Vielleicht statt billiger lieber gar nicht bauen

Trotz „Baukrise“ gibt es genug an Wohnraum in Deutschland. Er ist nur ungerecht verteilt

Von Jonas Wahmkow

Bei der Diskussion ums schnellere, billigere und vor allem nachhaltigere Bauen fällt eine Frage häufig unter den Tisch: Sollten wir überhaupt noch neue Wohnungen bauen? Schließlich gibt es in Deutschland mehr Wohnraum als je zuvor. Zudem verursacht Bauen tonnenweise CO2 und verschlingt enorme Mengen an Ressourcen.

In der Bundesrepublik Deutschland wurden seit Beginn der Baustatistik im Jahr 1950 durchschnittlich 405.000 neue Wohnungen pro Jahr fertiggestellt. Dementsprechend hat sich die Menge der Wohnungen in dem Zeitraum mehr als verdreifacht. Die Bevölkerungszahl ist dagegen allerdings nur leicht gewachsen: von 69 Millionen 1950 in BRD und DDR auf heute rund 83 Millionen Menschen. Drastisch erhöht hat sich die Wohnfläche pro Kopf: Waren es 1990 noch 34,9 Quadratmeter, sind es heute 47,7. Laut Zensus standen im Juli 2022 auch 1,9 Millionen Wohnungen leer, das entspricht 4,3 Prozent des Bestandes. In den kommenden Jahrzehnten wird sich die Quote wohl noch deutlich erhöhen, wenn viele der in geräumigen Einfamilienhäusern wohnenden Baby­boomer ausziehen oder sterben.

Trotzdem ist ein baldiges Ende des Neubau-Trends nicht in Sicht. Im vergangenen Jahr wurden 294.000 Wohnungen fertiggestellt, Bausenatorin Klara Geywitz will mit der selbstgesetzten Zielmarke von 400.000 sogar deutlich mehr. Angesichts dieser Zahlen ist es umso erstaunlicher, dass die ständig beschworene „Wohnungskrise“ nie hinterfragt wird.

Wenn also genug Wohnraum vorhanden ist, warum ist es trotzdem in deutschen Großstädten unmöglich, eine Wohnung zu bekommen? Die Antwort liegt in der ungleichmäßigen Verteilung des Wohnraums. Zum einen im örtlichen Sinne: Viele deutsche Großstädte wachsen, während die Bevölkerung aus ländlichen Regionen abwandert. Auch sozial ist der Wohnraum ungerecht verteilt: Reiche und ältere Menschen wohnen in größeren Häusern, haben oft Zweitwohnungen in Großstädten.

Einfach dort bauen, wo Wohnraum benötigt wird, und dort abreißen, wo er leer steht, ist die bequemste Lösung des Problems. Doch dieses Schema F der Wohnungspolitik hat einen großen Haken. Ungenutzte Flächen gibt es in Deutschland praktisch nicht mehr. Für jeden Hektar neu ausgewiesenen Baulands gehen wertvolle Biotope oder Ackerflächen verloren, dazu kommt das Land, das für den Abbau von Baustoffen zerstört wird. Die zunehmende Versiegelung steigert die Gefahr von Überschwemmung und heizt die Städte so weit auf, dass die Gesundheit der Be­woh­ne­r:in­nen ernsthaft gefährdet ist. Der Bausektor ist einer der größten CO2-Schleudern in Deutschland, rund 10 Prozent der gesamten Emissionen fallen beim Bau von Gebäuden an.

Die ökologischere Alternative ist, den vorhandenen Wohnraum effizienter zu nutzen und gerechter zu verteilen. Ideen, wie das zu bewerkstelligen ist, gibt es viele: Wenn ländliche Regionen durch gute infrastrukturelle Anbindungen und günstige Immobilienpreise attraktiver werden, ziehen gestresste Groß­städ­te­r:in­nen freiwillig dorthin, besonders wenn sie durch ein Recht auf Homeoffice ihren Job in der Stadt behalten können.

In den Städten können Wohnraumpotenziale auch ohne Neubau erschlossen werden, wie in der vergangenen Ausgabe der wochentaz ausführlich vorgestellt wurde: durch Tauschportale, in denen alte Menschen ihre zu groß gewordenen Wohnungen gegen barrierefreie Alternativen eintauschen können. Auch ein konsequentes Verbot von Zweit- und Ferienwohnungen sowie spekulativem Leerstand schafft Wohnraum, ohne das Klima zu belasten. Mittelfristig muss darüber nachgedacht, wie sich die Wohnfläche pro Kopf reduzieren lässt: mit weniger Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf auskommen. Eine Möglichkeit dafür ist gemeinschaftliches Wohnen – ob die klassische WG, neumodisches Co-Living oder das gute alte Hausprojekt: Zusammen wohnt es sich nicht nur ökologischer, sondern auch weniger einsam.