„Politik wird auch im Kleinen gemacht“

Die kulturelle Arbeit von migrantischen Initiativen ist in Ostdeutschland nur wenig sichtbar. Sie müssen mehr gefördert werden, um den öffentlichen Raum nicht den Rechten zu überlassen, findet Lorena Millán vom Yuca-Kollektiv

Der Kampf gegen rechts wird nicht immer so laut wie hier bei einer Demo in Leipzig geführt Foto: Ingmar Björn Nolting/laif

Interview Joscha Frahm

taz: Frau Millán, bei den Landtagswahlen in Sachsen im September könnte die AfD erstmals stärkste Kraft werden, viele migrantische ostdeutsche Initiativen fühlen sich schon jetzt in ihrem Engagement erheblich bedroht. Warum ist es wichtig, gerade jetzt weiterzumachen?

Lorena Millán: Zum einen ist es wichtig, dass migrantische Menschen in Ostdeutschland sichtbar bleiben und wir Räume nicht nur den Rechten überlassen, obwohl das immer anstrengender und auch gefährlicher wird. Gleichzeitig können migrantische Initiativen eine Art Safe Space bieten. Gerade weil die AfD immer stärker wird und sich Nazis auch auf den Straßen Leipzigs zunehmend sicher fühlen, ist es wichtig, einen Rückzugsort zu haben, an dem man sich austauschen, kreativ sein und eigene Narrative prägen kann. Im vorigen Jahr haben wir vom Yuca-Kollektiv angefangen, einen Dokumentarfilm zu drehen, in dem es um ein typisches kolumbianisches Spiel geht. Auch wenn der Film nicht direkt politisch ist, hat die Arbeit daran eine Wirkung auf uns: Wir können auf eine nostalgische Art und Weise an unsere Heimat denken, uns über Fluchterfahrung, das Ankommen und Rassismus­erfahrungen in Deutschland austauschen. Gerade organisieren wir Workshops für migrantische Künst­le­r:in­nen und Filmvorstellungen, bei denen sie ihre Arbeit präsentieren können.

Kann das auch dabei helfen, den Aufstieg der AfD im Osten zu verhindern?

Naja. Hier muss man unterscheiden: Was ist das Ziel des Kollektivs? Wollen wir einen Safe Space schaffen oder wollen wir auf Konfrontation setzen? Ich denke, dass beides wichtig ist. Ich würde gerne mal mit einem AfD-Wähler diskutieren, mich mit ihm hinsetzen und meine Perspektive erklären. Meine Erfahrung ist aber: Die wollen das meistens gar nicht. Das habe ich auch im privaten Umfeld mitbekommen. Meine Familie kommt aus Kolumbien, viele von ihnen wählen dort extrem rechte Parteien. Wenn ich sage: Komm, wir diskutieren darüber, lehnen die meisten ab oder wechseln das Thema. Das ist in rechten Kreisen sehr verbreitet. Dabei ist es wichtig, den Austausch nicht abzubrechen. Gleichzeitig verstehe ich, dass andere migrantische Kollektive nicht bereit sind, mit Rechten zu sprechen. Dabei geht es auch um Sicherheit.

In den vergangenen Jahren hat sich die Situation in Ost deutschland ja auch deutlich zugespitzt, es kommt vermehrt zu rassistischen Übergriffen. Wie sicher ist es für migran­tische Initiativen, in der Öffentlichkeit in Erscheinung zu treten?

Bisher hatten wir Glück und sind als Kollektiv von rassistischen Angriffen weitgehend verschont geblieben. Privat haben aber schon viele von uns Rassismuserfahrungen gemacht und wurden bedroht. Ich habe häufig Angst, wenn ich auf Demonstrationen gehe oder wir Filmvorstellungen veranstalten. Auf die Polizei können wir uns dabei nicht verlassen. Dass immer wieder rechtsextreme Strukturen innerhalb der Sicherheitsbehörden aufgedeckt werden, hilft nicht gerade dabei, unser Vertrauen in staatliche Institutionen zu stärken. Außerdem bespielt nicht nur die AfD rassistische Narrative: Auch andere Parteien fordern eine restriktivere Asylpolitik und Massenabschiebungen. Mi­gran­t:in­nen werden kriminalisiert. Zudem hat der Staat scheinbar kein Interesse daran, migrantische Initiativen effektiv zu unterstützen. Die finanzielle Situation vieler solcher Initiativen ist sehr prekär.

Woran liegt das?

Die bürokratischen Hürden, staatliche Förderung zu beantragen, sind groß. Für Menschen, die nicht muttersprachlich deutsch sprechen, ist es eine große Herausforderung, Anträge korrekt auszufüllen. Selbst wenn man schon ein hohes Deutschniveau hat – Bürokratie-Deutsch ist einfach etwas anderes. Wir brauchen einen niedrigschwelligen Zugang zu Ressourcen. Ein Beispiel: Wir haben mit unserem Dokumentarfilm bei einem Kreativwettbewerb 200 Euro gewonnen. Um das Geld zu bekommen, mussten wir eine Rechnung schreiben. Keiner von uns wusste, wie das geht. Außerdem gibt es kaum spezielle Förderprogramme, die gezielt migrantische Initiativen ansprechen. Bis man die Förderung wirklich erhält, kann es zudem sehr lange dauern. Das gefährdet die Arbeit vieler Initiativen. Wir machen momentan eine Pause, weil viele nicht mehr so motiviert sind wie früher oder sich auf ihre Ausbildung und ihr Studium konzentrieren wollen. Wir sind außerdem noch auf der Suche nach finanzieller Unterstützung, um unser aktuelles Filmprojekt fertigzustellen. Ohne Förderprogramme ist es schwierig, die Arbeit in der Initiative kontinuierlich aufrechtzuerhalten. Wir als recht kleine Initiative sind deshalb bisher auf die Vernetzung mit anderen Initiativen angewiesen.

Wobei genau kann die Vernetzung denn helfen?

Foto: Yuca Kollektiv

Lorena Millánist Medienwissenschaftlerin und lebt in Leipzig. Seit 2022 ist sie Teil des Yuca-Kollektivs, das Kolonialismus und Rassismus-kritische Projekte realisiert.

Das beginnt schon im Kleinen. Zum Beispiel, was den Verleih von technischem Equipment angeht. Bei einigen Filmvorstellungen konnten wir uns Beamer und Beleuchtung von einer anderen Initiative leihen, ohne dafür Geld zahlen zu müssen, was vor dem Hintergrund unserer finanziellen Situation essenziell ist. Auch der Austausch über Erfahrungen, etwa mit Förderprogrammen, ist wichtig. Insgesamt fühlen wir uns durch andere Initiativen gestärkt, können uns gegenseitig unterstützen und der politischen Situation gemeinsam etwas entgegensetzen, indem wir unsere eigenen Geschichten erzählen. In Leipzig sind wir da natürlich privilegiert und bewegen uns in einer Blase. In anderen Orten in Sachsen ist das sicher anders.

Was macht Ihnen trotz allem Hoffnung?

Wir dürfen, auch wenn die politische Lage schwierig ist, auf keinen Fall aufhören. Klar: Es kann schon entmutigen, dass die AfD immer stärker wird und wir dem nicht direkt etwas entgegensetzen können. Wir merken ja nicht nach einer Aktion, die wir machen, dass die AfD plötzlich weniger Stimmen in den Umfragen gewinnt. Politik wird aber auch im kleinen Rahmen gemacht. Schon das Gefühl, dass andere Menschen die gleichen Sorgen und die gleiche Vorstellung von einer gerechten Gesellschaft haben, gibt mir Kraft. Filme zu drehen, kleine Künst­le­r:in­nen zu unterstützen und miteinander zu sprechen – all das stärkt den Kampf gegen rechts.