Asphalt
Love

Foto: Pond5/imago

Schnell, Augen zu!“, schießt es gleichzeitig aus unseren Mündern. Juli hat die Sternschnuppe wieder verpasst und flucht mit Zigarette zwischen den Lippen vor sich hin. In seiner Hand eine halbleere Weinflasche, mit der er gerade unsere Plastikbecher nachfüllt. „Ich hab’eh keinen Wunsch“, sagt er dann. „Jaja“, sage ich.

Wir hatten uns mal wieder zum Teerchillen getroffen. So nannten wir unsere Lieblingsbeschäftigung im Sommer. Beim Teerchillen fühlten wir uns revolutionär und ein bisschen gefährlich. Dabei hätte die Erfindung unserer Jugend nicht einfacher sein können: Wir legten uns auf Straßen, am liebsten dann, wenn unsere Eltern dachten, wir seien längst in unseren Betten oder zumindest in denen unserer Freund*innen.

Wahrscheinlich war es gar kein Teer, auf dem wir lagen, sondern Asphalt. Aber das war uns damals egal, wie so ziemlich alles andere auch. Wir schwänzten Doppelstunden, um ins Schwimmbad zu gehen. Autoritäten lehnten wir strikt ab. Und wenn uns jemand fragte, was wir nach der Schule machen wollen, war unsere Standardantwort: „Keine Ahnung, mir doch egal.“

Was uns faszinierte, war das Unvorhersehbare. Wenn man sich in Sommernächten mit ein paar Flaschen Wein intus auf eine Straße legt, Zigaretten raucht und in den Himmel schaut, kann so einiges passieren. Spontane Romanzen, innovative Trinkspiele, wilde Raufereien: Beim Teerchillen wurden die Geschichten geboren, die am nächsten Tag in der Schule die Runde machten.

Glücklicherweise brachten wir uns nie ernsthaft in Gefahr, die Straßen unserer Kleinstadt waren nachts wie leergefegt. Und doch erhitzten wir zu unserer großen Freude hin und wieder die Gemüter der Passant*innen. „Geht’s noch?“, riefen uns empörte Gassigeher zu. „Habt ihr kein Zuhause?“ Uns geht’s super, versicherten wir dann. Eigentlich könnte es kaum besser sein.

Der lauwarme Asphalt erfüllte unseren ganzen Körper mit diesem wohligen Gefühl. Ein Gefühl, das wir vorher nur von unseren Fußsohlen kannten, wenn wir nach einem heißen Sommertag unsere Schuhe auszogen. Auf Feldern oder Wiesen zu liegen, war einfach nicht vergleichbar. Denn während wir auf der Straße lagen, wirkte es so, als lebe die untergegangene Sonne in uns weiter, fast so lange, bis sie wieder am Himmel erschien. Vielleicht war dafür auch die beachtliche Menge an Wein verantwortlich. Unsere Nächte wurden jedenfalls zu unseren schönsten Tagen.

Im August war das Teerchillen besonders schön. Wir konnten so viele Sternschnuppen beobachten, dass wir irgendwann aufhörten, sie zu zählen. Der Grund dafür hat sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt: Perseidenströme. Rund um den 12. August erreichen sie jedes Jahr ihren Höhepunkt, rund 100 Sternschnuppen pro Stunde ziehen dann über den Himmel.

Wer also viele Wünsche hat, sollte in den nächsten Tagen öfter mal nach oben schauen. Und wenn einer der Wünsche zufällig damit zu tun hat, sich für ein paar Stunden lang wieder jung zu fühlen, dann hilft vielleicht die Straße.

Katharina Federl