Fahrstuhlmusik statt Tiktok

Die Elevator Boys sind in den letzten Jahren zum Internetphänomen geworden. Jetzt starten sie ihre Musikkarriere. Wer sind sie und was machen sie?

Bringen Tiktok-Steifheit auf die Bühne: die Elevator Boys Foto: Fo­to: Adam Berry/getty images

Aus BerlinValérie Catil

Etwa eine halbe Stunde vor Beginn des Konzertes herrscht Totenstille vor dem Festsaal Kreuzberg. Eine Menschenmenge sammelt sich dagegen am Seiteneingang. Wer hier wartet, steht auf der Gästeliste. Die High Society der deutschen Influencerwelt hat sich an diesem Donnerstag Mitte Juli versammelt, um dem ersten Livekonzert der Elevator Boys zu lauschen.

Es ist heiß und die dezent schwitzenden Influencerkörper glänzen im warmen Licht des Sonnenuntergangs. Männer mit Tanktops und dickem Bizeps, Frauen mit Fake Tans und Extensions, Schönheiten mit makelloser Haut, die lila „Vogue“-Zigaretten rauchen und dann mit ihren Kitten Heels austreten – alle stehen an, um endlich ihr ganz besonderes Bändchen zu bekommen, mit dem sie für umme rein dürfen. Damit sie sehen und gesehen werden.

Vor heute Abend hatte sich die Bühne der Elevator Boys noch auf das kleine Rechteck des Handybildschirms beschränkt. Die Elevator Boys, das sind Julien Brown, Luis Freitag, Jacob Rott, Tim Schaecker und Bene Schulz. Sie kommen aus der Nähe von Frankfurt und sind alle etwa Anfang 20. Eigentlich kennt man sie von Tiktok. Seit 2021 posten sie dort Videos und verdrehen User_innen den Kopf.

Viele Videos folgen einem ähnlichen Prinzip. Oben ein Schriftzug „POV (Point of View): You enter the elevator“. Also: „Stell dir vor, du betrittst einen Aufzug“. Das Video ist dann deine Perspektive: Du drückst auf den Knopf, die Tür öffnet sich, fünf Männer erscheinen. Erst gucken sie verschmitzt, aber mit dem Wissen darum, wie heiß sie gerade aussehen, zu Boden. Dann schaut einer direkt in die Kamera, wie in deine Augen. Der Blickkontakt ist fast unerträglich vor Spannung. Der Typ schaut an dir runter, beißt sich auf die Lippe und schaut weg. Dann lächelt er den anderen Jungs zu. Ende.

Dieser besonderen Inszenierung haben die Fahrstuhljungs übrigens auch ihren Namen zu verdanken. Die Videos dauern meist knapp 10 Sekunden, können sich aber anfühlen wie eine Ewigkeit – für einige weil romantisch, für andere weil unangenehm. Die POV-Videos sind nicht immer auf den Aufzug beschränkt, mal flirten die Jungs auch auf offener Straße, mal auf einer Rolltreppe. In anderen Videos präsentieren sie ihre muskulösen Körper, tanzen oder lipsyncen, bewegen ihre Lippen also zu Liedern, die andere singen. Dank dieser Clips haben die Elevator Boys heute 2,5 Millionen Follows auf Tiktok, 747.000 auf Instagram. Aber natürlich gibt es nicht nur Fans.

Oft sieht man die Videos der Jungs auf sogenannten Cringe-Accounts auf Instagram und Tiktok. Da können sich Digital-Masochisten Clips ansehen, die Fremdscham auslösen, wie jene der Elevator Boys. Ein Account heißt @trynottounfollowchallenge und suggeriert schon im Namen, dass man eigentlich entfolgen möchte, weil die Videos eben so cringe sind. Am 30. Juli postete der Account ein Video von Tim und Luis. Homophobe Kommentare sammeln sich darunter: „Das ist so schwul“, „Ich wette 50 Dollar, dass die miteinander rummachen“.

Die Elevator Boys gehen mit dieser Art Öffentlichkeit gelassen um: „Wenn Accounts unsere Videos posten, finden wir das meistens lustig. Manchmal sehen wir alte Sachen und lachen auch darüber“, sagt Bene. Ihren Content hätten sie nie so ernst genommen. Jacob fügt hinzu: „Ich glaube auch, wir würden nicht alle Videos genauso noch mal drehen. Es ist ein bisschen so, wie wenn man verkatert aufwacht und denkt, was habe ich letzte Nacht gemacht?“ Die anderen grinsen. Trotzdem: In einer Partnerschaft mit HateAid – eine NGO für Menschenrechte im digitalen Raum – versuchen die Elevator Boys auf Hass im Netz aufmerksam zu machen.

Im analogen Raum, dem Festsaal Kreuzberg, geht es mit dem Einlass weiter. Die VIPs durften schon rein. Die normalen Besucher_innen stehen zwar auch drinnen, aber noch im Vorraum. „Die sind alle unter 18“, mutmaßt ein Securitytyp. Als auch sie endlich in den Konzertsaal dürfen, stürmen sie nach ganz vorne zur Bühne, um sich die beste Sicht auf die Boyband zu sichern. Angekündigt war, dass das Konzert um 20 Uhr beginnt. Eine halbe Stunde später geht es dann tatsächlich los. Echte Superstars sind selbst bei ihrem ersten Live Gig zu spät.

Die Bühne ist in Rot getaucht. Dutzende Handys gehen in die Höhe. Erst kommen Schlagzeuger, Gitarristin und Bassist auf die Bühne, dann die fünf Aufzug-Männer. Die Fans kreischen. Die seidigen Haare und kantigen Wangenknochen der Boys funkeln im Scheinwerferlicht. Jacob trällert die Lyrics von „Ruin Me“. „Ich bin ein absolutes Wrack, ich bin ein totales Durcheinander. Baby, schau, was du getan hast. Ich bin ein Wrack für dich.“ Bei den Worten „für dich“ zeigt er auf ein Mädchen im Publikum. Bene singt als nächstes, eine Gruppe kreischt laut. Alle Klischees sind erfüllt. Die Elevator Boys singen auf Englisch, manchmal dringt ein schwacher deutscher Akzent und ein schiefer Ton durch. Sie spielen astreine, wenn auch generische Popmusik, die man – ob man will oder nicht – auf dem Heimweg mitsummen muss.

Als der Beat dropped beginnt die Menge, sich zu bewegen. Erst verhalten, dann mit jedem Song ausgelassener. Auch die Elevator Boys wirken anfangs überfordert von der großen Bühne, die sie auf einmal bespielen. Sie bewegen sich, als müssten alle Gliedmaßen auf das Format eines Handybildschirms passen. Sie brauchen ein bisschen, bis sie lockerer werden.

„Wir wollen einfach mal was zurückgeben“, sagt Bene zwischen zwei Liedern. Sie begrüßen alle Gäste und bedanken sich, natürlich auch auf Englisch für internationale Gäste. Beim nächsten Song wechseln Tim und Jacob „Wir haben es geschafft“-Blicke. Es folgt eine gemeinsame Trinkunterbrechung wegen eines Werbedeals mit irgendeiner Getränkemarke. Jede Bewegung sitzt, vermutlich dutzendfach geprobt.

Eine Gruppe Mittzwanziger – denn es sind doch nicht alle im Publikum minderjährig – erzählt, dass sie „total ironisch“ hergekommen seien. Auf der Zugfahrt haben sie in Dauerschleife den neuen Song „Scared to Love“ gehört und brüllen textsicher mit, als die Elevator Boys den Song spielen. Auch ein Schild haben sie gebastelt, auf dem steht „I <3 Elevatormusic“ – also Fahrstuhlmusik. Andere Menschen haben diesen Spruch auf ihre Shirts gedruckt. Das seien alles Bekannte der Band, erklärt eine der T-Shirt-Trägerinnen.

Nach etwas mehr als einer halben Stunde ist das Konzert vorbei und das Publikum perplex

Auch die Familien sind anwesend und stehen oben auf der Tribüne, manche in eben diesen bedruckten Shirts. Ständig werfen die Jungs Blicke hoch, Tim winkt. Jemand jubelt zurück, ein anderer gibt zwei Daumen hoch. Eine Oma wippt mit Tränen in den Augen zur Musik. Die Tribüne strotzt vor Stolz. Jacob erzählt später, dass diese Reaktion auch eine Erleichterung war: „Unsere Eltern waren die ganze Zeit so weit entfernt von dem, was wir da tun. Es ist schön, ihnen jetzt was Greifbares geben zu können.“

Nach etwas mehr als einer halben Stunde ist das Konzert vorbei. Mehr Songs gibt es noch nicht. Das Publikum, das auf eine Zugabe hofft, wird etwas perplex, aber mit dem Versprechen einer After-Show-Party zurückgelassen.

Auch die Jungs haben Bock auf mehr. „Wir werden alles dafür geben, dieses Jahr noch mal vor einem größeren Publikum zu spielen“, sagt Jacob später der taz. „Ansonsten wollen wir einfach mehr Musik machen.“ Die Musik helfe dabei, nicht nur aufs Aussehen reduziert zu werden, meint Luis, und Bene ergänzt: „Es geht mehr um unsere Persönlichkeit.“ Und als wäre das Musik-Business ganz ehrlich und echt erklärt er: „Die Tiktok-Welt war oft ein Schauspiel“. Diese Social-Media-Hülle wollen sie mit Leben und Charakter füllen – und zwar durch neue Musik. Das Publikum wird sich sicher über ein paar mehr Tracks freuen.