Volkswirt Tobias Börger: „Verteidigung ist öffentliches Gut“

Steuererhöhungen für Militärausgaben? Die Bevölkerung wäre dem gar nicht abgeneigt, sagt Volkswirt Tobias Börger basierend auf einer Untersuchung.

Pistorius in einem Panzer

Neuer Dienstwagen? Verteidigungsminister Boris Pistorius auf einem Kampfpanzer Leopard 2 beim Panzerbataillon 203 in Augustdorf Foto: Chris Emil Janssen/imago

taz: Herr Börger, Sie haben in einer repräsentativen Studie errechnet, dass die Bevölkerung in Deutschland jährlich etwa 11,5 Milliarden Euro mehr für Verteidigung ausgeben würde, das würde einem Anstieg des Wehrbudgets um 20 Prozent entsprechen. Der Regierungsentwurf für den kommenden Haushalt sieht vor, dass der Wehretat um etwa 2,5 Prozent steigen soll. Könnte man sagen, was den Rückhalt in der Bevölkerung betrifft, wäre durchaus mehr Geld drin?

Tobias Börger: Wenn man unsere Ergebnisse ganz weit auslegen würde, dann könnte man das sagen. Doch die Beispiele in unserer Studie, mit denen wir die Zahlungsbereitschaften der Menschen erhoben haben, entsprechen nicht den Maßnahmen, die im Verteidigungsministerium gerade diskutiert werden.

Wie meinen Sie das?

Die Grundidee unserer Studie war: Was ist nationale Sicherheit Menschen wert? Das Problem ist nur, dass man diese Frage schwer bemessen kann. 2 Prozent mehr nationale Sicherheit oder 5 Prozent, das kann man auf einer Skala überhaupt nicht ausdrücken. Also haben wir konkrete Politikmaßnahmen identifiziert, mit denen die Bundesrepublik sicherer gegen Angriffe von außen wäre. Wir haben Menschen befragt, wie ihre Zahlungsbereitschaft für vier Maßnahmen wäre: eine Erhöhung der Truppenstärke der Bundeswehr, der Aufbau einer europäischen Armee, die mögliche Wiederaktivierung der Wehrpflicht oder Schutzschirme gegen Angriffe aus der Luft. Und für diese konkreten Maßnahmen haben wir letztendlich Zahlungsbereitschaften ermittelt.

ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Sein Fokus liegt auf Umwelt-, Energie- und Ressourcenökonomik.

Und für diese Maßnahmen würden die Menschen in Deutschland gerne mehr Geld bezahlen?

Die 11,5 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen in unserer Studie beziehen sich auf die vier von uns genannten Maßnahmen. Zahlungsbereitschaften bei ökonomischen Studien messen letztlich die Wertschätzung für ein bestimmtes Mittel. Was man anhand unserer Erhebung sagen kann, ist, dass die Bevölkerung bereit wäre, mehr Steuern zu zahlen, um Verteidigungsausgaben zu finanzieren.

Mit dem Sonderprogramm für die Bundeswehr werden Militärausgaben in Deutschland aktuell massiv über Schulden finanziert. Die Leute wären aber auch bereit, direkt belastet zu werden für diese Wehrausgaben?

Absolut. In unserer Studie ist die Zahlungsbereitschaft immer ausgedrückt über Steuererhöhungen für die Befragten selbst. Da steht eine gewisse Methodik dahinter, in der es darum geht, die Belastungen der Befragten konkret zu erfassen: Ist es für mich, mit meinem Einkommen, in meiner Lebenssituation, mit meiner Familie, ist es mir gerade 150 Euro Wert, dass die Truppenstärke der Bundeswehr erhöht wird oder nicht?

Schlechter Gewinner

Laut Haushaltsentwurf für 2025 stünde Verteidigungsminister Boris Pistorius auf der Gewinnerseite: Sein Haus soll im Gegensatz zu anderen Ministerien im kommenden Jahr etwa 1,3 Milliarden Euro mehr erhalten als in diesem Jahr und hätte damit ein Budget von 53,3 Milliarden Euro, 11 Prozent des 481 Milliarden Euro umfassenden Gesamthaushalts für 2025. Hinzu kommt noch das Geld aus dem Sonderprogramm, aus dem der Minister im kommenden Jahr über 22 Milliarden verfügen kann. Pistorius gab sich dennoch enttäuscht.

Lästern als Strategie

In einem Brief an die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr schrieb der Minister: „Das Ergebnis ist nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben und gebraucht hätten. (..) Allein für den Haushalt 2025 hätten wir einen Aufwuchs von über sechs Milliarden Euro benötigt, um die Bundeswehr mit dem auszustatten, was sie angesichts der Zeitenwende braucht.“ Unterdessen konnte eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums gegenüber der taz nicht erklären, woraus sich die geforderten 6 Milliarden Euro an Mehrausgaben zusammensetzen.

2028 wird’s was geben

Ende 2027 wird das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr ausgegeben sein. Der Entwurf für den Finanzplan für die kommenden Jahre sieht deshalb vor, dass die Ausgaben für das ­Verteidigungsministerium 2028 sprunghaft um fast 30 Milliarden Euro auf 80 Milliarden ansteigen sollen. Woher das Geld kommen soll, bleibt ein Geheimnis der Bundesregierung. (taz)

Sie haben die Zahlungsbereitschaft der Befragten auch nach Parteienpräferenz geordnet: Wäh­le­r*in­nen von SPD, Union, FDP und Grünen würden jeweils etwa 100 Euro mehr im Jahr bezahlen, wenn die Bundeswehr dafür um 25 Prozent größer wäre. Große Unterschiede gibt es je nach Parteianhängerschaft aber bei der Wiedereinführung der Wehrpflicht. Vor allem Grünen-Wähler*innen sind dagegen. Ist das nicht ein Widerspruch?

Das könnte durchaus sein. Natürlich müsste die Erhöhung der Truppenstärke durch eine Anzahl von Männern und Frauen geleistet werden, und das könnten zum Beispiel Wehrpflichtige sein.

Man könnte bei den An­hän­ge­r*in­nen der Grünen also pointiert sagen: Geld ja, Einsatz nein?

Das haben wir nicht näher untersucht. Es könnte ja auch eine Altersfrage sein. Wenn man im wehrfähigen Alter ist, dann wird die Frage viel persönlicher. Was wir sehen, ist, dass Ablehnung gegenüber der Wehrpflicht viel stärker ist bei jüngeren Befragten, und das durch alle Parteien.

Können Sie denn anhand der Studiendaten sagen, bei welchen Wäh­le­r*in­nen die Zahlungsbereitschaft für die Erhöhung der Truppenstärke am größten wäre?

Nein, bei den Grünen, der CDU und der SPD ist das mehr oder weniger gleich. Wir haben hier kleine Unterschiede festgestellt, aber die sind statistisch nicht bedeutsam. Hinzu kommt: Unsere Studie beruht auf der Sonntagsfrage, da sind die Anhänger der einzelnen Parteien in unterschiedlichen Stärken vertreten. Das ist auch ein Grund dafür, warum wir zu den Wählern der Linken nur vage Aussagen treffen können, weil ihre Zahl zum Datum der Erhebung so klein war.

Ihre Studie zeigt auch, dass es bei AfD-Wähler*innen die niedrigste Bereitschaft gibt, für eine Erhöhung der Truppenstärke der Bundeswehr mehr Geld auszugeben. Hat Sie das überrascht?

Die Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Parteipräferenzen und der Zahlungsbereitschaft für einzelne Maßnahmen waren in dieser Studie rein explorativ, wir hatten keine Erwartungen für den Zusammenhang zwischen diesen beiden Antworten. Für zukünftige Studien wäre eine genauere Untersuchung jedoch eine wichtige Aufgabe.

Gibt es historische Studien, anhand derer Sie feststellen können, ob die Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung in Deutschland für Verteidigungsausgaben gestiegen ist? Zum Beispiel wegen Russlands Krieg in der Ukraine?

Nein, dazu gibt es leider nichts. Der Grund dafür, warum wir diese Studie aufgesetzt haben, ist, dass es diese Art von Untersuchungen bisher eigentlich weltweit nicht gibt: also die Bewertung der Verteidigungsbereitschaft in ökonomischen Einheiten, in Euros und Cents. Aber man muss dazu sagen, dass so eine Methodik, wie wir sie gewählt haben, unter anderen Ökonominnen und Ökonomen auch kritisch gesehen wird.

Warum?

Wir haben hypothetische Fragen gestellt: Wir haben den Studienteilnehmern zwar alles möglichst realistisch vorgestellt und sie darum gebeten, gut zu überlegen und die Fragen ernst zu nehmen. Trotz dieses ganzen Aufwands wissen wir final natürlich nicht, ob ein Befragter, der sagt, er würde für die Erhöhung der Truppenstärke 140 Euro mehr zahlen, das auch wirklich tun würde. Unsere Methodik kommt aus dem Bereich der Umwelt- und der Gesundheitsökonomik. Wenn es um Klimaschutz geht oder die Verbesserung der Luftqualität in Städten, wird diese Art von Studien sehr routinemäßig angewendet, es geht dabei um die Bewertung so genannter öffentlicher Güter. Unsere Studie ist, soweit wir das überblicken können, die erste, die dieses Konzept auf die Verteidigungspolitik anwendet.

Was hat denn die Luftqualität mit Verteidigungsausgaben zu tun?

Darum geht es nicht. Aber es ist sinnvoll, Verteidigungsmaßnahmen als ein öffentliches Gut zu betrachten. Wenn man innerhalb der deutschen Grenzen lebt und es einen gewissen Verteidigungsschutz gibt, dann kommt der allen zugute, die sich hier aufhalten. Die Frage ist dann: Was ist uns das wert? Wir reden gerade wegen des Regierungsentwurfs für den Haushalt viel über die Kosten. Aber aus einer Wohlfahrtsperspektive muss man auch erkennen, dass die Ausgaben einen Nutzen produzieren. Und um die Quantifizierung dieses Nutzens geht es.

Aber in der Praxis geht es dann doch häufig um eine Abwägung zwischen mehreren öffentlichen Gütern, etwa Gesundheitsversorgung und Verteidigung: Wäre ich etwa bereit, auf eine bessere Sozialversorgung zugunsten einer stärkeren Bundeswehr zu verzichten. Wenn Einschnitte in anderen Bereichen spürbar werden, sieht man die eigene Zahlungsbereitschaft nochmal etwas kritischer, oder?

Diese Überlegungen gibt es auf jeden Fall, und das ist auch eine absolut spannende Forschungsfrage. Methodisch würde man hier versuchen, Präferenzen der Bevölkerung für die einzelnen Budgetposten im Haushalt zu erfahren. Dann kann man diese Zielkonflikte betrachten, die es natürlich gibt: Wenn also ein Verteidigungshaushalt steigen soll, dann muss vielleicht ein Sozialhaushalt dementsprechend kleiner ausfallen. Meines Wissens gibt es Fragestellungen wie diese in der Literatur bereits schon, und wir im Team überlegen, ob wir das in Zukunft auch nochmal erforschen

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