Zwischen Pferdestärke und White Power

Im sächsischen Zwickau findet jährlich das größte Simson-Treffen Deutschlands statt. Tuner dort teilen nicht nur die Liebe zu den Mopeds, sondern auch zu rechten Ideologien

Aus Zwickau Jessica Ramczik

Wer aus dem dörflichen Osten kommt, kennt das Geräusch: das schrille Dröhnen eines Simson-Zweitakters, das nachts in der Ferne verhallt und kurz aussetzt, wenn an einem Hügelchen ein Gang nach unten geschaltet werden muss oder man kurz die Hand vom Gas nimmt. Meistens gefahren von jemandem, der es noch eilig nach Hause schaffen wollte, dorthin, wo kein Bus mehr fährt. Wer davon nostalgische Gefühle bekommt, für den gibt es sogenannte Simson-Treffen. Das bundesweit größte ist der viertägige STZ, der Simsontreff Zwickau auf dem Zwickauer Flugplatz.

Die Simson S 51 – gebaut im volkseigenen Betrieb Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk „Ernst Thälmann“ in Suhl – wurde zwischen 1980 und 1991 etwa 1,6 Millionen Mal produziert. Der Neupreis begann bei 1.200 Ostmark, umgerechnet etwa 120 Euro. Heute bekommt man eine gut erhaltene Simson S 51 für rund 3.500 Euro. Die Farben unterscheiden sich je nach Modell: Enzianblau, Feuerrot, Apfelgrün, Billardgrün und Saharagelb.

Im infrastrukturell schwachen Osten wurde die „Simme“ eine Selbstverständlichkeit: Wo kein Bus fuhr, da war Muttis oder Vatis alte „Simme“. Und die wird bis heute gepflegt, lackiert, getunt. Es geht um Leistung und Geschwindigkeit: Laut lokalen Zeitungsberichten sollen junge Männer schon mit annähernd 125 km/h auf einer vogtländischen Landstraße erwischt worden sein. Vor allem aber ist die Simme kein „Plastik­roller“, in Zwickau synonym für ein minderwertiges Moped. Die Simson S 51 kann mehr: Statt der üblichen 45 km/h darf man auf ihr 60 km/h fahren.

Am westlichen Stadtrand, auf dem Flugplatz, der groß genug für die 3.000 Camper und 6.000 Tagesgäste ist, findet das STZ statt. Was ein bisschen wie eine Mischung aus Mad Max und Dorffest daherkommt, ist ein Festival für Simson-Fans. Neben den üblichen Rennkategorien gibt es Wettbewerbe für Leistung und bestes Tuning. Es riecht nach Benzin. Sekündlich braust jemand auf seinem Moped vorbei. Organisiert wird das STZ von Dominik Würfel. Er nennt es sein viertes Kind. Mit 16 Jahren fing er an, Simson-Fans zu versammeln, damals mithilfe seines Vaters. 2002 war das. Später organisierte er das STZ dann allein und heute mit einem 70-köpfigen Team.

Gegen die unerbittliche Sonne und die fehlenden Bäume auf dem Segelflugplatz helfen Fischerhüte mit der Aufschrift „Ostdeutschland“, selbstverständlich in Fraktur, und schnelle Brillen wohl am besten. Unter ihnen wird gegrölt, gesoffen, am Gashahn gerissen, gemeinsam auf dem Zeltplatz durch eine gemeinschaftlich erzeugte Pfütze gefahren und sich darin gebadet.

Doch es gibt auch jene, die nicht nur wegen des Bieres und der Eskalation kommen, sondern, auch um sich in der Simson-Szene auszutauschen und ihre Bastel- und Schrauberprojekte vorzustellen. Darunter junge Männer, kaum 16, die 2.400 Euro in eine schrottreife Simson investiert haben, nur um sie erst einmal ihr Eigentum zu nennen. Sie erzählen stolz, wie viele Jahre sie schon an ihrer Simson schrauben und wie sie die Trommelbremsen gegen Scheibenbremsen ausgetauscht haben oder von den eloxierten Felgen.

Im letzten Jahr geriet das Treffen erstmals medial in Verruf. Der Grund: Hitlergrüße auf dem Gelände

Wer von weither kommt, wird prämiert. Die weiteste Anreise in diesem Jahr: 686 Kilometer, verhaltener Applaus. Einer von denen ist Sebastian Colditz, schnelle Brille, Oberlippenbärtchen. „Rennleitung“ steht in Polzeimotorrad-Optik auf seinem Gefährt. Er ist etwas Besonderes, wenn auch keine Einzigartigkeit hier: ein Wessi. Mit seinem breiten Augsburger Dialekt erklärt er mir: „Mein Vater hatte schon eine Simson, der ist auch hier.“ Seine Simson erreicht im Leistungstest vor Ort 15,8 PS. „Die kommt gut unten raus“, sagt der Prüfer und Schrauber Thomas Pleißner, alias Thomas Prüfstand, unter dem wissenden Nicken der Umstehenden.

Die beste Party ist bekanntermaßen auf dem Zeltplatz. Junge Männer, oberkörperfrei, mehr rot als braun gebrannt, bieten einem freundlich Dosenbier an, präsentieren stolz im Schatten ihrer Pavillons ihre Simson, lächeln freundlich, auch bei dummen Fragen, freuen sich, wenn man erzählt, dass man mit 16 Jahren selbst Simme gefahren ist, staunen, wenn man erzählt, was man für das eigene Moped bezahlt hat. „Der Wiederverkaufswert.“ „Jaja.“ Man nickt. Ob er sich vorstellen könne, sein Hobby jemals aufzugeben? „Niemals“, sagt ein junger Mann aus Eberswalde.

Er erzählt, dass er das erste Mal hier und vermutlich auch das letzte Mal da ist. Er ist extra aus Eberswalde gekommen. Die Nächte seien laut, zu laut: Hard Tekk – also harte Techno-Musik. Das sagt er und zeigt auf eine Gruppe junger Erwachsener, vielleicht gerade einmal 20. Einer zeigt den Hitlergruß, vier grüßen mit demselben zurück, darunter eine Frau im Bikini-Oberteil. Erst schüchtern, aber dann macht sie doch mit, reckt den Arm in die Höhe, lacht, dreht sich weg. Mit Filzstift haben sie sich Hakenkreuze auf die nackten Oberkörper gemalt. Ein Mann aus der Gruppe trägt ein Shirt mit der Aufschrift „Kraft durch Freude“.

Ob das hier die ganze Zeit so sei, frage ich. „Na ja, nein, ja, die wollen nur provozieren, die wissen nicht, was sie machen.“ Ein junger Mann, Simson S 51, enzianblau, kommt vor unseren Füßen zum Stehen. Auf seinen Knien gut sichtbar gekritzelt: White Power. Auf die Frage, ob man die konfrontieren könnte, sagt der Eberswalder: „Auf gar keinen Fall. Schon gefährlich.“

Im letzten Jahr geriet das Treffen erstmals medial in Verruf. Der Grund: Hitlergrüße auf dem Gelände. Es gab vier Anzeigen. „Wir zeigen das sofort an, die Leute fliegen vom Gelände“, so Würfel. Mit Rechten wolle hier niemand etwas zu tun haben, so zumindest das Lippenbekenntnis. Über die Strafen habe Würfel sich gefreut. Man will es dem sympathischen Mann, der Ruhe und Autorität ausstrahlt, abnehmen, dem unpolitischen Selfmade-Unternehmer, dem Simson-Enthusiasten. Die AfD fährt selbst für sächsische Verhältnisse hier Rekordergebnisse ein. Und so steht inmitten des Zeltplatzes ein Bierzelt, regelrecht eine Burg. Über Eck hat man wohl nicht nur zum Sonnenschutz eine Plane gespannt: 2,5 mal 4 Meter, blauer Hintergrund, roter Pfeil, drei Buchstaben: ein riesiges AfD-Banner. Niemand stört sich daran.

Für Zwickauer Verhältnisse ist das STZ ein Großevent, Samstag der besucherstärkste Tag. Würfel hat sich um regionale Sponsoren bemüht, und diese sind gekommen: Zwickauer Sparkasse, einige auf Simson-Tuning spezialisierte Firmen, eine Reihe an Szene-You­tubern. Nach dem letzten STZ ist EinsEnergy ausgestiegen. Würfel macht dafür eine Lokalreporterin der Freien Presse verantwortlich, die über die Hitlergrüße der Gäste schrieb. Würfel nennt sie Einzelfälle, die auch durch das STZ konsequent verfolgt werden, Rechte seien nicht willkommen. Es gehe um Simsons, die ökologischer seien als die Plastik­roller, die man nicht umbauen könne, die taugen nichts, die haben nicht die gleiche Qualität wie die stahllastige Simson. Würfel lenkt ab. Ob er eine Antifa-Fahne ebenfalls ablehnen würde? „Ja, auf jeden Fall“, sagt Würfel. Eigentlich aber auch egal. Es gibt keine.

Mit der Simson durch den braunen Schlamm Foto: Fo­to: Jessica Ramczik

Mit dem Thema konfrontiert, zeigt sich Würfel überrascht, gibt das an einen Security weiter. Was eine schwarze Sonne ist, wisse er allerdings nicht. Ich zeige sie ihm auf meinem Handy. So richtig kann man ihm das nicht glauben, angesichts der Schwarzen-Sonne-Tattoos, der Landser-, Kraft-durch-Freude-, Blut-und-Ehre- und“ Good Night Left Side“-Shirts, der „Döp dödö döp“-Sylt-Sticker, der vielen Reichsadler und der Tattoos mit dem Emblem der Partei „Dritter Weg“, die einem binnen einer Stunde auf dem Zeltplatz begegnen. Ob diese Träger der Symbole wissen, dass Simson vor der Arisierung durch die Nazis einst ein jüdisches Unternehmen war? Warum die Hinweise jedenfalls, neben Waffen-, Rucksack- und Flaschenverbot, nicht auch auf ein Verbot rechter Symbole hinweisen, weiß wohl nur Würfel selbst.

Das männerlastige Treiben lässt man seinen Gang gehen. Frauen findet man hier wenige. Viele sind die Partnerinnen der Helden auf ihren heißen Öfen. Die, die man fragt, warum sie hier sind, antworten mit: „Na, weil’s geil ist.“ Am Samstag werden via Instagram „Mädels“ für Fotos gesucht, beim Kurbelwellen-Weitwurf „nette Anblicke“ durch den Moderator kommentiert.

Neben den Youtubern, die Tipps bei Tuning und Optik geben, gibt es auch einen Stargast. Auf ihn scheint man an diesem Samstag sehnlich zu warten: den Anzeigenhauptmeister. Niclas Matthei lässt auf sich warten, steht wohl im Stau. Während das Schärfe-Wettessen mit Wurststücken in Soße mit 2 Mio. Scoville angekommen ist, betritt Matthei das Gelände, gefolgt von einem Pulk aus 50 Menschen. „Anzeigenhauptmeister“ des Rappers Finch dröhnt aus den Boxen der Bühne. Matthei läuft bei annähernd 35 Grad in seiner vollen Anzeigenhauptmeister-Uniform über den Platz, stoischer Blick, rotes, schweißnasses Gesicht. Wenige Minuten später gibt er Autogramme, lächelt nicht, ist einfach nur da, während die Besucher des STZ Fotos mit ihm machen, ihn mit einer Flasche bewerfen oder „Hau ab!“ brüllen. Die Stimmung ist aufgeheizt. Dominik Würfel steht daneben. Es ist eine triste Szene, sie tut beim Zusehen weh. Polizei? Keine da. Die kommt erst nachts, nach Einbruch der Dunkelheit. Nach dem Sexy-Moped-Wash mit Frauen in Netzstrümpfen und vor der Böhse-Onkelz-Coverband.