Porträt von Indiepoplabel Sarah: Federleicht den Regen vermeiden

In fein ziselierter Softness schwelgen: das können nur Gitarrenpopbands des Jungbrunnen-Labels Sarah Records aus Bristol. Ein Ortsbesuch in England.

Das Duo The Gentle Spring auf einer klassizistischen Treppe in einem Park in Bristol

Treppe zum Erfolg: Das Duo The Gentle Spring Foto: Skep Wax

„Es ging nie darum, jung zu sein. Wir haben uns immer schon angezogen wie alte Leute!“ Drei Jahrzehnte ist es her, dass Rob Pursey mit seiner Frau Amelia Fletcher beim Label Sarah Records zuletzt ein Album veröffentlicht hat, mit der gemeinsamen Band Heavenly.

Zwischen 1987 und 1995 existierte das Label Sarah Records im englischen Bristol, und die britische Musikpresse hat das Label und seine Künst­le­r:In­nen mit Inbrunst gehasst. Für die Kritik war die Musik der Sarah-Bands etwas für wehleidige Bettnässer.

Speziell die Künstlerinnen wollten einfach nicht den Sex-Appeal liefern, den die großmäuligen Alphatiere der damals noch wöchentlich erscheinenden Musikmagazine NME und Melody Maker verlangten. „Wir hatten kein Geld und haben unsere Klamotten in Secondhandläden gekauft“, erinnert sich Rob Pursey im taz-Gespräch.

Gekleidet wie Senioren

Darum liefen die meisten Mu­si­ke­r*in­nen auf Sarah Records rum wie ihre eigenen Großeltern. Aber, so erklärt Pursey: „Das war auch eine Verweigerungsgeste gegen die Übersexualisierung von Popmusik, wie wir sie schon immer erlebt und gehasst haben.“

Verschiedene Künstler:Innen: „Under the Bridge 2“ (Skep Wax/Finest Vinyl)

In den knapp acht Jahren, die Sarah Records existierte, haben dort neben Heavenly auch Bands wie The Orchids, The Sea Urchins, Even As We Speak und Secret Shine veröffentlicht. Und die meisten der Beteiligten von damals machen auch heute noch Musik. Rob Pursey und Amelia Fletcher von Heavenly sind nur zwei von ihnen.

Obwohl ­Fletcher einen Direktorinnenposten beim britischen Kartellamt innehat und Pursey lange als TV-Produzent gearbeitet hat, haben sie ihr existenzielles Bedürfnis, Popmusik zu machen, nie aufgegeben. Es ging auch nie nur darum, jung zu sein.

Sozialismus heißt hohe Tantiemen

2021 haben Fletcher und Pursey dann ein radikal unabhängiges Plattenlabel gegründet: Skep Wax. Es sieht sich in direkter Nachfolge von Sarah Records, das ein fast sozialistisches Verständnis seiner Arbeit hatte: Möglichst niedrige Preise für Alben, möglichst hohe Tantiemenanteile für die Künstler*innen, und eine Auswahl von Bands, die eben nicht die gängigen Gender-Klischees reproduzieren.

Aber wir leben in anderen Zeiten, weshalb der radikalste Schritt für das Label Skep Wax heute ein anderer ist: Es stellt grundsätzlich seine Musik nicht den Streamingplattformen zur Verfügung!

Zumindest ungewöhnlich war es auch, dass das Label 2022 mit „Under the Bridge“ einen Sampler veröffentlicht hat, mit neuer Musik von jenen Leuten, die früher gemeinsam bei Sarah Records unter Vertrag waren. Das kam so gut an, dass sie mit „Under the Bridge 2“ nun nachgelegt haben, sogar mit einem Doppelalbum!

Meist milde gestimmt und melancholisch klingend

Wer die Musik von Sarah Records mag, wird verblüfft sein: Auch 2024 machen diese Künst­le­r*in­nen noch Musik, die ihren Veröffentlichungen von vor 30 Jahren in nichts nachsteht. Dieser träumerische, meist höchst melancholische twangy Gitarrenpop, für den Sarah Records berühmt war, fliegt diesen Leuten auch mit 60 jungbrunnenhaft und federleicht aus den Verstärkern.

„Kann schon sein, dass die Themen der Songtexte inzwischen etwas reifer geworden sind“, räumt Amelia Fletcher ein. „Aber der Purismus und Idealismus in Bezug auf Pop ist immer noch gleich. Wir sind einfach nicht zynisch oder sarkastisch geworden. Die Musik kommt eben immer noch von denselben Menschen, die immer noch dieselben Träume hegen.“

​ Amelia Fletcher und Rob Pursey an einem Eisenbahntunnel in Bristol

Machen das Label Skep Wax und spielen bei Heavenly: Amelia Fletcher und Rob Pursey an einem Eisenbahntunnel in Bristol Foto: Skep Wax

Michael Hiscock ist einer dieser Menschen, er war Bassist bei The Field Mice und singt jetzt in seiner Band The Gentle Spring: „Eine Sehnsucht, wie sie unsere Musik damals ausgedrückt hat, kann man doch ein Leben lang haben. Ich würde auch nicht sagen, dass die Songtexte, die die Bands von Sarah Records damals gesungen haben, unreif waren. Ein Song meiner alten Band The Field Mice hieß ‚Sensitive‘. Ich bin auch im Alter noch empfindsam.

Genügend Lebenserfahrung

Na und! Wenn Menschen mich enttäuschen, verletzt mich das eben. Aber ich gehe heute anders damit um. Ich sage mir: Ach komm, mit 58 Jahren habe ich genügend Lebenserfahrung, um damit zurechtzukommen. Und einen schönen Song daraus zu komponieren.“

„Dodge the Rain“, „Vermeide den Regen“, heißt das sanft-versponnene Stück, mit dem Hiscocks Band The Gentle Spring den Reigen des Samplers eröffnen. Dabei macht „Under the Bridge 2“ auch noch einmal deutlich, mit Bands wie Jetstream Pony, Action Painting! und der Shoegaze-Band Secret Shine, dass Musik aus dem Sarah-Umfeld auch krachig laut und treibend klingen kann.

Wunderschön-traurige Gitarrenballaden sind aber im Klangbild immer noch vorherrschend, wie das herzzerreißende „Beauty, You Will Break Us All“ der australischen Band Even As We Speak. Auch Sängerin Mary Wyer hat es die harte Schale gebrochen: „Als ich das Demo unseres Songwriters Matt zum ersten Mal gehört habe, musste ich weinen. Es hat mich so sehr in die Zeit von damals zurückversetzt.“

Gedimmtes Licht

Für Wyer ist es aber nicht nur eine nostalgische Angelegenheit, mit Ende 50 noch in einer Band zu singen. „Wenn ich im Studio bin, Kopfhörer aufhabe, das Licht ist gedimmt, ich bin alleine im Aufnahmeraum und singe, dann befördert mich das an diesen zeitlosen Ort … ich kann noch nicht einmal sagen, was das für ein Ort ist.“

Ein Teil des Mythos von Sarah Records entlarvt sich aber auch in den Interviews von heute: Eine Gemeinschaft waren diese Bands damals nie. Michael Hiscock erinnert sich, dass er und seine Bandkollegen von The Field Mice sich nie als Teil einer Community um das Label gefühlt haben, und Mary Wyer erzählt, dass es lediglich mit der Band Boyracer eine Freundschaft gab. Mit allen anderen Künstler:Innen, wenn man sie denn überhaupt einmal getroffen hat, hat man kaum ein Wort gewechselt, es gab ein Gefühl der Rivalität.

Das ist heute tatsächlich anders, sagt Wyer: „2018 waren wir mit Action Painting!, Boyracer und Secret Shine gemeinsam auf Tour. Wir haben uns betrunken und in beschissenen Unterkünften geschlafen. Das war wirklich wie ein Trip in die Vergangenheit. Nur besser, wir hatten jede Menge Spaß zusammen.“

Nie wieder Streaming

Für Amelia Fletcher und Rob Pursey von Skep Wax hat sich etwas auf der ökonomischen Ebene geändert: „Wenn Sarah Records eine neues Werk veröffentlicht hat, wurden im ersten Jahr die meisten Exemplare davon verkauft. Bei den andern tröpfeln die Erlöse nur langsam rein, durch das Strea­ming. Man kann sein Geld vielleicht heute wieder einspielen, aber das kann schon mal 20 Jahre dauern. Für Major Labels mit gutem Cashflow ist das kein Problem, für uns als kleine Ak­teu­r*in­nen wird das schwierig“, sagt die Wirtschaftsexpertin Fletcher.

Trotzdem schreibt Skep Wax schwarze Zahlen, wenn auch immer nur knapp. Geld ist aber nicht die Motivation für Fletcher und Pursey, es ist die Begeisterung für Musik. Und der Gedanke, dass Popmusik politisch sein kann, auch ohne eine einzige aktivistische Zeile in den Songtexten, sagt Pursey: „Entscheidend ist der Zusammenhang, in dem die Musik erscheint. Mit unserer anderen Band Swansea Sound haben wir eine Single zum Record Store Day veröffentlicht, allerdings eher als Satire auf diese schrecklich kommerzielle Veranstaltung.

Der Song heißt „Markin’ It Down“. Ein Exemplar dieser Single haben wir in weißem Vinyl pressen lassen und versteigert. Die Erlöse gehen an Amazon-Beschäftigte in Großbritannien, die im Streik waren. Auch wir als Mu­si­ke­r*in­nen kämpfen gegen Großkonzerne wie Amazon, Spotify und Apple. Wir haben einen gemeinsamen Feind.“

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