Barbara Oertel über den ukrainischen Vorstoß in Russland
: Selenskyjs Durchhalteparole

Die Ukraine ist immer noch für eine Überraschung gut – trotz einer äußerst schwierigen Situation im Donbass, einer zu großen Teilen zerstörten kritischen Infrastruktur, überschaubarer personeller Ressourcen in der Armee sowie zögerlicher Waffenlieferungen der westlichen Verbündeten: Berichten zufolge sollen ukrainische Soldaten in das russische Gebiet Kursk, das an die Ukraine grenzt, vorgedrungen sein. Dort wurde der Notstand ausgerufen, die Kämpfe dauern seit drei Tagen an.

Die von Präsident Wladimir Putin als „Provokation“ bezeichnete Offensive, die Kyjiw bisher nicht kommentiert, wirft einige Fragen auf – nicht zuletzt die, was genau die Ukraine mit diesem Vorstoß militärisch bezweckt und wie er das weitere Kampfgeschehen beeinflussen könnte.

Einige Konsequenzen der jüngsten Entwicklungen sind – gleichwohl nicht frei von Spekulationen – jedoch absehbar: Ihre Stimme erheben dürften diejenigen, die die Worte „russischer Aggressor“ nur mühsam über die Lippen bringen, dafür aber umso lauter für Verhandlungen mit Moskau plädieren. Dabei ist, seitdem Drohnen aus der Ukraine Ziele auf russischem Territorium zerstören, klar, dass die Grenzen zwischen dem völkerrechtlich gedeckten Recht auf Selbstverteidigung und Angriffshandlungen fließend sind.

In der Ukraine könnten viele Menschen die „Aktion Kursk“ als Durchhalteparole wahrnehmen. Als solche ist sie nicht zu unterschätzen, angesichts der Tatsache, dass laut Umfragen ein wachsender Teil der Bevölkerung sogar zu Gebietsabtretungen bereit wäre, damit der Wahnsinn ein Ende hat.

Und Russland? Moskau hat die Grenzen offensichtlich doch nicht lückenlos unter Kontrolle und ist nicht der Lage, die Menschen vor den mörderischen Auswirkungen seiner „Spezialoperation“ zu schützen. Diese auszuweiten hat jetzt Putins Mann fürs verbal Grobe, Ex-Kremlchef Dmitri Medwedjew, gefordert. Ob und was daraus folgt oder ob es beim üblichen Säbelrasseln bleibt, wird sich zeigen.

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