Gefangenenaustausch mit Russland: Menschenhandel nach Kreml-Art

Zwischen Russland, den USA und anderen Länderen deutet sich ein Gefangenenaustausch an. Auch US-Journalist Gershkovich kam frei.

Evan Gershkovich

Wurde unlängst erst zu 16 Jahren Lagerhaft verurteilt: US-Journalist Evan Gershkovich Foto: Dmitri Lovetsky/ap

MOSKAU taz | Dass etwas im Busch war, wurde deutlich, als politische Gefangene in Russland nach und nach aus ihren Strafanstalten verschwanden. Russische Jour­na­lis­t*in­nen im Exil verfolgten seitdem jede Bewegung auf der Webseite Flightradar24, berichteten, welche Maschine woher und wohin unterwegs sei, wie lange sie wo halte.

„War der Liner nicht auch schon beim Gefangenenaustausch vom russischen Waffenhändler Wiktor But und der amerikanischen Basketballspielerin Brittney Griner im Dezember 2022 eingesetzt worden?“, schrieben sie in ihren Telegram-Kanälen und schienen fast schon mit dabei zu sein beim regelrechten Thriller um Menschen, die der russische Staat als Faustpfand festhielt, um sie gegen Gefangene aus dem Westen freizupressen.

Gegen staatliche Killer wie den Tiergartenmörder Wadim Krassikow zum Beispiel, der im August 2019 in Berlin den früheren georgisch-tschetschenischen Feldkommandeur Selimchan Changoschwili getötet hatte.

Ganz unverhohlen sprach Russlands Präsident Wladimir Putin von Krassikow als wahrem Patrioten und machte deutlich, dass er die „Seinen“ nicht im Stich lassen werde. Die „Seinen“, das sind Mörder, Spione und Betrüger. Wohl acht an der Zahl.

Für den Kreml ist der ausgehandelte Deal, wie er sich am Donnerstag andeutete, ein wahrer Gewinn. So zeigt er nach innen, dass er sich zum einen für die, die ihm treu ergeben sind, einsetzt, zum anderen aber auch, dass er die, die er für unnötig hält in seinem Land, aus diesem Land rausschmeißt. Der Menschenhandel auf Kreml-Art rettet zwar den russischen Polit-Gefangenen regelrecht das Leben. Und doch werden sie vor vollendete Tatsachen gestellt.

Wie zu Zeiten Stalins

Bis zum Redaktionsschluss am Donnerstagnachmittag war vom Austausch nichts offiziell bestätigt worden. Diverse Medien berichteten aber von einem großen Gefangenenaustausch zwischen Russland, den USA, Deutschland und anderen Ländern. Insgesamt soll es um 26 Gefangene gehen.

Auf der Liste stehen demnach der amerikanische Journalist Evan Gershkovich, der als in Russland akkreditierter Korrespondent des Wall Street Journal zur Rüstungsindustrie in Russland recherchierte und wegen angeblicher Spionage erst vor zwei Wochen – in aller Eile – zu 16 Jahren Strafkolonie „strengen Regimes“ verurteilt wurde.

Auch auf der Liste steht Paul Whelan, der einstige amerikanische Infanterist, der ebenfalls zu 16 Jahren wegen „Spionage“ seit vier Jahren in einer russischen Strafkolonie einsaß. Auch die russischen Oppositionspolitiker Wladimir Kara-Mursa oder Ilja Jaschin, die sich seit ihrer Jugend für ein liberales Russland einsetzen und als Oppositionelle im Land bleiben wollten, obwohl der Verbleib für sie immer gefährlicher wurde, sind dabei.

Sie, wie auch der im Februar in einer Strafkolonie hinterm Polarkreis getötete russische Oppositionspolitiker Alexei Nawalny, wollten in Russland sein, sie wollten ihre Glaubwürdigkeit als Politiker nicht verlieren. Sie nahmen alles auf sich, auch die brutale russische Haft.

Nawalny bezahlte seinen Kampf mit dem Leben. Kara-Mursa hatte zwei Giftanschläge des russischen Geheimdienstes überlebt, lag zuletzt in einem Gefängniskrankenhaus in Omsk in Sibirien. 25 Jahre wegen Hochverrats bekam er im April 2023, ein Urteil wie zu Zeiten Stalins. Er hatte Moskaus Invasion in der Ukraine im Repräsentantenhaus in Arizona offen verurteilt und musste dafür büßen.

Jaschin hatte über die russischen Gräueltaten in Butscha berichtet und bekam 8,5 Jahre wegen „Falschaussagen über die russische Armee“. Mehrmals betonte er, auch bereits in Haft, dass er einem Gefangenenaustausch nicht zustimmen werde. Doch wer fragt ihn schon? In Russland niemand.

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