktional ist. Das trifft auf „Hermelin auf Bänken“ aber dankenswerterweise nicht zu: Der Roman ist ein Roman. Man kann ihn ganz entspannt lesen, beispielsweise auf einer Parkbank in Wien, ohne sich um die psychische Gesundheit des Autors Sorgen machen zu müssen.

Grünes Modell mit schwarzen Metallstangen, Lehne und Sitzfläche jeweils einbrettrig Foto: Christian Bruna/epa

Denn mit seinem grundsympathischen, aber etwas behäbigen Protagonisten hat der 1989 in Augsburg geborene Patrick Holzapfel wohl nur gemein, dass auch er in Wien lebt. Er scheint derart überzeugter Wahlwiener zu sein, dass sein erster Roman (der immerhin von einem Deutschen handelt und in einem deutschen Verlag erscheint) unleugbar österreichischen Einschlag hat: Mülleimer heißen Mistkübel, Obdachlose sind „Sandler“. Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass man von Patrick Holzapfel hört: Im Studium gründete er den Kino-Blog „Jugend ohne Film“. Und beim 30. Open Mike 2022 gab er seinen Text „Gurgelgeräusche“ zum Besten, den Monolog aus Sicht eines alternden Politikers: „Man kann nicht gurgeln in der Politik. Man hat zu schlucken.“ Wohlverdient gewann er damit sowohl den Prosa-Preis der Jury als auch den taz-Publikumspreis.

Ist „Hermelin auf Bänken“ politisch zu verstehen? Handelt es sich um ein poetisches Plädoyer für mehr Müßiggang? Ein Vorschlag für eine alternative, kostengünstige Form der Psychotherapie? Parkbank statt roter Couch? Oder ist es andersherum, müsste man dem Roman vorwerfen, dass er unpolitisch ist? Eine wohlfeile Romantisierung von Obdachlosigkeit?

Angenehmerweise stellt der Roman selbst keine Behauptung darüber auf, inwiefern er politisch die Welt verändern will. Er macht nichts anderes, als von einer gewissen Lebenslage erzählen. Von einem Menschen, der auf die existenzielle Frage „Wohin mit mir?“ eine etwas ungewöhnliche, aber doch eigentlich naheliegende Antwort hat: Erst mal hinsetzen!