Letzte Umfragen sehen das „Non“ vorn

In Frankreich versucht Präsident Chirac das letzte Mal, die Bevölkerung mit einer Fernsehansprache von einem „Oui“ zur EU-Verfassung zu überzeugen. AnhängerInnen des „Non“ wollen noch nicht an den Triumph der eigenen Kampagne glauben

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Mehr als ein halbes Jahr lang haben die FranzösInnen über die EU-Verfassung debattiert. Mehr als 40 Millionen Exemplare des Textes sind in den vergangenen Wochen an sämtliche WählerInnen verteilt worden. Gestern, am letzten Tag der offiziellen Kampagne, herrschte Endzeitstimmung im Lager der BefürworterInnen, die so siegesgewiss begonnen hatten. Der Chef der rechten Regierungspartei UMP, Nicolas Sarkozy, spricht bereits von einem wahrscheinlichen Sieg des „Non“.

Staatspräsident Jacques Chirac hingegen, der am Donnerstagabend eine gaullistisch anmutende Ansprache auf allen Fernsehsendern hielt, zwingt sich bis zum Schluss zu Optimismus. In seiner achtminütigen Rede benutzte er siebenmal das Wörtchen „oui“, lobte die „exemplarische politische Debatte“, und versprach, dass er die Impulse daraus in der nationalen Politik umsetzen würde.

Doch Chirac kündigte weder eine Parlamentsauflösung noch seinen eigenen Rücktritt an und stellte auch keine Regierungsumbildung in Aussicht. Stattdessen sagte er seinen Landsleuten, sie hielten „das Schicksal Frankreichs und Europas“ in den Händen und mahnte, ein „Non“ führe zu mindestens drei Problemen: „ein geschwächtes Frankreich“, „eine geschwächte deutsch-französische Beziehung“ und „ein gespaltenes Europa“.

Laut den jüngsten Umfragen werden morgen um 55 Prozent der WählerInnen gegen die Verfassung stimmen. Paradoxerweise geben sich die VerfassungsgegnerInnen dennoch verhalten. „Alles ist möglich“, sagen zumindest die Linken, die die Mehrheit unter den GegnerInnen stellen. Dabei organisierten sie bis zuletzt Großveranstaltungen im ganzen Land. Auf ihren Bühnen saßen dabei in selten erlebter Eintracht TrotzkistInnen, KommunistInnen, Grüne und SozialistInnen zusammen.

Triumphalistisch gibt sich bloß Jean-Marie Le Pen, der ebenfalls zum „Non“ aufgerufen hat. Der Rechtsextreme brachte allerdings bei seinem vollmundig als „größtem Treffen der Kampagne“ angekündigten Meeting am 1. Mai nicht einmal 2.000 AnhängerInnen zusammen. Damit blieb er weit hinter seinen eigenen früheren Erfolgen zurück.

Die Spitze der PS, die sich seit Dezember auf ein „Oui“ festgelegt hat, schoss bis zum Schluss der Kampagne scharf gegen ihre eigenen GenossInnen. Rund 55 Prozent der sozialistischen WählerInnen und die komplette radikale Linke schicken sich zu einem „Non“ an. Von PS-Chef François Hollande und Expremier Lionel Jospin werden sie deswegen in einem Atemzug mit Rechtsextremen und FremdenfeindInnen genannt. Die Basis beeindrucken solche Vergleiche wenig. Bei ihren Meetings entwerfen sie bereits die Grundzüge für ein sozialeres Europa.