Kooperativ beim Kaffee

Ein Schüler-Start-up aus dem Hamburger Stadtteil Rissen engagiert sich für eine Partnerschule in Tacueyó – mitten in einer extrem umkämpften Region Kolumbiens. Vermittelt hat die transatlantische Schulkooperation ein Hamburger Kaffeekollektiv

In Kolumbien geerntet, geschält und getrocknet – in Hamburg-Rissen verpackt: Kaffee der Schul­kooperation Foto: StS Rissen

Von Knut Henkel

Der Blecheimer mit den frisch gerösteten Bohnen steht auf dem Schreibtisch, die Waage und die Tüten mit dem Logo der Stadtteilschule Rissen liegen daneben. Langsam lässt Lukas Heinrichsen die Bohnen in eine der Vakuumtüten mit dem Aufkleber „Wittenbergener“ gleiten. Dann wirft der 16-jährige Schüler einen Blick auf die Waage, murmelt ein „Korrekt“ vor sich hin und stellt die Tüte mit ­exakt 250 Gramm gerösteten Kaffeebohnen zur Seite und greift zur nächsten.

Jeden Dienstag ist in der Rissener Schule Start-up-Tag. Dann legen die Schü­le­r:in­nen der Jahrgänge neun und zehn selbst Hand an, wobei es darum geht, eigenverantwortlich und selbstständig zu lernen, erklärt Lukas. Er ist gemeinsam mit Amelia Zgoda Geschäftsführer der „Campus Medien“, die fair gehandelten Röstkaffee produziert, verpackt und verkauft. „Der kolumbianische Rohkaffee kommt über Aroma Zapatista, ein solidarisches Kaffee-Kollektiv aus Wilhelmsburg, zu uns. So haben wir die Chance, mit unserer Arbeit eine Schule am anderen Ende der Welt zu unterstützten“, freut sich Lukas, der auch schon mit der Spendendose für die Partnerschule in Tacueyó unterwegs war.

Die Kleinstadt liegt im Süden Kolumbiens, im Verwaltungsbezirk Cauca, rund drei Fahrtstunden unterhalb der Millionenmetropole Cali. Dort, in einer der gefährlichsten Regionen Kolumbiens, befindet sich die Schule Quentin Lamé. Mit der Schule, in der es passend ein Start-up-Projekt zum Kaffeeanbau gibt, kooperiert das Schüler:innen-Start-up aus Rissen

Ein Trockentunnel für die Kaffeebohnen

Auf fast 2.000 Meter über dem Meeresspiegel liegt die Kleinstadt Tacueyó auf einer zerklüfteten Bergkette und mitten in einer traditionellen Kaffeeanbauregion. Mehr als 1.900 Schü­le­r:in­nen gehen in die Schule von Rektor Rubén Correa, die über drei Standorte verfügt. „An einem befindet sich unser Kaffeeprojekt mit derzeit rund 320 Jugendlichen. Sie ernten die Kaffeekirschen, schälen sie und trocknen die Bohnen in dem aus Hamburg gespendeten Trockentunnel“, erklärt er und fährt fort: „Seit etwa fünf Jahren liefern wir unsere Kaffeebohnen über unsere Genossenschaft Cencoic und über Aroma Zapatista zur Partnerschule“, freut sich der 44-jährige Pädagoge. Für ihn ist die transatlantische Kooperation ein Glücksfall. „Sie zeigt den Schüler:innen in Kolumbien andere, positive Perspektiven auf und motiviert sie“, erklärt er auf Anfrage der taz.

Fakten, die in Rissen bei den Schü­le­r:in­nen durchaus angekommen sind. Fotos vom Bau des Trockentunnels, der dank einer Spende über rund 2.000 Euro von der Rissener Stadtteilschule und des Start-ups gebaut werden konnte, sind genauso angekommen wie ein paar Infos über die Schule und die Realitäten vor Ort. „Uns ist klar, dass wir dabei helfen den Jugendlichen Alternativen zum Drogenanbau und zur Rekrutierung durch bewaffnete Banden aufzuzeigen“, sagt Amelia Zgoda.

Zgoda macht die Buchführung für das Start-up seit einem Jahr und weiß folgerichtig auch, was auf dem Konto ist. Das wird von Lehrer Kay Morgenweck, der das Kaffeeprojekt vor rund zehn Jahren angeschoben hat, verwaltet.

„Als ich damals an die Schule kam, tranken wir hier im Lehrerzimmer fiesen Billigkaffee, den ein Kollege en gros und auf Vorrat einkaufte. Das fand ich unpassend für eine Schule, die sich gegen den Klimawandel positioniert“, erinnert sich Morgenweck. Er bat alle Röst-Kollektive in Hamburg um Proben und gemeinsam probierte sich das Kollegium durch die Kaffee-Spezialitäten. Am Ende fiel die Wahl auf das Wilhelmsburger Kollektiv Aroma Zapatista, das auf solidarischen Handel setzt, Rohkaffee aus Mexiko und Kolumbien importiert und im Großraum Hamburg rösten lässt.

Nach der Kaffeemesse auf Stippvisite in Rissen

Seitdem wird im Leh­re­r:in­nen­zim­mer kolumbianischer Kaffee aus dem Cauca getrunken und auch lokal verkauft. „Als mir jedoch Martin vor fünf, sechs Jahren von dem Schulprojekt in Tacueyó erzählte, war mir klar: Das ist ideal. Da müssen wir kooperieren“, erinnert sich der 60-jährige Beratungslehrer. Der Rest ging fix, denn jener Martin Mäusezahl, bei Aroma Zapatista für die Kontakte nach Kolumbien zuständig, fragte bei Cencoic, der indigenen Partner-Genossenschaft, nach. „Ohne deren Engagement wäre das unmöglich gewesen, denn sie holen den Schulkaffee ab, separieren und deklarieren ihn“, erklärt Mäusezahl, und deutet auf Hernán Castellanos. Der kolumbianische Kaffeespezialist sitzt neben ihm und ist gemeinsam mit seiner Kollegin Paola Reyes gerade zu Besuch in der Stadtteilschule Rissen.

Allerdings nicht allein, denn zur Kolumbien-Delegation, die von der Kaffeemesse in Kopenhagen kommt, wo potenzielle Neukunden die aromatischen Bohnen probieren konnten, gehören auch Agrarexperte Wilfer Zagal und Jaime Juspian vom regionalen, indigenen Rat des Cauca (CRIC). „Für uns war klar, dass wir die andere Seite der Schulkooperation besuchen wollen, denn so etwas haben wir noch nie gemacht. Das könnte Schule machen“, erklärt Agraringenieur Castellanos und wirft einen Blick in den Blecheimer mit den gerösteten Bohnen und auf die Kaffeetüten mit dem Schullogo. Anerkennend zieht er die Brauen hoch, lässt den Blick über das Fahrrad mit dem bunt beklebtem Verkaufs-Anhänger gleiten, der jeden Dienstag auf dem Wochenmarkt unterwegs ist und die Kaffeepackungen an die Kun­d:in­nen bringt, aber auch eine lokale Bücherei beliefert.

In Konkurrenz zum Coca- und Marihuana-Anbau

Inmitten einer von Drogengewalt geprägten Region: Partnerschule im kolumbianischen Tacueyó Foto: StS Rissen

Sichtlich beeindruckt ist das Quartett aus Kolumbien, das auch gekommen ist, um Fragen zu beantworten, zu berichten, wie die letzte Ernte lief und wie sich die Situation rund um die Schule in der Region Tacueyó entwickelt hat, wo der Kaffeeanbau auch mit dem von Marihuana und – wenn auch seltener – mit Coca konkurriert. „In der Region Tacueyó sorgt die Präsenz bewaffneter Akteure seit Jahren für Unsicherheit, für Konflikte und die Akteure fördern oft aktiv den Anbau von illegaler Pflanzen wie Coca und Marihuana“, erklärt Juspian vom CRIC, der wichtigsten indigenen Selbstverwaltungsorganisation im Cauca. „Genau deshalb sind Schulprojekte, die der Jugend Optionen im Kaffee-, Kakao oder dem Anbau anderer legaler Agrarprodukte aufzeigen, so wichtig. Wir fördern das“, fährt Juspian fort, der von Mäusezahl übersetzt wird.

Für Heinrichsen, Geschäftsführer des jungen Start-ups, ist das nicht neu, aber beeindruckt ist der 16-Jährige, das aus erster Hand zu hören. Ohnehin hat ihn die zweijährige Teilnahme am Kaffeeprojekt geprägt. „Ich habe ein Praktikum in der Speicherstadt-Rösterei gemacht, dort vieles über Kaffee gelernt“, erklärt er.

Dann überreicht Beratungslehrer Morgenweck neben kleinen Geschenken auch den Scheck über 2.000 Euro für die Partnerschule Quentin Lamé in Tacueyó an die überraschte Delegation. „Dafür hat der Rektor Correa sicherlich Verwendung. Investitionsbedarf bei Ernte und Verarbeitung der Bohnen besteht eigentlich immer“, grinst Castellanos, der den Scheck entgegengenommen hat. Castellanos, Agraringenieur, hat sich in diesem Jahr erstmals seit drei Jahren über eine wirklich gute Ernte freuen können. Davon werden in ein paar Wochen auch die ersten Säcke bei Aroma Zapatista ankommen.

Darunter auch der eine oder andere aus der Schule in Tacueyó – für die Partnerschule in Rissen.