Ihre letzte Rebellion

Martha Krumpeck ist Mitbegründerin der Letzten Generation in Österreich. Für ihre Straßenblockaden sitzt sie derzeit in Haft. Überzeugt ist sie von der Arbeit der Klimabewegung nicht mehr. Und sucht neue politische Verbündete

Aus Wien Lara Ritter

Zwanzig Minuten hat Martha Krumpeck an diesem sonnigen Montagmorgen Ende Juli bevor sie für sechs Wochen in eine Zelle muss. Während sie gestikulierend den Gehsteig langläuft, klebt ihr zerzaustes braunes Haar feucht am Hinterkopf. Es ist schwer, keine Notiz von ihr zu nehmen. Nicht nur, weil sie die meisten überragt oder in ihrer Art zu sprechen, einer Offizierin ähnelt, sondern weil sie viel zu sagen hat.

Jedes Mal, wenn sie eine Pointe oder einen Punkt macht in ihrer Rede, grinst sie verschmitzt. Die 34-Jährige ist eine der bekanntesten Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen Österreichs. 2022 trat sie 44 Tage in den Hungerstreik, danach gründete sie die Letzte Generation mit und klebte sich über fünfzigmal auf die Straße. Immer mit der Gefahr im Hinterkopf: die Klimakrise. Ende November trat sie überraschend aus der Letzten Generation Österreich aus, ebenso wie die zwei anderen Mitbegründer:innen. In Deutschland zogen sich etwa zur gleichen Zeit die bekannten Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen Henning Jeschke und Lea Bonasera aus der Bewegung zurück. Um Krumpeck ist es still geworden. Wieso hat sie ihrer Bewegung den Rücken gekehrt? Wenn nicht einmal mehr sie, die dem Aktivismus ihr Leben gewidmet hat, glaubt, dass er noch Erfolg haben wird – wer soll es sonst?

Für Krumpeck, bekommt man sofort den Eindruck, geht es um alles oder nichts. An diesem Morgen geht es um alles, was sie auf dem kurzen Weg unterbringen kann, darunter Thomas Piketty, Penicillin, China, Gerhard Schröder und Krätze. Im Sprechen hat sie Erfahrung. Als österreichisches Carla Hinrichs-Dependant tourte sie durch die heimischen Talkformate, verzweifelte öffentlich über den Stillstand in der Klimapolitik, mutmaßte, die FPÖ würde Putin für Öl wohl „die Stiefel lecken“. Für das Boulevardblatt Heute war sie eine „Königsbiene“, für den Standard eine „Galionsfigur“. Auch die Gefängnisaufenthalte gehören zu ihrem Leben als Aktivistin dazu. Wie blickt sie auf die nächsten sechs Wochen? Sie zeigt sich frei von Sorgen. „Endlich ausschlafen“, will sie. „In meinem Zimmer kann ich mich frei bewegen, ich habe meine Bücher.“

Nach zehn Minuten Gehweg in der knallenden Hitze endet die Reise. Krumpeck zieht rasch den roten Koffer durch den Eingang des Polizeianhaltezentrums. Es befindet sich in der Nähe des ersten Wiener Gemeindebezirks, man könnte es für ein Wohnhaus halten, wären da nicht die schnörkeligen Gitter vor den Erdgeschossfenstern. Erst im Februar verstießen Be­am­t*in­nen vor Ort laut eines aktuellen Urteils des Verwaltungsgerichts Ende Juli gegen Haftstandards. 22 Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen saßen zwei Stunden lang in einer Zelle für sechs.

Während Krumpeck ihre erste Woche in Haft verbringt, schließen sich wieder vermehrt junge Ak­ti­vis­t:in­nen für Proteste zusammen. Fünfzig Mitglieder demonstrieren am Wiener Flughafen, ein paar kleben sich am Terminal fest. Auch in fünf anderen Ländern, darunter Deutschland, besetzen sie Rollfelder. Während die Medien darüber berichten, erteilt Krumpeck dem Ganzen eine Absage: „Wir haben verloren“, sagt sie über die Bewegung.

Es ist Dienstag, eine Woche nach Haftantritt. Krumpeck sitzt inmitten einer Szenerie, wie man sie aus Filmen kennt: weißgelbe Leuchtdioden, ein gefliester Besucherraum und eine Reihe leerer Stühle, die durch Trennwände voneinander abgeschirmt sind. In den Augen Krumpecks, die einen Bachelor in Molekularbiologie hat, ist fast alles berechenbar, sogar der Verlauf einer Bewegung.

„Eine Bewegung muss von den Entschlossensten geleitet werden“

Martha Krumpeck

Die Letzte Generation ist für sie eine Sinuskurve. Der Peak sei schon passiert. Mit fünfzig Teil­neh­me­r:in­nen bei manchen Straßenblockaden sei er an einzelnen Tagen zwar hoch gewesen, aber hätte nie lange genug angehalten, um genügend Druck auf die Regierung aufzubauen. Folgt man dieser Logik, geht es jetzt bergab.

Für sinnvoll hält sie nur noch lokale Proteste. „Das, was erreichbar ist, nämlich Aufmerksamkeit, ist erreicht“, sagt sie. Ähnliches ließe sich über Fridays for Future behaupten: Ein Bruchteil der Masse von früher läuft mit, Geta Thunberg ist keine Heldin mehr und Österreichs bekannteste Fridays-for-Future-Aktivistin, Lena Schilling, ist Kandidatin bei den Grünen. Ein Rekordjahr verzeichnete 2023 einzig der globale Co2-Ausstoß. Ist die Klima­bewegung gescheitert?

Protestforscherin Antje Daniel winkt ab. „Selbst wenn eine Bewegung ihre Ziele nicht hundertprozentig durchsetzen kann, ist sie nicht unerfolgreich“, sagt sie. Daniel leitet das Institut für internationale Entwicklung der Universität Wien. Einer ihrer Schwerpunkte ist „Utopie, Imagination und Zukunft“, seit 2019 forscht sie zum „Fridays for Future“-Aktivismus.

Die Bewegung habe die Klimakrise in die alltägliche Berichterstattung gebracht, die Letzte Generation habe erneut deren Dringlichkeit klargemacht. Weniger Po­li­ti­ke­r:in­nen leugnen den Klimawandel. Nun setzten sie laut Daniel eher auf die Taktik der „Klimaverschleppung“, sie schöben Maßnahmen auf die lange Bank.

Aus der großen Klimabewegung seien indessen viele Splittergruppen geworden. „Diese Diversifizierung der Gruppierungen aber auch die Suche nach neuen Strategien wird, glaube ich, anhalten“, sagt Daniel. Auch bei der Letzten Generation wird weniger blockiert und mehr ausprobiert. Statt zu kleben, skateten österreichische Ak­ti­vis­t:in­nen im Mai auf der Autobahn, im April unterbrachen sie ein Konzert des Schlagersängers Andreas Gabalier. „Dieses Ausprobieren ist genauso wichtig wie die Massenmobilisierungen der Fridays for Future.“ Politische Veränderungen ließen sich nicht kausal herleiten. Das richtige Mittel, den einen Aktivismus, der die große Veränderung anstößt – den gibt es gar nicht.

Auszeit im Gefängnis. Martha Krumpeck ist einer der bekanntesten Klimaaktivist:innen in Österreich Foto: Fo­to:­ La­ra Ritter

Wieso hat sie ausgerechnet jetzt damit aufgehört? „Die Welle, die 2019 gestartet ist, war die letzte Chance, die Klimakatastrophe abzuwenden“, sagt sie und schaut ernst. Dafür ins Gefängnis zu gehen, scheint sie nicht zu stören. Zumindest dann, wenn das Gefängnis einem Zweck dient. Krumpeck ist nämlich nicht im Gefängnis, weil sie die in Summe fünfstelligen Geldstrafen nicht zahlen kann. Mithilfe von Mathematik hätte sie viel Geld mit Sportwetten gemacht, erzählt sie. Als Aktivistin wolle sie den Staat aber lieber Geld kosten, als ihm welches zu zahlen, mit dem Wettgewinn unterstützte sie Freund:innen. Als ich frage, was schiefgelaufen ist, wieso ihr Plan zur Rettung des Klimas nicht aufgegangen ist, wandert Krumpecks Blick nach unten. Es ist der erste Moment, in dem sie ratlos wirkt. Dann sagt sie: „Es war von Anfang an eine fast unmögliche Aufgabe.“

Hätten sie früher die Beschlüsse des österreichischen Klimarats ins Zentrum ihrer Forderungen stellen müssen? Mehr Leute für Vorträge mobilisieren sollen? Am Prinzip des Protests und an den Hierarchien in der Bewegung, in der nur das Kernteam die Entscheidungen trifft, hält sie trotz der Zweifel fest. Ak­ti­vis­t:in­nen bilden Arbeitsgruppen, jeder leistet seinen „individuellen Beitrag“, wie auf der Website steht. Die effiziente Rebellion, getragen vom Imperativ der Dringlichkeit. „Eine Bewegung zivilen Widerstands muss von den Entschlossensten geleitet werden“, sagt Krumpeck. Ironischerweise wurde ihr das zum Verhängnis. Denn als sie mit den Blockaden aufhören wollte, hatte sie in der Bewegung nichts mehr zu sagen. Und jetzt? Die 34-Jährige muss alle sechs Monate Haft für sechs Wochen in Haft. Für Verwaltungsstrafen kann man maximal 42 Tage ins Gefängnis kommen. Die rund 300 Tage, die Krumpeck an Geldstrafen abzusitzen hat, werden sich daher über insgesamt dreieinhalb Jahre ziehen. Da weitere Gerichtsverfahren laufen, werden es noch mehr.

Krumpeck bleibt weiterhin optimistisch. Es brauche jetzt Demokratiebewegungen, die vom Frust auf Korruption getragen seien, sagt sie. Für vielversprechend halte sie die Bierpartei. Wie die Letzte Generation fordert sie einen Gesellschaftsrat, in den Menschen repräsentativ aus der Gesamtgesellschaft gelost werden sollen, um mit Ex­per­t:in­nen politische Maßnahmen zu erarbeiten. Nur zelebriert sie namentlich den Rausch statt der Apokalypse und Lässigkeit statt Pathos. Ob sie Erfolg haben, werden die Nationalratswahlen im Herbst zeigen, bei der die Bierpartei erstmals bundesweit antritt. 2019 erhielt die Partei in Wien lediglich 0,6 Prozent der Stimmen. Krumpeck, bald eine Politikerin? Darauf will sie sich nicht festlegen. Und was ist mit dem Kollaps, von dem sie überzeugt ist? Sie antwortet prompt. Die Botschaft dringt zwischen den Zeilen durch: Selbst wenn die Welt im Chaos versinkt, brauche es einen Plan.

Die Autorin war im Frühjahr 2023 zwei Monate Teil der Letzten Generation, aktuell ist sie in keiner Klimabewegung aktiv.