Beten unterm Radar

Etwa 30.000 Mus­li­m:in­nen leben in Brandenburg. Ihnen fehlt es oftmals an Räumen, um ihren Glauben ausleben zu können. Auch die Politik scheint sich wenig für sie zu interessieren. Über einen schwerfälligen Prozess der Integration

30 Quadratmeter Toleranz: der einzige muslimische Gebetsraum von Neuruppin

Aus Fürstenwalde und Neuruppin Sabina Zollner
(Text) und Wolfgang Borrs (Fotos)

Nur ein kleiner Ventilator surrt, als der Imam anfängt, ein kurzes Gebet auf Arabisch zu sprechen. Das melodische Flüstern bricht mit der Stille im Raum, es ist das Nachmittagsgebet, das dritte und letzte Gebet vor dem Sonnenuntergang. Neben dem Imam kniet Maher Azzam auf einem roten Teppich in einem etwa dreißig Quadratmeter großen Raum. Fenster gibt es hier keine, zwei Deckenlampen spenden weißes grelles Licht. Der Raum ist Teil des Gebäudes des christlichen Vereins Esta Ruppin, eine klassizistische Stadtvilla direkt am Bahnhof von Neuruppin gelegen. Azzams Blick ist konzentriert auf den Boden gerichtet, vor ihm liegt ein kleiner grüner Gebetsteppich – ausgerichtet nach Mekka. Das Gebet ist ein Moment des Innehaltens, um kurz der Hektik des Alltags zu entkommen. An der Wand hängt eine weiße Tafel, auf der arabische Buchstaben zu lesen sind, daneben eine elektronische Anzeige mit den Gebetszeiten, es ist gerade kurz nach halb sechs.

In den Gebetsraum kommen unter Woche nur wenige Muslim:innen, freitags versammeln sich jedoch sechzig bis siebzig Menschen für das Freitagsgebet. Manche reisen hierfür bis zu einer Stunde aus dem Umland an. An großen Feiertagen wie dem Zuckerfest besuchen bis zu 150 Menschen den Verein, die Frauen beten dann in den Innenräumen, die Männer draußen. „Wir hätten gern unsere eigene Moschee mit mehr Platz, aber es ist schwierig, eine Immobilie zu finden“, sagt Azzam. Der 50-jährige trägt Jeans und Sneakers, hinter einer schmalen Brille blicken freundliche Augen hervor.

Azzam arbeitet bei dem christlichen Verein Esta Ruppin, er unterstützt hauptsächlich Geflüchtete bei der Arbeitssuche, Behördengängen oder anderen bürokratischen Herausforderungen. Er ist zudem Vorsitzender des Vereins Al Salam, der Mus­li­m:in­nen in Neuruppin vernetzt. Er hat auch den Gebetsraum auf die Beine gestellt. Dass die Gemeinde keinen größeren Raum findet, hängt einerseits mit fehlenden finanziellen Ressourcen zusammen. Andererseits hat Azzam aber auch das Gefühl, dass viele Ver­mie­te­r:in­nen Vorbehalte hätten, einem muslimischen Verein Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Mit seinem Verein versucht er, diese Vorbehalte aus dem Weg zu räumen.

Neuruppin ist ein Ort in Brandenburg, an dem sich in den vergangenen Jahren immer mehr ­Mus­li­m:in­nen niedergelassen haben. Etwa 30.000 bis 35.000 leben mittlerweile in dem säkular geprägten Bundesland. Wie viele Gemeinden es insgesamt gibt, ist nicht bekannt. Die Gebetsräume erlauben Mus­li­m:in­nen, ihre Religion auszuüben. Für viele ist es auch ein Ort der Begegnung, an dem man sich austauschen und neue Kontakte knüpfen kann. Dass Mus­li­m:in­nen nicht genügend dieser Räume haben, ist ein strukturelles Problem in Brandenburg. ­Besonders auf dem Land müssen sie teils lange Fahrten auf sich nehmen. Auch fehlt es an finanzieller Unterstützung und Sichtbarkeit der ­Gemeinden. Woran liegt das? Und was hat das für Folgen?

Szenenwechsel in die Kita Kunterbunt, in der Maher Azzam wenige Stunden vor dem Gebet ein Sommerfest besucht. Auf einer Bühne haben sich etwa fünfzehn Kinder mit orangefarbenen T-Shirts und glitzernden Kronen auf dem Kopf ­versammelt, um einen Bienensong zu performen. Links neben der Bühne sind Bierbänke und Tische aufgestellt, Kinder rennen mit Zuckerwatte durch die Gegend, an einem Stand kann man an einem Dinosaurier lernen, wie man sich ordnungsgemäß die Zähne putzt. Mitten in der Kindergartenidylle hat Maher Azzam seinen Stand aufgestellt, er will bei dem Kindergartenfest das muslimische Leben Neuruppins sichtbar machen. Auch seine Tochter sowie weitere Gemeindemitglieder sind gekommen. Azzam wirkt bemüht, hat permanent ein kleines Lächeln auf den Lippen. Der gebürtige Syrer möchte mit Bür­ge­r:in­nen aus Neuruppin ins Gespräch kommen und bei Interesse Fragen über den Islam beantworten.

„Was kostet das?“ fragt ein kleines Mädchen Azzams 15-jährige Tochter Jasmina und zeigt auf ein paar Bulgurbällchen, die auf einem Biertisch liegen. „Ein Euro“, antwortet sie. Das Mädchen schaut weiter verdutzt, weil sie womöglich nicht genau weiß, was da auf dem Teller vor ihr liegt, bleibt noch einen Moment stehen, zischt dann ab Richtung Waffelstand.

„Mein Vater arbeitet zu viel“, erzählt Jasmina lachend. Fast zwei Stunden täglich widmet Azzam seiner Arbeit für die Gemeinde. Auch die 15-Jährige ist dort aktiv, samstags trifft sie sich regelmäßig mit anderen Muslima, um sich zu Religionsfragen auszutauschen. Sie wohnt seit 2017 in Neuruppin. Ihr Vater kam bereits Mitte 2015, eineinhalb Jahre später holte er die Familie nach. Zwei Monate verbrachte er in einem Erstaufnahmelager in Eisenhüttenstadt, bevor er in einem Wohnheim in der Nähe von Neuruppin landete. Fast ein Jahr war er dort, wartete auf die Genehmigung seines Asylantrags. „Mir war damals wahnsinnig langweilig, deshalb packte ich mit an“, sagt er. In Hama, seinem Heimatort in Syrien, hatte er als Englischlehrer gearbeitet, das kam ihm jetzt zugute. Er half den Mit­ar­bei­te­r:in­nen des Wohnheims mit Übersetzungen. In dieser Zeit lernte er auch Christiane Schultz kennen, Geschäftsführerin des christlichen Vereins Esta Neuruppin.

Die beiden freundeten sich an, 2016 erhielt er einen festen Arbeitsvertrag bei Esta. Anfangs leistete er hauptsächlich Übersetzungsarbeiten, später startete er ein interkulturelles Sprachcafé, mittlerweile unterstützt er hauptsächlich Geflüchtete. Der Verein stellt nicht nur den Gebetsraum zur Verfügung, er gestaltet auch regelmäßig Veranstaltungen der Stadt mit, erst kürzlich waren sie bei den „Toleranzräumen“ vertreten, einem Veranstaltungsformat, bei dem Menschen aus ganz unterschiedlichen Milieus über gesellschaftliches Zusammenleben diskutieren. Sonntags können Kinder und Jugendliche in den Gebetsräumen Arabisch lernen. Das ist vielen Gemeindemitgliedern wichtig, denn auch wenn viele zu Hause Arabisch sprechen, ist der Unterricht nötig, um richtig lesen zu lernen. Genau wie die Freitagsgebete wird auch der Arabisch-Unterricht von Ehrenamtlichen gestemmt, die keine offizielle Ausbildung haben. Die fehlende Ausbildung erschwert es dem Verein, Fördermittel zu beantragen. Und ausgebildete Arabischlehrer kann sich der Verein nicht leisten.

Bisher werden vom Land Brandenburg hauptsächlich Gemeinderäume bezahlt, für Personalkosten wird bislang nichts beigesteuert. Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur hat im Jahr 2023 etwa sieben muslimische Gemeinden mit insgesamt 100.758 Euro unterstützt. Eine davon ist die Gemeinde in Neuruppin, sie bekommt das Geld für die Miete vom Ministerium bezahlt. Anders als bei der Kirche gibt es keine Steuer, die Mus­li­m:in­nen zahlen, um Imame oder Moscheen zu finanzieren. Deshalb sind die Gemeinden auf Mitgliedsbeiträge oder Spendengelder angewiesen. Fehlt das Geld, sind es oftmals Privatpersonen, die sich ehrenamtlich engagieren. Inwieweit Spendengelder aus dem Ausland an die muslimischen Gemeinden fließen, ist weder in Brandenburg noch bundesweit erfasst.

„Die Gemeinden werden vor allem bei der Suche nach geeigneten Räumen zu wenig unterstützt. Das sorgt für Unverständnis. Sie haben das Gefühl, alleine gelassen zu werden“, sagt Doris Lemmermeier. Sie war elf Jahre lang Integrationsbeauftragte im Land Brandenburg. Sie sieht die Verantwortung dafür auch bei der Politik, die sich wenig für die Belange von Mus­li­m:in­nen zu interessieren scheint.

Dieser Text ist Teil unserer Berichterstattung zu den Wahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die taz zeigt, was hier in diesem Jahr auf dem Spiel steht.

Das zeigt auch ein Blick in die Wahlprogramme der Parteien vor den Landtagswahlen in diesem Jahr. Lediglich die Grünen erwähnen knapp, dass sie die „Einrichtung von Gebetsräumen unterstützen“. Die AfD nennt Mus­li­m:in­nen nur, um ihre rassistische Politik zu propagieren: Sie will das Tragen von Kopftüchern in Schulen sowie anderen öffentlichen Einrichtungen unterbinden sowie eine angebliche Islamisierung der Städte aufhalten. Bei SPD, Linke und CDU werden Mus­li­m:in­nen mit keinem Wort erwähnt. „Die Po­li­ti­ke­r:in­nen trauen sich oftmals nicht, auf der Seite der Muslime zu stehen. Sie haben Angst, dass sie dafür bei den Wahlen abgestraft werden.“ Dabei wäre es wichtig, da die meisten ihren Glauben einfach nur friedlich ausleben wollen, so Lemmermeier. Auch könnte man durch mehr finanzielle Unterstützung verhindern, dass islamistische Geldgeber aus dem Ausland versuchen, das Gemeindeleben zu beeinflussen. Und womöglich besser kontrollieren, welche Imame in den Gebetsräumen Predigten halten.

Warum das wichtig ist, zeigt sich an der muslimischen Gemeinde in Fürstenwalde. Dort knallt an einem Freitagnachmittag Ende Juni in einem Industriegebiet die Sonne auf den Beton eines Parkplatzes, im Hintergrund sind Straßengeräusche zu hören. Hinter einem vergitterten Fenster eines einstöckigen weißen Gebäudes ist von außen ein Regal zu erkennen, in dem sich unzählige Schuhe stapeln. Hinter einer angelehnten Tür knien ein paar Männer auf einem Teppich, nach ein paar Minuten erheben sie sich nach und nach, strömen dann eilig aus dem Gebäude. Im Islamischen Zentrum in Fürstenwalde endete gerade das Freitagsgebet. Die meisten gehen direkt zu ihrem Auto oder Fahrrad, andere schütteln einander die Hände und trinken noch gemeinsam ein Glas Tee.

Darunter ist auch Islam Al Najjar, der Vorsitzende des Vereins Al Salam, der die Moschee betreibt. Durchschnittlich 150 Menschen kommen pro Woche hierher, um gemeinsam zu beten, sagt er. An Feiertagen sind es auch mal doppelt so viel, dann werden auch auf dem Parkplatz Teppiche ausgelegt. In den letzten Jahren seien es sehr viel mehr geworden, vor allem seit Tesla 2022 hier im Landkreis seine Produktion gestartet hat, erzählt Al Najjar. Doch Ende des Jahres muss der Gebetsraum schließen. „Die Stadt hat uns zu einem politischen Ort erklärt und damit plattgemacht“, sagt er. Die Gemeinde wurde vergangenen Sommer als extremistische Bestrebung eingestuft, laut dem Brandenburger Verfassungsschutz ist sie die erste und bisher einzige Gemeinde in Brandenburg. Insgesamt gibt es in dem Bundesland 220 Personen, die der islamistischen Szene zugeordnet werden. Die Stadt hat nach der Einstufung das Grundstück gekauft, auf dem sich die Moschee befindet, der Pachtvertrag läuft Ende des Jahres aus.

Laut dem Brandenburger Verfassungsschutz haben der Vereinsvorsitzende sowie der Imam antisemitische Narrative verbreitet und das Existenzrecht Israels negiert, wie aus einer Klage­erwiderung des Innenministeriums hervorgeht, die der taz vorliegt. Der Verfassungsschutz wirft den beiden zudem eine Nähe zur Hamas sowie der Muslimbruderschaft vor. Grundlage für die Einstufung sind verschiedene Facebook-Beiträge des Vereinsvorsitzenden und des Imams. Dem Imam Maher El-Chooli wird unter anderem vorgeworfen, den Terrorangriff vom 7. Oktober, mit „Was für ein schöner Tag“, kommentiert zu haben. Er bestritt dies später öffentlich, sagte gegenüber dem RBB, dass er sich auf einen islamischen Ehevertrag bezogen habe, den er für seinen Stiefsohn abgeschlossen habe.

An diesem Freitag hat Al Najjar die Gemeinde informiert, dass sie Ende des Jahres schließen soll und der Verein aufgelöst wird. Nach dem Gebet sitzt er mit ein paar Gemeindemitgliedern an einem kleinen Tisch im Gebetsraum. Die Luft ist stickig und heiß, man spürt, dass hier gerade Dutzende Menschen auf engem Raum miteinander gebetet haben. Auch hier ist eine Tafel mit arabischen Buchstaben zu sehen, an der Kinder und Jugendliche am Wochenende Arabisch lernen. Al Najjar findet es falsch, welche Konsequenzen aus dem Bericht gezogen wurden. „Die gesamte Gemeinde sollte nicht für die Fehler von Einzelnen bestraft werden“, sagt er. Ein junger Mann, der neben Al Najjar am Tisch sitzt, nickt. „Die Leute sind wie eine Familie hier, wir unterstützen uns gegenseitig, wir brauchen diesen Ort“, sagt er.

„Die Gemeinden werden bei der Suche nach Räumen zu wenig unterstützt“

Doris Lemmermeier, Ex-Integrationsbeauftragte

Der Anfang-dreißig-Jährige ist vor zwei Jahren nach Fürstenwalde gekommen, um im 20 Kilometer entfernten Tesla-Werk in Grünheide zu arbeiten. Die Gemeinde habe ihm ermöglicht, sozialen Anschluss zu finden, ohne sie hätte er seine jetzige Wohnung nicht gefunden. Aber auch andere haben von der Gemeinde profitiert. Vor der Nennung durch den Verfassungsschutz haben einige Kinder und Jugendliche eine Förderung in Höhe von 15 Euro monatlich zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben vom Landkreis Oder-Spree erhalten. Damit wurde der Arabisch-Unterricht finanziert, dieser musste seit vergangenem Sommer aufgrund der Einstufung des Verfassungsschutzes ausfallen.

In der Gemeinde in Fürstenwalde beten Mus­li­m:in­nen aus ganz unterschiedlichen Herkunftsländern. Mit der Schließung wird für sie alle ein Ort der Begegnung verloren gehen. Hätte das ­verhindert und eine andere Lösung als eine ­komplette Schließung gefunden werden können?

Anruf beim Bürgermeister Matthias Rudolph, der vergangenes Jahr selbst von dem Verfassungsschutzbericht überrascht wurde. Dass die Stadt das Areal gekauft hat, war laut Rudolph die einzige Möglichkeit, sicherzustellen, dass Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung unterbunden werden. „Mir ist aber wichtig zu betonen, dass wir nicht alle Gemeindemitglieder unter Generalverdacht stellen“, sagt er. Wird sich denn darum bemüht, nächstes Jahr eine alternativen Raum für die Mus­li­m:in­nen zu finden? Der Frage weicht er aus, dafür fühle sich die Stadt nicht zuständig, klingt es durch: „Wir unterstützen migrantische Selbstorganisationen, aber wir versuchen vor allem Angebote und Strukturen zu fördern, die losgelöst sind von jeder Religion.“ Als Beispiel nennt er den Verein El Tarik, der sich in Fürstenwalde für den kulturellen Austausch zwischen migrantischen Communities und der Stadtgesellschaft einsetzt.

Gemeinsames Bekennen: Maher Azzam und Christiane Schulz in Neuruppin

Ein Fall wie in Fürstenwalde hätte womöglich vermieden werden können, wenn die Imame nicht ehrenamtlich tätig wären, sondern es klare Förderstrukturen für sie gäbe. Das wird bundesweit auch immer wieder diskutiert. Besonders der Einfluss des türkischen Staates auf den Islamverband Ditib, der insgesamt 900 Moscheen in Deutschland betreibt, ist dabei Thema. Vergangenes Jahr einigte sich die Bundesregierung mit der Türkei darauf, dass keine Imame mehr aus der Türkei nach Deutschland entsandt werden, um so deren ideologischen Einfluss einzudämmen. Die fehlenden Imame sollen nun durch die Ausbildung von jährlich 100 Imamen in Deutschland ersetzt werden, die ersten 27 schlossen vergangenes Jahr ihre Ausbildung in Osnabrück ab. Wie diese künftig bezahlt werden, ist jedoch unklar. Eine Idee wäre eine Moscheesteuer ähnlich der Kirchensteuer, das ist aber mit einigen juristischen Hürden verbunden.

Imame für die muslimischen Gemeinden in Brandenburg auszubilden, wurde laut Lemmermeier bislang nicht diskutiert. Sie sieht darin auch ein Strukturproblem. „Es bringt nicht viel, Imame auszubilden, wenn man sie danach nicht bezahlen kann. Und die Gemeinden im Osten haben noch viel weniger Geld, da bei ihnen der Anteil von Geflüchteten sehr viel höher ist als im Westen“, sagt sie. Es fehlt also vor allem an Geld. In einem säkular geprägten Bundesland wie Brandenburg lässt sich dies wohl noch schwieriger für Religionsgemeinschaften aufbringen.

Für Maher Azzam wäre es ein erster Schritt, wenn die Politik es ihm vereinfachen würde, Fördermittel für Leh­re­r:in­nen und Imame ohne Ausbildung zu beantragen. Bis dahin lastet die Verantwortung weiter auf Menschen wie Mohammad Quadad, die das Amt des Imams ehrenamtlich ausfüllen. Das ist keine einfache Aufgabe, in Neuruppin kommen die Mus­li­m:inn­nen aus Afghanistan, Libyen, Syrien, Sudan, Eritrea, Tschetschenien, Jordanien und Russland zusammen. Sie sind Sunni und Shia, trotzdem beten sie hier in Neuruppin unter einem Dach. Die Schiiten sind wie auch in der arabischen Welt eine Minderheit der Gemeinde, für sie ist es aber kein Problem, von einem sunnitischen Imam betreut zu werden. Denn in der Gemeinde wird viel Wert darauf gelegt, ein Ort für alle Mus­li­m:in­nen zu sein. „Die Glaubenskonflikte müssen wir hier außen vor lassen, wir widmen uns in unseren Predigten deshalb lieber anderen Themen“, sagt er.

In seinen Predigten fokussiere er sich deshalb eher auf Alltägliches wie Familienbeziehungen oder den Umgang mit Geld. „Es geht viel darum, was als haram gesehen wird und was nicht“, sagt Imam Mohammad Quadad, also was verboten ist oder nicht. Fragen, die die Menschen beschäftigen, sind etwa, ob sie einen Kredit bei einer Bank aufnehmen können, streng genommen sind Zinsen im Islam nicht erlaubt. Oder aber es sind persönliche Probleme. „In unserer Religion gibt es großen Respekt vor älteren Leuten, man muss deren Meinung respektieren, das ist in Deutschland weniger der Fall“, sagt Azzam vom Verein Al Salam. Wenn Kinder von Mus­li­m:in­nen die Meinung ihrer Eltern und Großeltern nicht mehr respektieren, dann führt das zu Familienkonflikten. Viele Eltern von Mus­li­m:in­nen hätten oftmals Angst, dass dadurch der Familienzusammenhalt verloren geht. Im Islam sei die Familie die wichtigste Institution, so Azzam.

„Manchmal ist es sinnvoller, Dinge leise zu machen“

Christiane Schulz, Geschäftsführerin des Vereins Esta Neuruppin, über die Eröffnung des Gebetsraums

Die Gebetsräume in Neuruppin sind wichtig für Muslim:innen, um sich zu solchen Fragen auszutauschen. Eine gewisse Toleranz innerhalb der Stadtgesellschaft hilft, um bessere Strukturen für die Gemeinden zu schaffen. Wie läuft das bisher in Neuruppin? Spricht man mit Christiane Schulz, klingt eine gewisse Unaufgeregtheit und ein Pragmatismus durch. Es gäbe aus einer Unwissenheit heraus zwar Vorbehalte gegenüber der Gemeinde, aber die gäbe es woanders auch, sagt sie. Insgesamt sei es in Neuruppin friedlich, ihr seien keine größeren „Konfliktfelder“ bekannt.

Als der Gebetsraum kurz vor Eröffnung stand, wurde in dem Verein trotzdem darüber diskutiert, wie sehr man dies in die Öffentlichkeit tragen soll. Letztendlich entschied sich der Verein dazu, sich bedeckt zu halten – auch um mögliche Anfeindungen zu vermeiden. „Manchmal ist es sinnvoller, Dinge leise zu machen“, sagt sie. Denn es gebe die üblichen rechten „Krachmacher“, die bei der Eröffnung womöglich Widerstand formiert hätten. Aber läuft man damit nicht dem eigentlichen Ziel des Vereins entgegen, muslimisches Leben in Neuruppin sichtbarer zu machen?

Für Azzam ist das kein Widerspruch. Er glaubt daran, dass Integration ein langwieriger Prozess ist. Und dass der Verein langsam Teil der Stadtgesellschaft werden kann. Auf dem Kindergartenfest sind mittlerweile immer mehr Eltern anwesend. Immer wieder kommen Pärchen vorbei, mustern kurz den Tisch, zischen dann wieder ab. Eine ältere Frau traut sich dann doch mal näher ran. „Sie sind also ein Verein?“, sagt sie. „Ja, wir sind Al Salam, ein muslimischer Verein, wir unterstützen Geflüchtete und vernetzen Muslime in Neuruppin“, antwortet Azzam freundlich. Die Frau nickt etwas dis­tanziert, beißt in ihr Brötchen und geht weiter. Ein richtiges Gespräch kommt bei dem Kindergartenfest nicht auf, für Azzam war es trotzdem ein Erfolg. Für ihn geht es darum, Präsenz zu zeigen und Vorurteile mit Freundlichkeit aus dem Weg zu räumen. Auch wenn nicht immer zurückgelächelt wird.