„Bei mir dreht sich alles um Geschwindigkeit“

Kitesurfer Jannis Maus stürmt mit 80 Sachen über die Wellen und vielleicht aufs Podium

„Schon der Start ist absolut atemberaubend“:Jannis Maus mit Sportgerät auf der Nordsee Foto: imago/reemedia

Interview Andreas Rüttenauer

taz: Herr Maus, die vielleicht wichtigste Frage zuerst. Wie ist der Wind in Marseille?

Jannis Maus: Eigentlich ist hier alles sehr gut, nur der Wind ist sehr schlecht. Also wenn ich jetzt so rausschaue auf unser Field of Play, ist es heute wirklich mau.

taz: Zum Kiten braucht es schon richtig Wind?

Maus: Drei Knoten, so wie jetzt – da ist es für uns nicht sinnvoll rauszugehen. Aber viel mehr als eine leichte auflandige Brise brauchen wir auch nicht. 6 Knoten, das sind so 12 km/h, das ist immer noch sehr wenig, aber damit können wir schon ziemlich gut arbeiten. Ich habe mal 50 km/h bei 6 Knoten geschafft.

taz: Wie schnell kann man denn kiten?

Maus: Mein persönliches Maximum ist knapp über 80 km/h. Im Wettkampf sind wir zwischen 70 und 80 km/h schnell, wenn die Bedingungen passen. Ich glaube, damit sind wir sogar die schnellste Disziplin bei den Sommerspielen.

taz: Wie fühlt sich das an, wenn man da mit 75, 80 durch die Luft fliegt?

Maus: Das ist schon ein bisschen scary. Voriges Jahr im November habe ich mir bei einem Crash im Trainingslager bei hoher Geschwindigkeit eine Rippe gebrochen.

taz: Obwohl Sie immer mit Schutzausrüstung unterwegs sind.

Maus: Ja, wir tragen eine sogenannte Prallschutzweste. Die sieht fast aus wie so eine schusssichere Weste. Bei dem Crash bin ich jedenfalls sehr ungünstig in eine Welle reingestürzt und habe mir dabei die Rippe gebrochen. Es kann ein bisschen was passieren. Es ist immer viel Adrenalin mit im Spiel – und natürlich pure Freude. Bei mir im Leben dreht sich irgendwie alles um Geschwindigkeit. Das war schon früher so, wo ich auf dem Weg zur Schule auf dem Rad Rennen gegen die Autos an der Ampel gefahren bin.

taz: Und heute riskieren Sie etwas, damit auch die Zuschauer ihren Spaß haben.

Maus: Riskieren würde ich das nicht nennen. Klar passieren immer mal Crashes, aber mittlerweile sind wir alle auf einem hohen Niveau. Ich bin seit einem Jahr nicht mehr gecrasht. Vielleicht mal im Training, wenn es darum geht, Grenzen auszutesten. Aber natürlich hat die Sportart ein Risikopotenzial. Ich glaube, das macht bei vielen Sportarten auch ein bisschen den Reiz aus.

taz: Wir würden Sie diesen Reiz beschreiben?

Maus: Wir sind extrem eng beisammen, fahren nicht weiter als drei bis fünf Meter voneinander entfernt. Da ist dann die Reaktionsgeschwindigkeit unglaublich wichtig. Vielleicht kann man das am ehesten mit der Formel 1 vergleichen. Schon der Start ist absolut atemberaubend, wenn alle mit voller Geschwindigkeit über die Linie gehen.

taz: Und dann sieht es oft aus wie ein einziges Durcheinander. Wie schafft man es da, den Überblick zu behalten?

Maus: Auch wenn es von außen vielleicht ein bisschen unübersichtlich aussieht, wir haben ganz klare Vorfahrtsregeln. Und so muss man immer entscheiden: Schaffe ich es noch vor dem anderen oder muss ich ihn erst durchlassen. Und auch beim Start weiß jeder ganz genau, was er machen muss.

taz: Und damit das möglichst leicht aussieht, muss man wahrscheinlich schwer körperlich arbeiten.

Maus: Für mich war das von der ersten Minute an echter Spaß. Aber wir stecken schon auch viel Arbeit rein.

taz: Beschreiben Sie doch mal einen typischen Trainingstag.

Maus: Der beginnt mit einem sehr reichhaltigen Frühstück, weil wir viel Energie verbrennen über den Tag. Dann geht’s anderthalb, zwei Stunden ins Gym zu einem intensiven Training mit der Langhantel, mit einem auf mich zugeschnittenen Athletikprogramm. Dann ist großes Mittagessen angesagt, nochmal die Kohlenhydrat­speicher auffüllen. Am Nachmittag dann ein bis zwei Wassersessions, je ein bis zwei Stunden. Dazwischen wieder essen. Und am Ende geht es noch an die Materialpflege.

taz: Lange war ja nicht klar, dass Sie sich qualifizieren. Es gab da einen harten Zweikampf mit Florian Gruber um das deutsche Olympiaticket.

Maus: Da möchte ich mal ganz von vorne anfangen. Flo und ich, wir kennen uns von klein auf. Mein Vater war Angestellter in der Snowboardschule von Flos Papa. Wenn es sein musste, hat Flo, er ist ja ein paar Jahre älter, auf mich aufgepasst. Wir kennen uns also schon ewig und waren echt sehr gut befreundet. Als es mit dem Kiten angefangen hat, war mir Flo immer einen Schritt voraus. Er war ja der Ältere, war jahrelang die führende Figur im Kiten in Deutschland, hat beinahe alles dominiert. Er war es, der mich erst ans Wettkampfgeschehen herangeführt hat.

taz: Und jetzt haben Sie ihm das Olympiaticket weggeschnappt.

Maus: Die letzten Jahre lief alles auf diesen olympischen Wettkampf zu. Da wurde unsere Freundschaft zwar noch gepflegt, aber auf dem Wasser war es ein erbitterter Kampf. Und weil ich mich nach dem Abschluss meines Master­studiums zwei Jahre voll auf den Sport konzentrieren konnte, bin ich dann an ihm vorbeigezogen.

taz: Hat die Freundschaft in dieser Zeit Schaden genommen?

Maus: Das war zeitweise schon ein bisschen schwierig. Aber jetzt schreiben wir wieder ganz normal.

taz: Was kommt nach Ihnen beiden? Welche Zukunft hat das Kiten in Deutschland?

Jannis MausDer Wassersportler ist 28 Jahre alt, kommt aus Oldenburg und fliegt seit 16 Jahren auf dem Brett durch die Lüfte. In diesem Jahr wurde er Fünfter bei der WM der Formula Kite. Nebenbei baut er an seiner Doktorarbeit im Bereich Erneuerbare Energien. Es geht um Wind und Turbulenzen.

Maus: Durch den olympischen Aufwind haben wir eine ganz gute Vereinsstruktur aufgebaut. Ich bin ja für die Cuxkiters aus Cuxhafen unterwegs. Kein reicher Verein, von dem ich Geld bekomme oder hinter dem Investoren stehen. Für mich war es wichtig, für einen Verein zu starten, der was für den Nachwuchs macht. Wir geben kostenlose Kitestunden, haben Material für Jugendliche, die von ihren Eltern keine große Unterstützung erwarten können. Mir ist es jedenfalls wichtig, da etwas zurückzugeben. Mein altes Material, das bis zu 5.000 Euro wert ist, stelle ich zum Beispiel dem Verein zur Verfügung.

taz: Aber es gibt auch Widerstand. Naturschützer würden am liebsten das Kiten im Wattenmeer verbieten.

Maus: Das ist ein großes Missverständnis von Seiten der Naturschützer, die glauben, dass wir uns nur breitmachen wollen und nichts für die Natur übrig haben. Dabei ist es andersrum. Nicht ohne Grund nutzen wir die Natur, um unseren Sport auszuüben. Wir sind darauf angewiesen, dass wir saubere Meere haben, dass wir Wind haben, nicht nur Stürme und Regen als Folge der Klimaerwärmung. Ich hab da manchmal das Gefühl, dass wir auf eine Stufe gestellt werden mit Jetskifahrern, die nur stundenlang den Strand rauf- und runterballern.

taz: Zurück zu Olympia. Wo sehen Sie sich im olympischen Wettbewerb.

Maus: Bei der WM bin ich gerade Fünfter geworden, da bin ich ganz knapp am Finale vorbeigeschrammt. Wenn ich es jetzt schaffe, ins Finale der besten vier reinzukommen, dann will ich auch eine Medaille.