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: „Auch heute ist Umbruch ein Thema“

Nicht nur die Goldenen 20er erklingen in Freden

Interview Mika Backhaus

taz: Utz Köster, dieses Jahr stehen die Fredener Musiktage unter dem Motto „Zwanzigerjahre“: Wie sind Sie auf das Motto gekommen?

Utz Köster: Tatsächlich ist uns das eingefallen, weil wir immer schon spannend fanden, ein Programm mit Schwerpunkt 20er-Jahre zu machen. Natürlich denkt man da zunächst an die 1920er, aber wir haben festgestellt, dass die 1820er-Jahre genauso spannend sind im Übergang von Klassik zu Romantik. Gerade in der Musik ist da unheimlich viel passiert.

taz: Wo finden sich diese musikalischen Umbrüche im Programm wieder?

Foto: Helge Krückeberg

Utz Köster

Bratschist, ist Intendant der Internationalen Fredener Musiktage, die er 1991 gegründet hat.

Köster: Wir hatten jetzt gerade das Schubert-Oktett im Programm. Das ist ein ganz wichtiger Schritt in die Romantik und weg von der Klassik. Und dann kamen wir beim Nachdenken darauf, dass auch die 1720er sehr interessant sind: Bach hatte da eine seiner kreativsten Phasen. In dieser Zeit sind seine Passionen entstanden und Händel schrieb viele seiner Opern. Auch in den 1620ern gab es eine Umbruchphase: Dieser Zeit verdanken wir die moderne Form der Geige. Und auch heute ist Umbruch ein Thema. Zeitenwende ist ja ein geflügeltes Wort im Moment.

taz: Was macht für Sie den Geist der 20er-Jahre aus?

Köster: Wenn ich jetzt von Homo Bullah, also der Mensch ist eine Seifenblase, ausgehe, dem Programm am Donnerstag, dann haben wir auf jeden Fall das Vanitas-Motiv, das in den 1620ern im Vordergrund stand. Das wird auch von den Texten her anklingen, die am Donnerstag gelesen werden. In den 1720ern war die Aufklärung ein wichtiges Stichwort, gerade auch, wenn man das ein bisschen weiter fasst als nur musikalisch und über den Tellerrand hinausguckt: Deshalb haben wir zum ersten Mal so ein musikalisch-literarisches Projekt und das fanden wir total faszinierend. Ich habe Heiko Deutschmann, Ulf Schneider und Jan Philipp Schulze vor zwei Jahren in Trier erlebt und hinterher saßen wir zusammen, ich habe von dem geplanten Programm erzählt, da machte der Heiko Deutschmann ganz große Augen.

Festival Internationale Fredener Musiktage, bis 6. 8.

Konzerte „Komponistenporträt Sven-Ingo Koch“, Zehntscheune Freden, 1. 8., 18 Uhr;„Homo Bulla – Der Geist der Zwanzigerjahre aus fünf Jahrhunderten“, Zehntscheune Freden, 1. 8., 19 Uhr

taz: Mir drängt sich noch eine Frage auf. Im Programm finden sich fast ausschließlich Namen von Männern. Müssten nicht auch Komponistinnen wie Nadia Boulanger, Ethel Smyth oder Florence Price vorkommen, wenn es um die Zwanzigerjahre geht?

Köster: Das Programm wurde noch mal revidiert. Gerade bei Homo Bullah wird es auch eine Frau geben, die geschrieben hat, das ist Fanny Hensel, die Schwester von Felix Mendelssohn-Bartholdy, die auch wunderbare Musik geschrieben hat. Da wird also auf jeden Fall auch ein Frauenname dabei sein. Ich habe die Auswahl, nicht getroffen, da haben die Künst­le­r*in­nen, die so ein Projekt entwerfen, freie Hand. Und wenn sich das so ergeben hat, dränge ich nicht darauf, dass da noch unbedingt ein Frauenname auf dem Programm stehen muss.