Die Krone des Saumagens

Nach dem Aus für Weinköniginnen: Neuer royaler Glanz an der Weinstraße in Rheinland-Pfalz

Wer möchte da nicht zuschlagen? Köstlicher Saumagen Foto: reuters

Von Torsten Gaitzsch

In Deutschlands zweitgrößtem Weinanbaugebiet brodelt es wie in einem vernachlässigten Gärfass. Der Verein Pfalzwein hat angekündigt, das Amt der Weinkönigin abzuschaffen. Stattdessen soll es künftig eine „PfalzWeinBotschafterin“ oder einen „PfalzWeinBotschafter“ geben, ohne Krone, lediglich mit einer Anstecknadel ausgestattet. Damit endet nach 93 Jahren die letzte identifikationsstiftende Tradition der Pfalz.

Die Reaktionen sind mehr als ein Sturm im Rieslingglas. „Wir in Rheinland-Pfalz haben doch sonst nichts, wir sind der abgehängte Wurmfortsatz des Saarlandes! Der Rest der Republik weiß nicht mal, wer dort gerade Ministerpräsident ist“, klagt ein gewöhnlicher Landauer Bürger namens Alexander Schweitzer.

Doch just von Landau in der Pfalz strömt dieser Tage ein Wind der Hoffnung in alle Ecken des Bindestrich-Bundeslandes. Noch in diesem Herbst soll hier als Ersatz für die Pfälzische Weinkönigin die erste Saumagen-Königin gekürt werden. Die Aktion initiiert hat Marcus Brendel, Metzgergeselle und Mitglied der Fleischerinnung Westpfalz.

„Die Idee dazu kam mir, als ich eines Abends aus Langeweile unsere gute Apfelleberwurst in eine Strumpfhose meiner Frau stopfte“, erinnert sich der 50-jährige Geschäftsmann. „Da fiel mir auf, wie ähnlich sich das zarte Geschlecht und eine feine Kochwurst doch sind. Gerade Saumagen wird von Banausen gerne als derb und wenig gehoben abgetan.“

Echter Saumagen sei jedoch mehr als grob gewolfte Schlachtabfälle, die man zusammen mit matschig gekochten Kartoffelwürfeln in Schleimhautfalten presst und als Arme-Leute-Essen serviert. Das verwendete Fleisch sei mager, hell und fettarm – „und diese Eigenschaften fordern wir auch von den zu kürenden Repräsentantinnen“, meint Marcus Brendel. „Nein, Spaß beiseite, wir gehen natürlich mit der Zeit. Die Kandidatinnen dürfen gerne curvy, Brillenträgerin, PoC oder vegan sein, solange sie nicht älter als 28 sind und sich dazu bereit erklären, ganz klassisch ein mit Brät gefülltes Krönchen zu tragen.“

Die zu Krönende müsse vor allem den Geist des Saumagens verinnerlicht haben. Denn Wurst, das ist im Land von „Metzelsupp“ und „Schiefer Sack“ ein Lebensgefühl. In Landau, wo es seit 2002 sogar einen Internationalen Pfälzer Saumagen Wettbewerb gibt, laufen die Vorbereitungen demgemäß wie ein Uhrwerk. Gewürzsommeliers kreieren derzeit ein Parfüm aus Thymian, Majoran und Muskat, mit dem die Majestät vor ihrem ersten Auftritt eingesprüht werden soll. Außerdem wird es bei der Wahl ein Rahmenprogramm für Groß und Klein geben: Saumagen-Wettessen, Saumagen-Gewichtschätzen, Saumagen-Jonglage, Saumagen-Piñatas.

„Wir sind wieder wer!“, freut sich eine Seniorin, die extra aus Bad Bergzabern angereist ist, um beim Besticken der Königinnenschärpe mitzuhelfen. „Weinkönigin, das war jahrzehntelang ein Status, der Türen öffnete. Als Weinkönigin war man eine gute Partie, der Titel ersetzte zu meiner Zeit die Mitgift! Wenn eine Weinkönigin schwanger wurde, bekam sie vom Landratsamt eine Kiste Grauburgunder geschenkt … was im Nachhinein so einiges erklärt.“

Welchen Einfluss die erste Saumagen-Hoheit haben wird, muss sich zeigen. Beworben haben sich jedenfalls schon rund 12.000 junge Frauen, das entspricht der Gesamtbevölkerung der Verbandsgemeinde Göllheim.

Die Kandidatinnen dürfen gern curvy, Brillenträgerin, PoC oder vegan sein. Hauptsache, Krone

Über dem Phänomen Saumagen schwebt freilich ein Name, der auch überregional tiefste patriotische Wallungen auszulösen vermag: Helmut Kohl. Der Kanzler der Einheit hat seinem Leibgericht zu weltweiter Bekanntheit verholfen, setzte bei wichtigen Empfängen seinen Gästen stets Saumagen vor, ohne dass es deswegen je zu einem bewaffneten Konflikt gekommen wäre. Der Titel „Saumagen-Königin“ soll in diesem Sinne mit dem Untertitel „Helmut-Kohl-Ehrenwahrerin“ daherkommen.

„Wir haben bereits bei den Kohl-Söhnen nachgefragt, ob wir mit ihrem verstorbenen Vater werben dürfen“, sagt Veranstalter Brendel. „Die Antwort war sinngemäß, es sei ihnen ‚scheißegal‘. Unsere Justiziarin, übrigens Miss Mutterstadt 1997, hat ohnehin bestätigt, dass der Pfälzer Staatsmann inzwischen public domain ist und sein Name und sein Konterfei frei verwendet werden dürfen.“ Kohl hätte es gewiss gefreut, wenn zu seinen Lebzeiten Saumagen-Königinnen geherrscht hätten.

In Landau läuft der Countdown bis zum ersten Vorausscheid. Das Mega-Event wird mit 450.000 Euro – ungefähr das Bruttoinlandsprodukt von Rheinland-Pfalz – nicht eben billig. Zum Glück wurde die Summe von einer Reihe Spendern gestemmt. Anonym, versteht sich.