Die Sirenen vom Beetzsee

Kanutin Birgit Fischer (43), Deutschlands erfolgreichste Olympionikin, kehrt wieder einmal in den Leistungssport zurück – sie will sich für die WM qualifizieren

BERLIN taz ■ Die Paddeltour wird nicht lange dauern. Nach 200 Metern ist die Ausfahrt beendet. Birgit Fischer hat einen Sprint vor sich. Beim Weltcup in Duisburg tritt sie an diesem Wochenende an. Wieder einmal. In ihrem Leben haben Comebacks Konjunktur. Sie ist die Rückkehrerin, die erfolgreichste, die der deutsche Sport aufzubieten hat. Der Wiedereinstieg am Samstag um 17.24 Uhr im Halbfinalrennen, er ist reine Routine. Oder? „Mir ist nicht bange“, sagt sie, „aber ich muss erst einmal sehen, wie es läuft. Die Saison steht ja immer noch in Frage.“ Um den Kajaksprint zu erleichtern, hat ihr der Kanuverband drei Kolleginnen mit ins Boot gesetzt, die gemeinsam mit der deutschen Rekordolympionikin für Vortrieb auf der Wedau sorgen.

Birgit Fischer kann sich der Frequenz der Mitstreiterinnen aus Potsdam und Mannheim anschließen. Die 43-Jährige kann Hilfe gebrauchen, nicht wegen ihres Alters, nein, das scheint in ihrer späten Karriere keine Rolle zu spielen. Vielmehr haben sie Unfälle in der Saisonvorbereitung zurückgeworfen. Zuerst brach sie sich bei einem Treppensturz eine Rippe. Das war im Dezember. Ende März war sie in einen Autounfall verwickelt. Der Crash ereignete sich in Kalifornien an einer gefährlichen Kreuzung in Harbor City.

„Ich hatte einen Schutzengel“, sagt Fischer, die mit einem Schleudertrauma, Schnittwunden am Schienbein und Stauchungen im Rücken- und Nackenbereich davonkam. Das Auto, in dem sie als Beifahrerin saß, wurde mit Totalschaden abtransportiert.

Der Zusammenstoß blieb nicht ohne Folgen. Wollte sie hart trainieren, plagten sie alsbald Kopfschmerzen. Die ersten beiden Qualifikationsrennen des Kanuverbandes musste sie absagen. Doch sie bekam eine zusätzliche Chance, sich für die WM in Zagreb Ende August ins Team zu paddeln. Fischer besitzt einen Sonderstatus; nach acht Olympiasiegen, 27 WM-Titeln, 37 Siegen bei deutschen Meisterschaften ist das logisch. In Duisburg muss ihre Crew schneller sein als andere deutsche Boote.

„Jetzt behindert mich nüscht mehr“, sagt Fischer vor ihrem Saisoneinstieg. „Ich trainiere ja nur, wenn ich richtig gesund bin.“ Zuletzt hat sie in Kienbaum in der Nähe von Berlin ihre Form aufgebaut. Fischer musste nicht nur wegen ihrer Verletzungen das Pensum verringern, sie hatte nach ihrem Olympiasieg von Athen andere Verpflichtungen. Die eher spröde Kanutin wurde von Veranstaltung zu Veranstaltung gereicht, stieg in die Riege der Sportprominenz auf. Die Paddlerin aus Bollmannsruh konnte sich kaum dagegen wehren, dass sie, die Randsportlerin, nun im Fokus des öffentlichen Interesses stand. Sie wurde mit Preisen überhäuft. Sie war erste Wahl. Mit der Kür Fischers zur „Sportlerin des Jahres“ konnte man nichts falsch machen.

Andere Titel, Trophäen, Auszeichnungen folgten. Fischer, das war die „Sportlerin mit Herz“, „Sportlerin des Jahrhunderts“, „Frau des Jahres“, der „SportStar 2004“. Die Stadt Brandenburg ernannte sie zur Ehrenbürgerin, Bundespräsident Horst Köhler steckte ihr das Silberne Lorbeerblatt an. Die Zeitschrift Super Illu nahm sie nicht nur in die Reihe der „70 wichtigsten Ostdeutschen“ auf, in der Sparte Sport wurde sie natürlich auf Platz eins gesetzt. Immer sicherer bewegte sie sich im Scheinwerferlicht, zeigte sich durchaus eloquent, zitierte im Schloss Belvedere Ernst Bloch: „Man muss ins Gelingen verliebt sein, nicht ins Scheitern“ – und ließ sich mit den Worten zitieren: „Wenn ich auf den Beetzsee schaue, kribbelt es bei mir. Das Wasser glitzert. Es ruft mich.“

Die Sirenen des Beetzsees blieben oft ungehört. Die Arbeit in ihrer Firma „KanuFisch“ wartete. Das erste faltbare Rennkanu wollte erfunden werden. Manager einer Reifenfirma wollten sich auf Mallorca von Frau Fischer motivieren lassen, zu Hause zwei Kinder versorgt werden.

Birgit Fischer ist damit noch nicht ausgelastet. So nahm sie mit Bob-Bundestrainer Wolfgang Hoppe Kontakt auf, um möglicherweise auch im Winter Olympische Spiele erleben zu können. Sie kündigte an, beim New-York-Marathon antreten zu wollen, auch den Wasalauf der Skilangläufer wolle sie nicht auslassen. „Unruhe bringt Entwicklung“, sagt sie. Birgit Fischer schließt nicht aus, dass die innere Unruhe bis zu den Spielen in Peking anhält, bis ins Jahr 2008. Sie wäre dann 46 Jahre alt.

MARKUS VÖLKER