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Landpartie ins Zwischenreich

Das Jahrmarkttheater in Bostelwiebeck in der Lüneburger Heide lädt zum Open-Air-Theater: „Rabenfutter“ ist ein fideler Krimi-Jux mit philosophischer Note

Ermittelt wird wie in der Kasperletheater-Interaktion mit Kindern Foto: Bert Brüggemann

Von Jens Fischer

Hinaus zur Landpartie, hinein in den verspätet losrollenden, überfüllten, verdreckten und von Klimaanlagenkühlung und benutzbarer Toilette befreiten Metronom-Wagon von Hamburg nach Bienenbüttel. Dann sind es nur noch 13 Kilometer zum Jahrmarkttheater auf einem idyllischen Gehöft im Dörfchen Bostelwiebeck. In stoischer Gemütlichkeit rotieren gleich gegenüber Windräder, der Mais des Nachbarn lugt über die Hofmauer, Hühner stolzieren übers wiesengrüne Anwesen und Katzen schnurren um das plaudernde Publikum, das an regionalem Bier oder Wein aus der Lüneburger Heide nippt und Feta-Wraps knabbert.

Schon tänzelt in schwarzem Rabengewand eine Dino-Vogel-Skulptur herbei – als mythologischer Verweis aufs Thema der Uraufführung von Thomas Matschoss’ „Rabenfutter – ein Open-Air-Krimi mit garantiert tödlichem Ausgang“. Auf der Bühne vor den ehemaligen Stallungen stellt sich eine Frau Tod vor: Endoooh kümmert sich um den Seelen-Transport – ins Nichts oder in ein wie auch immer geartetes Jenseits. Sie reicht Sterbenden die Hand, wird sie ergriffen, sei das „ein Moment des Einverständnisses“. Eine versöhnliche Version des unausweichlichen Endes der irdischen Existenz – und eine schöne Vorstellung vom Loslassen im Sterbeprozess.

Gestorben wird immer, darüber geredet selten, was auch im Theater schwierig ist, weil der Tod nicht zur kommunizierbaren und darstellbaren Realität gehört. Annäherungen sind nur mit Metaphern oder metaphysischen Fantasien möglich. Im gewählten Krimi-Genre wird zwar ständig gestorben, aber das sind nur dramaturgische Kunstgriffe, die Handlungen drehen sich ums Wie, Warum und Wer, nicht um das Was, den Tod. Das ist beim Jahrmarkttheater-Krimi anders.

Zum Einstieg gibt’s Literaturpreis-Comedy. Matschoss spielt den Literaturnobelpreisträger B. C. Brett, „Bernd Christian. Das Brettle“, und liest aus dessen Meisterwerk „Rabenfutter“. Diese Idee hat dem Stückautor so gut gefallen, dass er im Schutze des Pseudonyms diesen Roman als autofiktionalen Text noch schnell bis zur Premiere geschrieben und im Eigenverlag herausgegeben hat, um ihn auf der Bühne gleich als „Selbstfindungsliteratur“ abwatschen zu lassen. Zur Spaßsteigerung gibt es Feuerwerk, Parodien von Show-Choreografien und Witze.

In den etwas öden Liedern geht’s schlagerselig um Liebe oder ein alter, weißer Singer-Songwriter-Mann hockt mal wieder an einer Kreuzung des Lebens

Schon kämpft ein Autor:innen-Trio um den von B. C. Brett gespendeten Preis „Das goldene Brett“. Auf dem schmalen Grat zwischen künstlergemäßer Eitelkeit und sozial ungesundem Narzissmus präsentiert es spontan notierte Zeilen. Literaten als „sensible Seelen können schon spüren, wenn Wesen wie ich in ihrer Nähe wandeln“, behauptet Endoooh. Und tatsächlich haben alle drei über sie geschrieben. Bald werden Gift, Schlitzermesser, Pistole und Baseballschläger als Mordwaffen ins Spiel der Literaturwelt gebracht, krimikomödiantisch einige Mordmotive artikuliert und mit der Klipp-Klapp-Dramaturgie einer rasanten Auftrittsfolge in den Fenstern des Bauernhauses zusammengeführt.

Bald ist eine blutige Leiche zu betrauern, vier Tatverdächtige müssen zur Polizei. Die Aufklärung der Kommissarin erfolgt wie Kaperletheater-Interaktion mit Kindern: Hallo, wer hat was gesehen, was gehört? So weit so lustig der fidele Krimi-Jux mit philosophischer Note und etwas öder Liedsoße, da geht’s schlagerselig um Liebe oder ein alter, weißer Singer-Songwriter-Mann hockt mal wieder an einer Kreuzung des Lebens. Für das chronisch augenzwinkernde Drama setzt die Regie von Konstantin Buchholz und Lisa Pauline Wagner auf sehr diverse Schauspielerei, wobei nicht Figurenentwicklung im Mittelpunkt steht, sondern je nach Gusto mehr oder minder überbordende Typenkomik gefeiert wird.

Chronisch augenzwinkernd: „Rabenfutter“ Foto: Bert Brüggemann

Mehrwert nährt den Epilog. Das Publikum wandert auf eine Wiese, ins „Zwischenreich“, wo B. C. Brett versucht, von den nun konkret ihm geltenden Handreichungen Endooohs abzulenken, verwickelt sie in ein Gespräch und gibt dem Publikum den beliebten Gedanken Platons mit: Leben bedeute sterben lernen. Denn irgendwann braucht jede Geschichte ein Ende. Das wirkt betont leicht, wiegt aber natürlich schwer.

Allerdings ignoriert „Rabenfutter“ die Trostlosigkeit der materialistischen Sicht vom Tod als endgültiger Auflösung des persönlichen Seins in der Unendlichkeit. Behandelt wird nur die idealistische Sicht vom Tod als Überführung „von eurer in eine andere Welt“, wie Endoooh sagt und auf die Chance einer Wiederauferstehung verweist. Auch verschweigt das Stück die unbequemen Dinge des höchstpersönlichen Todes, hantiert aber mit der Möglichkeit, dass ein klares Bewusstsein der Sterblichkeit die Angst davor fruchtbar machen und den Erwartungen an das Leben einen Sinn verleihen kann. Darauf dann gern noch ein regionales Bier.

„Rabenfutter“: wieder am 26.– 28. 7., 2.–4. 8., 9. 8., 10. 8., je 19.30 Uhr, Jahrmarkttheater, Bostelwiebeck 24, Altenmedingen

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