Priyanka
Borpujari
Fernsicht – Indien
: Modisch nicht mal ein blasser Abdruck der Realität

Das Spektakel der Olympia-Eröffnungsfeier sorgte in Indien für Gesprächsstoff. Die Vorfreude schlug schlagartig um in große Enttäuschung Der Grund? Die wenig ansprechenden Uniformen der indischen Athleten.

Denn während diese sichtlich begeistert schienen, endlich zu zeigen, wofür sie jahrelang trainiert hatten, fühlte sich der Rest Indiens durch die für sie entworfenen Trikots bloßgestellt. Die Uniformen aus weißem, geknittertem Stoff waren an den Rändern mit orangefarbenen und grünen Aufdrucken versehen. Es sah billig aus und wirkte, als wäre alles in letzter Minute und ohne jegliche Abmessung den Athleten übergeworfen worden.

Auf Social Media entlud sich die Kritik. Ausgerechnet der bekannte Modedesigner Tarun Tahiliani, der seit drei Jahrzehnten aufwendige, der indischen Ästhetik entsprechende Kleidungsstücke entwirft, war mit der Gestaltung der Trikots beauftragt. Tahiliani versuchte seinen Kritikern zu erklärten, dass er ausreichend recherchiert hätte, dass Baumwolle als Stoff leicht knittern würde und dass insgesamt 300 Uniformen für die Athleten und das Begleitpersonal angefertigt werden mussten. Doch das, so die Kritik, rechtfertige noch immer nicht das schlampige Design.

Was einen Teil Indiens verärgert hat – den privilegierten Teil, der bei der Eröffnungsfeier vor dem Fernseher saß und sich keine Sorgen machen musste, einen Hitzschlag zu erleiden oder mit ansehen zu müssen, wie sein Haus von Monsunfluten weggespült wird –, ist, dass die Designs die reiche und vielfältige Geschichte der indischen Textilkunst verleugnen. Man kann sich zwar gut vorstellen, dass es eine praktische Entscheidung war, auf Baumwollstoffe zu verzichten, aber die Fotos zeigen, dass auch das stattdessen gewählte Material stark zerknittert war. Es half auch nicht, dass das Ikatmuster – das seine Wurzeln in einem Batikverfahren aus Südostasien hat – auf den Stoff der Uniform aufgedruckt war und damit die mühsame Arbeit, die diese Kunstform erfordert, entwertete.

Das breite Spektrum an Kunsthandwerk, welches in ganz Indien zu finden ist, kann nach einem speziellen Gesetz registriert werden, das ihm die Bezeichnung geografischer Angaben (GI) verleiht. Das GI-Label – das ein strenges Antragsverfahren erfordert – schützt die Schöpfer sowie die Standards ihrer Produkte, es verhindert, dass Dritte diese als ihre eigenen verkaufen oder sie nachahmen.

Priyanka Borpujari

ist preis­gekrönte Journalistin. Sie schreibt für die taz über Indien.

Im Juli 2024 sind 605 eingetragene GI-Erzeugnisse aus ganz Indien aufgelistet, darunter 103 Handweberzeugnisse. Sechs davon – Mugaseide aus Assam, Kulluschals aus Himachal Pradesh, Banarasbrokate aus Uttar Pradesh, Kota-Doria-Gewebe aus Rajasthan und Navalgundteppiche aus Karnataka – tragen ein spezifisches individuelles Logo. Landesweit gibt es gut 3,5 Millionen Handweber.

An den Uniformen war vom reichen textilen Erbe Indiens nichts zu sehen

Diese Zahlen belegen das reiche textile Erbe Indiens – von dem nun nichts auf den Körpern der Sportler bei der Eröffnung der Olympischen Spiele zu sehen war. Die drei Medaillen, die Indien bisher gewonnen hat, haben die kollektive Wut über das Modefiasko verdrängt. Doch angesichts der Tatsache, dass Indien als Land mit einem Kaleidoskop an farbenfrohen Textilien bekannt ist und vermarktet wird, in dem sich die Bundesstaaten deutlich voneinander unterscheiden, sehen die schlecht sitzenden Uniformen nur wie vergrößerte Ver­sio­nen von Getreidesäcken aus. In einer Zeit, in der Vielfalt zählt, war dies eine verpasste Gelegenheit für den Designer und das Team India. Glücklicherweise sind alle, die Indien einmal besucht haben, weiterhin von den Farben verzaubert, die für einen Moment helfen, von den alltäglichen Ungleichheiten abzulenken.