Nazijäger wieder unverdächtig

Der Dortmunder Journalist Ulrich Sander verfolgt NS-Kriegsverbrecher und geriet dabei selbst ins Visier der Staatsanwälte: Gestern wurde das Verfahren nach zweijähriger Ermittlung eingestellt

von MIRIAM BUNJES

Gegen Ulrich Sander wird nicht mehr ermittelt. Amtsanmaßung und Verleumdung hatte die Staatsanwaltschaft dem Dortmunder Journalisten, der Landessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) ist, vor zwei Jahren vorgeworfen. Deshalb wurden Sanders Wohnung und Büro durchsucht, sein Computer mit umfangreichen Recherche-Ergebnissen beschlagnahmt.

Grund: Ulrich Sander soll Briefe mit dem Briefkopf „Leiter der Zentralstelle für die Bearbeitung von Nationalsozialistischen Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund“ verschickt haben. Diese Briefe gingen an Veteranen der Gebirgsjäger, denen mit der gefälschten Unterschrift des Leiters der Zentralstelle mitgeteilt wurde, dass gegen sie wegen Mordes in Zusammenhang mit Wehrmachts-Verbrechen auf der griechischen Insel Kephallonia ermittelt würde.

Zwei Jahre lang versuchte die Dortmunder Staatsanwaltschaft Sander diese Fälschung nachzuweisen, obwohl schon nach wenigen Wochen Oberstaatsanwalt Bernd Düllmann gegenüber der taz feststellte: „Die Auswertung des Computermaterials hat den Verdacht nicht erhärtet.“ Die damals angefertigten Kopien von Sanders Computerdateien liegen bis heute bei der Staatsanwaltschaft.

„In diesen zwei Jahren hätte man lieber gegen die Gebirgsjäger ermitteln sollen“, sagt Ulrich Sander. Er selbst recherchiert seit Jahren über die Wehrmachtsverbrechen in Griechenland. Zusammen mit Historikern der Wuppertaler „Arbeitsgemeinschaft Angreifbare Traditionspflege“ wertete er die Mitgliederzeitschrift der Gebirgsjäger akribisch aus. Und stieß dabei auf Erlebnisberichte, aus denen hervorgeht, welcher Gebirgsjäger wann wo stationiert war. „Wir konnten so Leute aufspüren, die mit ziemlicher Sicherheit an den Morden beteiligt waren“, sagt Sander.

Die VVN stellte gegen eine Reihe von Veteranen Strafanzeigen bei der Dortmunder Staatsanwaltschaft – wenige Woche bevor der Dortmunder Journalist selbst ins Visier der Staatsanwaltschaft geriet.

Ulrich Sander bezeichnet deshalb allein den Fälschungsverdacht gegen ihn als sinnlos: „Ich hatte damals die Hoffnung, dass sich die Staatsanwaltschaft um die mutmaßlichen Kriegsverbrecher kümmert. Warum hätte ich da Briefe fälschen sollen?“ Inzwischen wirft er den Ermittlern mangelndes Engagement vor. Statt ihn zu kriminalisieren, hätte man sich besser um die alten Gebirgsjäger gekümmert, so Sander.

Gegen ein Gebirgsjägerregiment – die Nummer 98 – wird tatsächlich seit 2001 bei der Dortmunder Zentralstelle wieder ermittelt. Das Regiment soll im September 1943 mindestens 4.000 italienische Kriegsgefangen ermordet haben – eines von etwa 50 Massakern deutscher Gebirgseinheiten, die bis heute nie strafrechtlich geahndet wurden. Auch die Dortmunder Ermittlung blieb bislang ergebnislos.

Die Veteranen sind bis heute aktiv: Der „Kameradenkreis der Gebirgstruppe“ trifft sich alljährlich zu Pfingsten im bayrischen Mittenwald und betrauert die gefallenen Kameraden.