Kampf um die Kunst

Selten waren Urheberrechtsverletzungen so einfach zu begehen wie mit Künstlicher Intelligenz. Die Programme „Glaze“ und „Nightshade“ wollen KI aktiv daran hindern

Die Künstlerin Kelly McKer­nan klagte gegen ein KI-Unternehmen wegen Urheberrechtsverletzung. Hier im Studio, Nashville, Tennessee Foto: George Walker IV/picture alliance

Von Martin Seng

Früher war Kunstraub noch anstrengend. Ver­bre­che­r:in­nen mussten Museen auskundschaften, Alarmanlagen ausschalten, auf Zehenspitzen durch die Dunkelheit schleichen. Wertvolle Gemälde mussten heimlich abgehängt und später auf dem Schwarzmarkt verkauft werden. Inzwischen geht Kunstraub anders. Es braucht keine Handschuhe oder Masken mehr, keine Taschenlampen oder Bestechungen des Wachpersonals. Nun reichen die rechteckigen Eingabefelder von Programmen wie DALL-E oder Midjourney, durch die man die Kunst anderer stiehlt.

Das alles geht dank künstlicher Intelligenz. Diese kann Kunst zwar imitieren, aber niemals selbst erschaffen. Eine KI speichert lediglich die Gemälde und Zeichnungen von anderen als Datensätze ab, um aus den Versatzstücken ein neues Bild zu generieren. Die Bildgeneratoren ignorieren dabei jegliche Ur­he­be­r:in­nen­rech­te und geistiges Eigentum, was bei vielen Künst­le­r:in­nen auf Kritik stößt. Auch ihre Auftragslage verschlechtert sich dadurch. Aber es gibt Gegenwehr: „The Glaze Project“, selbst ein KI-Programm, soll aktiv verhindern, dass Generatoren fremde Kunst als Datensatz nutzen. Und mehr noch, die KI soll sogar sabotiert und gestört werden. Im Einsatz gegen KI greift man also auf sie selbst zurück.

Seit März 2023 entwickelt die University of Chicago mit einem mehrköpfigen Team „The Glaze Project.“ Das nicht profitorientierte Projekt umfasst mehrere Programme, von denen insbesondere „Glaze“ und „Night­shade“ genutzt werden. Mit unterschiedlichen Funktionsweisen sollen beide Programme Kunstschaffende vor dem KI-Raub schützen. „Glaze“ legt einen Filter über das jeweilige Bild, der die Anordnung der Pixel minimal verändert. Während das menschliche Auge das kaum erkennt, ist es umso deutlicher für die KI. Das Motiv des Kunstwerkes erkennt die KI zwar weiterhin, dafür schützt „Glaze“ den Stil der jeweiligen Künst­le­r:in, indem es eine Art Glasur über das Werk legt. Nach der Bearbeitung wird ein Bild in Comic-Optik von der KI nur noch als Ölgemälde oder Pop-Art ausgelesen. Künst­le­r:in­nen sollten „Glaze“ verwenden, bevor sie ein Bild potenziell einer KI ausliefern und auf Plattformen wie Instagram oder Pinterest hochladen. Das Team hinter „Glaze“ nennt es auf ihrer Website ein „Instrument zur Verteidigung“.

„Nightshade“ hingegen geht in die Offensive – die Ent­wick­le­r:in­nen verschleiern ihr „Angriffswerkzeug“ nicht. Auch hier wird mit einem kaum sichtbaren Filter gearbeitet, den Be­trach­te­r:in­nen nur im Detail erkennen. Dafür sieht die KI in einem „shaded“ Bild etwas vollkommen Fremdes. Ähnlich wie „Glaze“ wird auch dafür die Anordnung der Pixel im jeweiligen Bild minimal verändert. Doch der technische Prozess ist bei „Nightshade“ deutlich umfangreicher, sodass sich nicht nur der Stil des Bildes, sondern ganze Motive abändern. Dadurch wird die KI am Auslesen des jeweiligen Bildes gehindert. Die Ent­wick­le­r:in­nen beschreiben es so: „Eine Eingabe, die nach dem Bild einer im Weltraum fliegenden Kuh fragt, könnte stattdessen das Bild einer im Weltraum schwebenden Handtasche ergeben.“ Ein Problem bleibt: KI-Programme können auf riesige Datensätze zurückgreifen, die sie bereits gesammelt haben. „Nightshade“ sabotiert nur Bilder, die die KI nun zum ersten Mal erfasst. Auf bereits erfasste Bilder hat das Programm keine Wirkung. Zudem müssen es möglichst viele Künst­le­r:in­nen verwenden, damit die KI wirklich darauf trainiert wird, in der Kuh eine Handtasche zu sehen. „Night­shade“ entfaltet seine Wirkung also nur im Kollektiv. Tatsächlich erfreut sich „The Glaze Project“ in der Kunstszene bisher großer Beliebtheit und sie begrüßt die Programme, mit denen sie sich verteidigen kann.

Doch nicht alle sind durch KI verschreckt. Die deutsche Malerin Annton Beate Schmidt etwa versucht der Entwicklung gelassen zu begegnen: „Ich bin da relativ entspannt. Vielleicht ist das auch naiv. Es wurde schon oft gesagt, dass wir durch technische Entwicklungen unsere Individualität verlieren. Aber am Ende habe immer noch ich die Macht, eine Geschichte zu erzählen. Und die kennt die KI nicht.“ Außerdem sei KI schlichtweg teil unseres Alltags: „Wir werden also mit ihr umgehen müssen. Sie zu bekämpfen, würde ich nicht begrüßen. Aber ihnen mit Glaze und Nightshade ein Schnippchen zu schlagen, finde ich trotzdem richtig.“

Schmidt arbeitet hauptsächlich mit Aquarell und erstellt unter anderem Porträts von lachenden Frauen. Die 56-Jährige stellt ihre Kunstwerke auch bedenkenlos online. Mit der KI hatte sie bisher keine Probleme. Dass die Malerei langfristig durch die Technik ersetzt wird, glaubt sie nicht. Dafür aber, „dass sich die Aufgabenfelder von Künst­le­r:in­nen verschieben werden. Aber wir können noch nicht absehen, wohin. Wir hatten ähnliche Diskussionen, als Kunstgalerien immer weiter in den Hintergrund traten und Künst­le­r:in­nen sich stärker im Internet vermarkteten. Wir lernen mit diesen Entwicklungen umzugehen.“

Deutlich weniger gelassen sieht es die italienische Künstlerin Francesca Baerald. Sie wünscht sich mehr Interesse an den Ur­he­be­r:in­nen­rechts­ver­let­zun­gen und weniger Einsatz von Generatoren. Der taz sagt sie: „Programme wie ,Glaze‘ sind äußerst willkommen. Sie tragen dazu bei, das Bewusstsein für das Problem zu schärfen.“ Wissen sei das mächtigste Werkzeug, fügt Baerald hinzu: „Erst wenn die Menschen verstehen, wie verachtenswert es ist, die harte Arbeit von Tausenden von Künstlern zu stehlen, erst dann wird die Kunst wirklich sicher sein.“

Im Einsatz gegen KI greift man auf sie selbst zurück

Baerald malt mit Wasserfarben Gemälde und Landkarten von Fantasy-Welten, zum Beispiel für die Verlagsgruppe Penguin Random House. Für ihre Kunst lehnt sie jede Art der KI strikt ab. „Ich verwende keine KI und im Moment sehe ich KI nicht einmal als echte künstliche Intelligenz, sondern als ein cleveres und hochentwickeltes Instrument, um Kunst kostenlos auszunutzen“, so die 42-jährige Malerin.

Noch nie war das öffentliche und wirtschaftliche Interesse an KI größer als heute. Microsoft, Apple und Amazon sehen in der KI-Forschung längst die Zukunft und richten ihre Unternehmensziele entsprechend aus. Nicht umsonst investierte Microsoft 13 Milliarden US-Dollar in OpenAI, das Unternehmen hinter ChatGPT. KI zu regulieren, ist bei diesem riesen Wachstum eine schwierige Aufgabe.

„The Glaze Project“ möchte zumindest den malenden und zeichnenden Künst­le­r:in­nen helfen. Das Programm ist über die Website der University of Chicago frei zugänglich, kostenlos nutzbar und eines der wenigen Werkzeuge, das Kunstschaffende im Kampf gegen KI haben. Und wenn ihre Kritik an den scheinbar übermächtigen Bildgeneratoren nicht gehört wird, müssen sich Künst­le­r:in­nen mit allen Mitteln zur Wehr setzen.