: Meerjungfrauen, Seegötter und Heringe
Die Ausstellung „Der Krake – Kann man ein Seeungeheuer lieben?“ zeigt im Oldenburger Landesmuseum Natur und Mensch zehn Animationsfilme über die Mythen der Nordsee
Von Wilfried Hippen
Nein, besonders liebenswert ist er nicht – der Krake oder Riesenoktopus, der am Anfang der Ausstellung die Gäste in einem kurzen Film begrüßt. Es soll ihn ja in den Tiefen der Meere wirklich geben, aber man kennt ihn vor allem aus Erzählungen wie Jules Vernes „20.000 Meilen unter dem Meer“, in dem er das Unterseeboot Nautilus von Kapitän Nemo angreift. Oder besser einer seiner Vorfahren, denn dieses Exemplar scheint friedlich zu sein. Er ist sogar freundlich, denn er hält uns für entfernte Verwandte, weil ja alles Leben aus dem Meer kommt.
Also erzählt er uns Geschichten aus den Tiefen der Nordsee, die in zehn animierten Kurzgeschichten auf Monitoren mit Kopfhörern präsentiert werden. Mit seiner sonoren Erzählstimme ist er ein angenehmer Moderator, der vor jedem Film eine kurze Einführung gibt – so werden Texttafeln überflüssig, die man in dem schummrig abgedunkelten Ausstellungsraum eh nicht hätte lesen können. Nichts soll von den Filmen ablenken, und beim letzten, „Die Entstehung des Wattenmeeres“ von Maarten Isaäk de Heer und Matthijs van der Veer, kann man dank der 360°-Virtual-Reality-Technik die Nordsee fast so erleben, als wäre man tatsächlich selber gerade dort.
Die Mythen der Nordsee – das sind vor allem Meerjungfrauen. So scheint es zumindest, denn sie sind die Titelheldinnen von gleich drei der Kurzfilme im Programm: „Die Meerjungfrau“, „Die Rache der sieben Meerjungfrauen“ und „Die Meerjungfrau in der Weser“. Diese hatte sich einmal verirrt, war den Fluss heraufgeschwommen und wurde von Fischern gefangen. Als diese sie nicht freilassen wollten, rächte sich das Meer und überflutet das Fischerdorf.
Die alte Sage wurde von Celan Beyoglu und Nils Kacirek in einem ruhig fließenden Zeichenstil animiert, zu dem sie sich von altholländischen Tuschezeichnungen inspirieren ließen. Und bei der Filmmusik mischten sie Einflüsse aus der nordischen Volksmusik mit dem wehmütigen Gesang der Meerjungfrau.
Musik spielt auch in „Impossible Dates“ eine wichtige Rolle. Hier singt ein muskelbepackter Seemann, der ein wenig an Popeye erinnert, im Stil eines Rappers darüber, wie er bei einer Dating-Show mit möglichst gefährlichen Seeungeheuern verkuppelt werden sollte. Nachdem eine Meerjungfrau (noch eine!) ihn einmal mit ihrem Gesang auf den Grund des Meeres locken wollte, kann er sich nur noch in Seeschlangen, Seedrachen oder andere Monster der Nordsee verlieben.
Animiert ist dies in einem knallig bunten und sehr reduzierten Zeichenstil, der an Kinderzeichnungen erinnert. Da soll wohl ein noch sehr junges Publikum mit Pop-Elementen angelockt werden.
Bei historischen Kupferstichen, unter anderem von Albrecht Dürer, bedienten sich Matthias Daenschel und Max Knoth in ihrem Kurzfilm „Untergegangene Orte“, in dem sie von den verheerenden Sturmfluten erzählen, die in früheren Jahrhunderten ganze Städte im Meer untergehen ließen. Die beiden animierten die historischen Bilder und stehen damit in der Tradition des großen tschechischen Trickfilmmeisters Karel Zeman, der die Illustrationen von historischen Ausgaben der Romane über den Baron Münchhausen und von Jules Verne (da ist er wieder) animierte.
So ist die Ausstellung stilistisch interessanter als inhaltlich (wie schon gesagt, ein wenig zu viele Meerjungfrauen). Denn es werden viele Animationstechniken des Trickfilms angewandt: von der Silhouetten-Animation bei „Minja“, der das friesische Märchen von der Tochter der Meereskönigin Walja erzählt, bis zu der zugegeben sehr kruden Computeranimation bei „The Great Connection“, bei der das Monster im Meer ein von den Menschen geschaffenes Hochseekabel ist, das die Meeresbewohner in große Aufregung versetzt.
Denn in diesen Filmen soll den Ausstellungsbesucher*innen nicht nur die Mythologie der Nordsee nahegebracht werden. Sie sollen auch darüber aufklären, wie diese Lebenswelt durch die Menschen immer mehr bedroht wird. So wundert sich der Krake über die Plastiktüten, die an ihm vorbeischwimmen, und im Film „Die Heringe“ fangen die Bewohner einer Insel zu viele von den unendlich vielen scheinenden Fischen aus dem Meer, bis keine mehr übrig sind.
Die Wanderausstellung mit dem Originaltitel „De Kraak“ wurde in den Niederlanden konzipiert, produziert und auch zuerst gezeigt. Oldenburg ist der erste Ort außerhalb der Niederlande, an dem sie Station macht. Und viel mehr, als einen Raum einzurichten, mussten die Ausstellungsmacher*innen des Landesmuseums Natur und Mensch auch nicht tun, denn die Ausstellung wurde von Anfang an dreisprachig in Niederländisch, Englisch und Deutsch produziert, sodass an den Abspielstätten nur der entsprechende Knopf gedrückt werden muss, und schon rappt der Seemann in (einem allerdings sehr holländisch eingefärbten) Deutsch.
Auch wenn man sich online über die Ausstellung informieren möchte, geht man besser zur Quelle, denn während die Homepage des Landesmuseums eher minimalistisch ist (www.naturundmensch.de), gibt es unter www.spinbarg.nl Trailer von den einzelnen Filmen sowie ausführliche deutsch übersetzte Texte über die Filmemacher*innen und ihre Arbeitsweise sowie die Mythen der Nordsee.
Das Team der niederländischen Produktionsfirma Spinbarg hat gründlich recherchiert, denn sie haben auch die Sage des Seegottes Ekke Nekkepenn gefunden, die auf Sylt erzählt wird. Ekke umgarnt darin die schöne Inge van Rantum, die ihn heiraten muss, wenn es ihr nicht gelingt, ihn bei seinem wahren Namen (Rumpelstilzchen?) zu nennen. Verglichen mit diesem bedrohlich dunklen Neptun, der mit seinem zotteligen Bart Stürme und Fluten heraufbeschwören kann, ist der Krake geradezu ein Kuscheltier.
„Der Krake – Kann man ein Seeungeheuer lieben?“: bis 5. Januar 2025, Oldenburger Landesmuseum Natur und Mensch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen