Die Suche nach der „schwarzen Perle“

Irgendwo in Afrika soll es diesen sagenhaft begabten jungen Fußballspieler geben – Joseph O‘Neill hat einen Roman über das postkoloniale Drama geschrieben: „Godwin“

Von Sebastian Moll

Die Welt feiert in diesem Sommer eine nicht enden wollende Sportparty, nach der Fußball-EM und der Copa America geht es gleich in Paris mit den Olympischen Spielen weiter. Wer sich als Fan für diese Ereignisse begeistert, der kann sich einer schieren Orgie des Event-Patriotismus hingeben. Bis Mitte August wird es nonstop Gelegenheiten geben, sich mit den Mitgliedern irgendeiner Nationalmannschaft bei dem Bemühen zu identifizieren, stellvertretend für ihr Land in einem Sportwettbewerb die Vertreter anderer Länder zu besiegen.

Dabei treten für jeden, der hinschauen mag, mit unmissverständlicher Deutlichkeit die inneren Widersprüche des zeitgenössischen Sports zutage. Die Vermarktung der Ereignisse beruht auf einem gewissen Willen zum Nationalstolz, während die Akteure zumeist kosmopolitische Nomaden in einem globalisierten Business sind. Die Mehrheit verdient ihr Geld nicht in der Heimat, die Gemeinsamkeiten mit den Anhängern enden nach dem Abpfiff. Die multiethnische Verfasstheit der meisten Teams spottet des Nationalstaatsgedankens aus dem 19. Jahrhundert, der einst der Konzeption solcher Turniere zugrunde lag.

Da könnte ein Roman, der sich am Beispiel des Sports mit den großen Themen der postkolonialen Welt beschäftigt, kaum zu einem besseren Zeitpunkt kommen. Joseph O’Neills „Godwin“ interessiert sich, ohne dabei übertrieben zu moralisieren, dafür, wie sich im Fußball, ungeschminkter vielleicht als anderswo, koloniale Strukturen und Einstellungen halten und durchsetzen.

Der Roman beschreibt eine Moby-Dick-hafte Jagd nach einem Phantom, in diesem Fall nach einem sagenhaft begabten jungen Fußballspieler aus einem armen afrikanischen Land, das es überhaupt erst zu identifizieren gilt. Alles, was es von diesem Knaben gibt, ist ein Handy-Video in dem er bei einem Barfußspiel auf einem Bolzplatz seine unglaublichen Künste vorführt. Wo es gedreht wurde, muss erst mit mühseliger Detektivarbeit ermittelt werden. Und das ist erst der Beginn der Suche nach der „schwarzen Perle“, wie einer der Suchenden den zu bergenden Schatz unter trotziger Verwendung rassistischer Klischees bezeichnet.

Die Bergung dieses Schatzes verspricht, wie immer bei einer Schatzsuche, unermessliche Reichtümer. Sollte sich der Knabe tatsächlich als der neue Lionel Messi herausstellen, würden nicht nur er, seine Familie und sein Dorf, sondern vor allem seine Finder über Nacht zu Multimillionären.

Die zwei Seiten der Suche werden von zwei der Suchenden repräsentiert. Da ist ein knorriger französischer Talentscout namens Lefebvre, der ohne Skrupel seit Jahrzehnten den afrikanischen Kontinent nach dem einen großen Fund abgrast, der ihn reich macht. Und auf der anderen Seite ist da der gebildete, liberale Amerikaner Mark, dessen Karriere in einer Sackgasse steckt und der durch Zufall in diese Schatzsuche hineinstolpert.

Mark unterliegt zunächst der Versuchung des abenteuerlichen Spiels, ist jedoch letztlich froh, als er seiner Naivität wegen ausgebootet wird und in sein wohl geordnetes Leben in Pittsburgh zurückkehren darf. Dort taucht er wieder in seinen Arbeitsalltag als Marketingschreiber für die Pharmabranche ein, eine Parallelwelt, deren schmerzlich langweilige Details mit der Stimme seiner afroamerikanischen Kollegin Lakesha erzählt werden.

Am Ende holen – ohne zu viel zu verraten – Mark in der vermeintlich behüteten Umgebung seiner amerikanischen Großstadt die Folgen seines afrikanischen Abenteuers doch noch ein. Wenn man den Roman auf eine Botschaft reduzieren wollte, wäre es die, dass sich das postkoloniale Drama unseres Planeten nicht auf die südliche Halbkugel begrenzen lässt, sondern dass es vor unser aller Haustür stattfindet, und oft nicht nur davor, sondern auch dahinter. Doch das klänge zu moralistisch und schwer für das, was der globale Nomade O’Neill, der in Mozambique, Holland, dem Iran, der Türkei und den USA gelebt hat, zu machen versucht.

Wie in seinen vorangegangenen Romanen „Netherland“ und „The Dog“ findet Joseph O’Neill in den Aporien der globalisierten Welt vor allem das humoristische, Farce-hafte. Sie wird dadurch bei ihm nicht weniger grausam. Vielmehr zeichnet er alle Beteiligten als letztlich unbeholfene Akteure in einem Geschehen, das sie hilflos macht und überfordert. Und in das wir ausnahmslos alle verwickelt sind, und sei es bei einer so scheinbar unschuldigen Tätigkeit wie dem Betrachten eines Fußballspiels.

Joseph O‘Neill: „Godwin“. Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl. Rowohlt, Hamburg 2024. 432 Seiten, 28 Euro