„Manchmal muss ich lautstark ausatmen“

Vom Versicherungssachbearbeiter zum Vollzeitkünstler: Tobias Vogel alias @kriegundfreitag haben seine Zeichnungen im Internet bekannt gemacht. Jetzt hat er mit einer „Strichmenschen-Demo“ gegen Nazis Spenden gesammelt – auch als Reaktion auf rechte Online-Sphären

Humor, um mit dem Wahnsinn der Welt klarzukommen: Detailansicht der Strichmenschen-Demo Foto: Abb.: @kriegund­freitag

Interview Johanna Weinz

taz: Tobias Vogel, wie viele Strichmenschen haben Sie am vergangenen Wochenende gezeichnet?

Tobias Vogel: Jetzt sind es 7.500. Es ging langsam los und wurde über die Tage immer schneller. Bis zu den fertigen 12.896 Figuren dauert es aber noch.

Wie lange brauchen Sie für Sie eine Figur?

Im Durchschnitt sind es zehn, vielleicht 15 Sekunden. Ein paar Strichfiguren sind etwas detaillierter geworden, dann habe ich auch ein paar Tiere dazwischen gezeichnet, um das Bild aufzulockern. Aber die Standardfigur geht wirklich sehr schnell.

Jedes gegen Nazis demonstrierende Strichmenschlein entspricht einer Spende von fünf Euro. Aber wie kommt man auf so eine Idee?

2018 habe ich schon mal etwas Ähnliches gemacht. Ich wurde gerade bekannter und wollte etwas machen, was nicht nur meiner Person Aufmerksamkeit bringt. Also eine Charity-Aktion, aber sie sollte originell sein. Die damaligen Ausschreitungen in Chemnitz haben mich dazu gebracht, eine Strichmenschenkette zu zeichnen: Figuren, die sich an den Händen halten. Das Geld wurde an den sächsischen Flüchtlingsrat gespendet. An diese Idee wollte ich anknüpfen, nur diesmal mit einer Demo und zugunsten von „Kein Bock auf Nazis“.

Wie sollte man sich in diesen Zeiten einmischen?

Wenn man Teil einer privilegierten Gruppe ist, muss man auch manchmal wissen, wann man nichts zu sagen hat und einfach mal zuhört. Ich selbst mische mich nur selektiv ein, wenn ich auch wirklich etwas zum Positiven verändern kann. Ich bin niemand, der permanent alles, was in der Welt passiert, kommentieren muss, meine Inhalte sind nicht besonders aktivistisch, sie dienen vielmehr der Unterhaltung. Ich finde es aber wichtig die eigene Umgebung stark zu machen und zu widersprechen, wenn jemand aus dem Freundeskreis oder der Familie rechte Parolen schwingt.

Sie arbeiten bei Ihren Zeichnungen immer mit Humor.

Das läuft bei mir stark intuitiv ab, die Mechanik ist mir rätselhaft: Ich wälze verschiedene Gedanken hin und her, kombiniere verschiedene Elemente und irgendwann habe ich das Gefühl, etwas gefunden zu haben, das funktioniert. Humor hilft mir, mit dem Wahnsinn der Welt klarzukommen und lässt sich wunderbar mit Melancholie und Traurigkeit verbinden. Diese beiden Pole miteinander zu verbinden, empfinde ich als reizvoll.

Müssen Sie beim Zeichnen selbst viel lachen?

Nein, ehrlich gesagt nicht. Manchmal muss ich lautstark durch die Nase ausatmen. Aber wenn ich ins Archiv schaue, muss ich manchmal schon ein bisschen lachen. Das sind dann meistens alberne Sachen.

Lässt sich das Leben in ein paar wenigen Strichen zeichnen?

Man kann natürlich nur kleine Spotlights auf verschiedene Aspekte ausrichten. Ich habe ja erst Mitte 30 mit den Cartoons angefangen, war aber auch schon vorher kreativ und habe Gedichte geschrieben. Mich hat es schon immer fasziniert, wie viel Bedeutung man in nur ganz wenig Text legen kann. Das versuche ich auch bei den Cartoons. Die Betrachtenden können nicht alles mit dem bloßen Auge sehen, es gibt noch eine Ebene, die darunter liegt: Der Text ist zweideutig formuliert oder kann offenbleiben. Das Minimalistische aus den Zeichnungen ist keinem Masterplan entsprungen, sondern aus der Not heraus entstanden, weil ich nicht so gut zeichnen konnte. Mittlerweile sind die Figuren zu meiner Handschrift geworden.

Wie sind Sie zum Zeichnen gekommen?

Ich bin ein extremer Phasenmensch und habe im Laufe meines Lebens schon ganz viele Dinge durchprobiert. Meistens hält das aber nur ein paar Wochen an. Das mit den Cartoons war eigentlich eine kurze Phase, die dann so durch die Decke gegangen ist, dass daraus etwas Längeres entstanden ist.

Wie kam es überhaupt zu dieser „Phase“?

Es war an einem Samstag und ich war mit meiner Frau unterwegs, wir sind in einem Buchladen gelandet, nichts Ungewöhnliches. An diesem Tag bin ich vor dem Regal mit Anleitungen zum Zeichnen hängen geblieben. Mit Mitte 30 bin ich dort zum ersten Mal auf die Tatsache gestoßen, dass es etwas sein könnte, was einem gar nicht in die Wiege gelegt wurde, sondern man genau wie Kochen erlernen kann. Die Idee hat mich komplett fasziniert und ich habe eine Anleitung gekauft. Ich konnte ja nur das zeichnen, was auch in dem Buch war, hatte aber Lust, ein bisschen persönlicher zu werden, wofür mir aber die Skills gefehlt haben. So bin ich bei den Strichmenschen gelandet.

Und dann?

Innerhalb von zwei Tagen habe ich zehn Cartoons gezeichnet. Meine Frau fand die super. Dann habe ich gedacht: Okay, ich teile das mit der Welt und habe mir einen Twitteraccount erstellt. Nachdem ich die ersten Cartoons hochgeladen habe, hat mein Handy nicht mehr aufgehört zu vibrieren. Ständig kamen neue Likes und Follower rein. Ich hatte immer gehofft, dass ich mal auf eine Goldader stoße und Menschen für meine Ideen begeistern kann. Dass es wirklich dazu gekommen ist, war surreal.

Möglich gemacht hat Ihren Erfolg also Twitter, heute X genannt – halten Sie sich noch gerne dort auf?

Twitter war so etwas wie mein Wohnzimmer im Internet. Seit Elon Musk halte ich mich fast gar nicht mehr dort auf, es gibt auch keinen Ersatz dafür. Auch Instagram hat sich weg vom Bild hin zu Videos verändert. Dass Orte, an denen ich meine Kunst beworben habe und stattfinden konnte, sich so verändern, erlebe ich als frustrierend. Zumal es mit dem Rechtsruck unangenehm ist, sich permanent in diesen Sphären aufzuhalten. Die Aktion am Wochenende hat sehr gut getan dagegen anzukämpfen.

Foto: Miguel Ferraz

Tobias Vogel alias @kriegundfreitag, 42, vedankt sein Pseudonym er der Auto-Korrektur seines Handys: Aus „Krieg und Frieden“ machte sie „Krieg und Freitag“.

Können Sie heute von der Kunst leben?

Ja, es ist eine Mischkalkulation. Meine Bilder werden mittlerweile für relativ hohe Beträge verkauft. Die Bücher verkaufen sich auch nicht schlecht. Und dann habe ich noch eine Lesebühne in Hamburg, auf der ich monatlich auftrete. Viele Menschen können sich nur sehr reiche oder brotlose Künst­le­r:in­nen vorstellen. Ich habe festgestellt, dass es ganz viele dazwischen gibt.

Wie kommt man aus einem Versicherungsjob übers Zeichnen auf eine monatliche Lesebühne?

Für viele Cartoon oder Co­mic­zeich­ne­r:in­nen gehört es dazu, auch auf der Bühne aufzutreten, man hat ja meistens keinen so guten Verdienst. Beim Publikum kommt das sehr gut an, deswegen habe ich das auch direkt gemacht. Nach einiger Zeit kam ein Freund auf mich zu, der noch ein viertes Mitglied für die Lesebühne gesucht hat.

War das Wochenende ein Erfolg?

Es wäre verrückt, wenn ich unzufrieden wäre. Ich bin ergebnisoffen an die Aktion herangegangen: Der Pessimist in mir konnte sich vorstellen, dass es auf kein Interesse stößt. Ich konnte mir aber auch vorstellen, dass ein verrückter Millionär spenden würde. Schlussendlich sind rund 65.000 Euro an „Kein Bock auf Nazis“ gespendet worden. Da kann man sich schon auf die Schulter klopfen.

Strichmenschen-Demo: bis 20. 7., Hamburg, Galerie Affenfaust