Die Pflanze der Zukunft

Wilhelm Schäkel gehört zu Pionieren des Öko-Landbaus in Ostdeutschland. Auf seiner Bio-Ranch in Zempow in Brandenburg will er jetzt für den Berliner Cannabis Social Club „Highground“ Marihuana anbauen

Der Biobauer Wilhelm Schäkel in seinem Hanffeld. Dort wird noch Nutzhanf angebaut. Foto: Plutonia Plarre

Von Plutonia Plarre

Eine steife Brise geht über das Ostprignitzer Land. Auf Stoppelfeldern picken Kraniche und Krähen die Reste der Ernte auf. Eine Rinderherde ruht auf einer sattgrünen Weide. Noch eine Kurve mit dem Fahrrad, noch ein Hügel. Dann, hinter einer Biegung kurz vor dem Dörfchen Zempow – ein großes Hanffeld. Dicht an dicht stehen die schlanken hochgewachsenen Pflanzen mit den fingerartigen Blättern und recken ihre Blütenspitzen der Sonne entgegen.

Die Hanfplantage gehört zur Bio-Ranch Zempow. Gelegen ist die am Rand der Mecklenburgischen Seenplatte, Betreiber sind die Eheleute Swantje und Wilhelm Schäkel. Rund 500 Hektar gehören zum Hof, ein Teil davon sind Wald und Naturschutzflächen, auf 50 Hektar hat Wilhelm Schäkel Nutzhanf angebaut. Öl, Tee, der Wirkstoff CBD sowie Baumaterialien werden aus der Ernte gemacht. Aber Schäkel hat noch mehr vor. THC-haltigen Hanf, Cannabis genannt, will er künftig anbauen. Die Entkriminalisierung des Rauschmittels ermöglicht ihm das.

Seit April dürfen Erwachsene zum Eigenkonsum bei sich zu Hause Cannabis anbauen, bis zu drei Pflanzen pro Person sind erlaubt. Auch über nicht kommerzielle Anbauvereinigungen, sogenannte Cannabis Social Clubs (CSC), dürfen die Konsumenten Cannabis beziehen. Seit 1. Juli können eingetragene Vereine die Anträge auf Zulassung zum Anbau stellen. Während erste Vereine in Niedersachsen bereits eine Erlaubnis erhalten haben, kommt ausgerechnet die Kifferhauptstadt Berlin nicht aus den Hufen. Noch nicht mal geklärt ist bislang, welche Behörde für die Erteilung der Erlaubnis zuständig ist. (Siehe Seite 21).

Die Vorbereitungen der Clubs für den Anbau laufen derweil auf Hochtouren. „Sobald die Genehmigung da ist, soll es losgehen“, sagt Oliver Waak-Jürgensen, Vorsitzender des CSC Highground, einer von rund 20 Berliner Clubs. Ausgehend von 150 Highground-Mitgliedern hat Waak-Jürgensen für den Verein einen Monatsbedarf von sechs Kilogramm Cannabis errechnet. Gedeckt werden soll diese Menge sowohl durch Indoor- als auch Outdoor-Anbau. Eine Anbauvereinigung, so ist es im neuen Cannabis-Gesetz geregelt, darf höchstens 25 Gramm pro Tag und höchstens 50 Gramm Cannabis pro Monat je Mitglied abgeben.

Outdoor ist das Stichwort, bei dem Wilhelm Schäkel ins Spiel kommt. Der 62-jährige Biobauer, groß, graue Haare, Brille, gehört zu den Pionieren des Öko-Landbaus in Ostdeutschland. Schäkel hat den CSC Highground in Berlin vor zwei Jahren mitgegründet, sein „Heimatverein“ ist aber der CSC Wittstock/Dosse, eingetragen als CSC Weedstock. Das 140 Seelendorf Zempow, Standort der Bio-Ranch, gehört zu Wittstock/Dosse.

200 Quadratmeter Acker will Schäkel den Leuten vom Highground zunächst für den Cannabisanbau zur Verfügung stellen. Er gehe davon aus, dass eine Menge Bürokratie auf ihn zukomme, noch mehr, als er es aus seiner langjährigen Tätigkeit als Landwirt gewohnt sei, sagt Schäkel. Aber auch das werde er meistern.

Die Landkreise Prignitz und Ostprignitz-Ruppin sind mit einer Fläche von rund 1.300 Hektar das Hauptanbaugebiet für Nutzhanf in Deutschland. 50 Hektar davon beackert Schäkel seit 2015. Beim Besuch der taz auf dem Hof outet er sich als Fan der Pflanze, die zu einem festen Bestandteil seiner Feldfrüchte geworden ist. Das Ergebnis lässt sich in einer riesigen Scheune bestaunen, in der sich Hanfkalkmanufaktur befindet. Hanfkalksteine in verschiedenen Größen trocknen auf Regalen, Dämmwolle aus Hanf ist zu Haufen getürmt. Ein perfektes Naturmaterial für energetische Sanierungen, schwärmt Schäkel. Sein Traum sei, eine Siedlung aus natürlichen Baustoffen, mit dem Schwerpunkt auf Hanf, zu bauen, verrät er.

Noch weiter geht die Lobesrede: Hanf sei eine Zukunftspflanze in Zeiten des Klimawandels, sagt Schäkel. Die Pflanze habe eine ausgesprochen positive Klimabilanz. Beim Wachstum wandele sie mithilfe des Sonnenlichts besonders viel Kohlenstoff aus der Luft um.

1992 hat Schäkel in Zempow angefangen, auf von Monokulturen ausgelaugten Böden die ohnehin sehr sandig sind. „Mit 30 Bodenpunkten kann man hier eigentlich keine Landwirtschaft machen“, sagt Schäkel. Die Eltern hatten in Ostwestfalen einen Bauernhof, der Sohn hat Philosophie studiert und in Agrarpolitik promoviert. Niedergelassen hat er sich nach der Wende in einer Region, in der die Arbeitslosigkeit besonders hoch war. In den 32 Jahren, die er inzwischen in Zempow ist, sei es gelungen, durch Humusaufbau die Bodenfruchtbarkeit deutlich zu erhöhen, sagt Schäkel. Hauptfaktor sei eine siebenjährige Fruchtfolge und das Ausbringen von Rindermist. Konsequente Entwicklung der Bodenfruchtbarkeit nennt Schäkel das.

Zehn Menschen haben die Schäkels auf der Bio-Ranch beschäftigt. Die Felder würden überwiegend ohne Pflug, mit Grubber und Untergrundlockerer bearbeitet, erzählt der Bauer bei dem Rundgang. Neben 280 Angus-Rindern, eine aus Schottland kommende Rasse, gibt es Pferde, Schafe und Ziegen. Haupterwerbsquelle des Betriebs seien jedoch die 28 Ferienbetten und Seminarangebote. Zum Beispiel wird „Kuhflüstern“ angeboten, der Chef macht das selbst. Ziel ist, eine Kuh durch Körpersprache dazu zu bringen, in eine bestimmte Richtung zu laufen. In dem Seminar wird das auf der Weide auch praktisch geübt. Auch Kommunikationsseminare für Manager bietet Schäkel an. Wie passt das alles zusammen? Die Manager-Seminare entsprächen eigentlich nicht seiner inneren Welt, sagt der Biobauer.

Schäkel ist ein Mensch mit einem großen Mitteilungsdrang, nicht immer gelingt es, seinen Gedankengängen zu folgen. Es kristallisiert sich heraus, dass ihm an einer Gesellschaftsform ohne Machtausübung und Stress gelegen ist, an gleichwertigen kooperativen Verhältnissen, und – ganz wichtig – „ohne Giftspritzerei“ in der Landwirtschaft.

Mensch und Natur zu verbinden, das sei sein Anliegen, sagt Schäkel. „Wieder ins Fühlen zu gehen“. Als Esoteriker bezeichnet werden will er nicht, aber als Metaphysiker. Was ist der Unterschied? „Ich habe einen glasklaren wissenschaftlichen Anspruch“, sagt Schäkel.

Und was treibt ihn, Cannabis anzubauen? Schäkel holt ein bisschen aus, verweist auf die Geschichte: Hanf sei eine jahrhundertealte Kulturpflanze, sehr ertragreich und vielseitig einsetzbar, nicht zuletzt für medizinische Zwecke. Kaputtgemacht worden sei sie durch die Prohibition. „Der größte Feind von Cannabis ist der Kapitalismus“, bringt es Schäkel auf den Punkt. Nicht nur die Pharmaindustrie hat er da im Blick. Und dann wird der Bauer philosophisch: „Der Hanf war eine Pflanze der Freiheit. Das muss sie auch wieder werden“.

Seinen Hanftee, „first flush“, konnte Schäkel in Deutschland nicht mehr vermarkten, weil ihm ein übereifriger Berliner Staatsanwalt zu viele Steine in den Weg gelegt hat. Seither beliefert er Spanien. Mit Cannabis werde das Leben für ihn nicht einfacher, vermutet der Biobauer. Noch nicht einmal die Anforderungen der Behörden an den Outdoor-Anbau seien bisher bekannt gemacht worden. Wie muss das Feld gesichert sein? Wie hoch der Zaun? Reicht ein Sichtschutz oder braucht es eine Videoüberwachung? Wie weit muss das Feld von dem Aufenthalt von Kindern entfernt sein? „Nichts ist klar, das ist das Problem“, sagt Schäkel.

Eigentlich sei es Usus, dass das Landwirtschaftsamt die Bauern einlade, wenn es neue Richtlinien für den Ackerbau gebe. Auch darauf warte er noch. Er blicke mit Spannung nach Niedersachsen, sagt Schäkel, „die sind ja schon ein bisschen weiter“.

„Cannabis ist etwas für die Generation 50plus zur Lebens- und Gesundheits­unterstützung“

Wilhelm Schäkel, Biobauer

Nur Vereinsmitglieder dürfen Pflanzen anbauen, gießen, düngen, beschneiden – keine bezahlten Beschäftigten, auch das steht im Gesetz. Davon gehe er aus, sagt Schäkel. Dem CSC Highground werde er Fläche und Know-how zur Verfügung stellen, „aber die müssen mitarbeiten, das ist ja keine kommerzielle Angelegenheit“. Und noch etwas ist Schäkel wichtig. Feldanbau unter Sonne und freiem Himmel. Kunstlicht lehne er als Biobauer ab. Denkbar sei aber, die Pflanzen im Gewächshaus oder unter Folie vorzuzüchten.

Beim CSC Highground rennt er damit offene Türen ein. „Kunstlicht machen wir beim Indoor-Anbau“, sagt Oliver Waak-Jürgensen. Wo das geschehen werde, sei aber noch unklar. Was Schäkel betrifft: Zudem habe man volles Vertrauen, betont Waak-Jürgensen. „Das ist ein echter Fachmann für Hanfanbau.“

Am Ende des Besuchs auf der Bio-Ranch gibt sich Schäkel auch selbst als Connaisseur von Cannabis zu erkennen. Gelegentlich, in vaporisierter Form. Am liebsten sei ihm die Sorte Sativa, die ein leichtes High erzeuge, man aber noch gut am Computer arbeiten könne. Er gehöre nicht zu den Leuten, die einen 24-prozentigen THC-Gehalt favorisieren, sagt Schäkel. „Drei Stunden wie mit Druckluft auf dem Sofa festgenagelt zu sein“ – das sei nicht sein Ding.

Cannabis, findet Schäkel, sei eher was für die Älteren, 50plus, als Lebenserleichterung und zur gesundheitlichen Unterstützung. Und was gibt ihm der Konsum ganz persönlich? „Cannabis kann ins Fühlen zurückbringen“, sagt der Biobauer. An dieser Stelle klingt das ziemlich stimmig.