Weiße Wurst im schwarzen Loch

Navi macht blöd: Dumm nur, wenn es das eigene Gerät im Wagen ist und es einen während der Fahrt gehirngrillt

Sich auf ein Navigationsgerät zu verlassen, kann schon mal abgrundtief schiefgehen Foto: reuters

Von Uli Hannemann

Von A nach B zu fahren, sollte eigentlich nicht so schwer sein. Immerhin klingt es so, als läge das direkt nebeneinander. Außerdem benutze ich zwei Navis auf einmal: Google Maps auf dem Smartphone und dazu noch das autoeigene Navigationsgerät mit seinen veralteten Datensätzen.

Ich befinde mich nämlich im tiefsten Bayern. Das bedeutet, dass die App wiederholt kein Netz findet. „Bing!“, tönt sie immer, wenn der Empfang abbricht, und für mich fühlt es sich dann jedes Mal so an, als würde mitten in der Wüste der Kompass spinnen, weil Wasser ins Gehäuse eingedrungen ist.

Ich bin völlig lost. Doch nun kommt das Bord-Navi ins Spiel, und eine schneidende Frauenstimme herrscht mich an: „Wenden! Sofort wenden!“ Oder: „An der nächsten Straße rechts und dann sofort wieder rechts!“ Man soll also dahin fahren, wo man herkommt. Was für ein teuflisches Spiel spielt sie da? Wieso will sie verhindern, dass ich nach B fahre? Warum hasst sie mich so?

Nicht umsonst unterscheidet sich „Navi“ und „Nazi“ nur durch einen einzigen Buchstaben. Ihre Lieblingsworte sind „Sofort“, „Auf der Stelle“, „Wenden“ und „Umdrehen“. Sie liegt grundsätzlich daneben. Ihre eingespeisten Informationen stammen wahrscheinlich noch aus einer Zeit, in der die Erde als Scheibe galt. Das hat selbstverständlich Einfluss auf die Streckenführung.

Die Google-Frau wirkt nicht nur weitaus kompetenter, ihre Stimme ist auch viel sympathischer, sanfter und irgendwie menschlicher. Sie macht eher kameradschaftliche Angebote, setzt auf Goodwill und Miteinander, wo die andere bloß Befehle erteilt. Alles kann, nichts muss. Wir zwei sind ein Team, vermittelt mir die Google-Stimme, gleichberechtigte Gefährten in der Wildnis. Wir schaffen das.

„Fahr, du Fahrschwein!“, ätzt hingegen die Böse sinngemäß. Die Expertinnen widersprechen einander auf Schritt und Tritt. Die eine ruhig, die andere zeternd. Ich frage mich mehrmals, warum sich die beiden nicht einfach mal so richtig boxen. Aber das wäre wohl kaum der Stil meiner Favoritin, die würde das nicht machen. Gelassen und geduldig würde sie die Probleme ansprechen und versuchen, das unfähige Schwurbel-Navi mit Fakten zu überzeugen.

Ihr vertraue ich also. Nur eben leider schmiert die App – „bing!“ – auf freier Strecke ständig ab. Denn egal, ob Kartenzahlung, Sendemasten oder Windräder – die ortsübliche Gemengelage aus gutsituierten Esoterikerinnen und konservativer Landbevölkerung bremst den Fortschritt. 67 Prozent haben hier bei der letzten Landtagswahl verschiedenste Schattierungen von schwarz und braun gewählt; das ist, kaum zufällig, ein deutlich höherer Prozentsatz als die Corona-Impfquote.

Um dennoch einen angeblichen Einklang von Tradition und Technik zu beschwören, hat man den Slogan „Laptop und Lederhose“ (Roman Herzog) kreiert. Und tatsächlich sind Laptop und Lederhose beliebig austauschbar, da gleichermaßen offline. Laphose und Ledertop, Laptop und Leberkäse, Leberkäse und Lederhose, Lapkäse und Leberhose, Lebertop und Lederkäse, Laberkopp, Leberzirrhose, Lebenszeit, Mahlzeit.

Die sich aus unangebrachter Hybris speisende Dysfunktionalität macht auch nicht vor der Landeshauptstadt München halt. Im Gegenteil. Vorstädter ohne eigenen BMW haben abends ab 22 Uhr de facto Ausgangssperre, denn die dann ohnehin nur noch alle vierzig Minuten verkehrende S-Bahn fällt oft einfach kommentarlos aus. Banditen, Erdrutsch, Radbruch? Man weiß es nicht und wird es auch nie erfahren.

Das Komplettversagen enttarnt die in der Süddeutschen Zeitung, diesem Bayernkurier für Alphabeten, seit Jahren weidlich zelebrierte quasi blatteigene Textgattung des Berlin-Bashings als exotisierende Märchengeschichten aus tausendundeiner Geistesumnacht; Dystopien aus einer Hölle, in der man sich doch nur selbst befindet. Gerade das damalige Münchener Hohngebelfer im Angesicht winterlicher Berliner S-Bahn-Probleme entpuppt sich im Nachhinein als lautes Singen im Wald.

Vergleichsweise am besten funktionieren noch Abschiebungen, aber nicht von Selbstmordattentätern, die nach dem Zwölfuhrläuten das Weißwurstwasser aufsetzen, sondern lieber von Leuten, die schon einen Job haben, weil sie anderen Menschen, die es nicht gibt, Arbeitsplätze wegnehmen, die keiner will.

Wenn das Funksignal endlich zurück ist, zeigt sich allerdings auch die Google-Frau verwirrt: Selbst wo der Kontakt nur für wenige Sekunden abgerissen ist, ordnet sie so pauschal wie sinnfrei an: „Auf der Magellanstraße wenden und nach Süden starten.“ Denn leider eint beide Damen obendrein ihr nerdiges Pfadfinderinnengelaber: „Starten sie auf der Sesamstraße in östliche Richtung.“ Ja, woher soll ich denn wissen, wo Osten ist: Bin ich Alexander von Humboldt?

Woher soll ich denn wissen, wo Osten ist: Bin ich Alexander von Humboldt?

Ich lasse mir also in einem ultramodernen Hochleistungs-vehikel die gewünschte Route mithilfe mobiler Daten per Satellitenortung auf eine Smartphone-App beamen und muss trotzdem vor Fahrtbeginn aussteigen, um draußen erst mal die Baumstämme dahingehend abzutasten, auf welcher Seite das Moos wächst, damit ich weiß, in welche Richtung ich überhaupt losfahren soll? Im 21. Jahrhundert! Das ist doch vollkommen irre.

Die kakophonische Dissonanz der Navigatorinnen belastet mich zunehmend. Meine Nerven! Ich kann das bald nicht mehr. Vielleicht wäre es sogar besser, sie würden beide destruktiv herumgiften.

Mittlerweile empfinde ich die unerschütterliche Dienstbarkeit der Google-Tante als durch und durch falsche, passiv-aggressive Marotte. Im Grunde ist die andere viel ehrlicher: Sie hat einen schlecht bezahlten Scheißjob, auf den sie hörbar keinen Bock hat, und sie lässt das eben raus, indem sie ihn so schlecht wie möglich macht. Wer könnte das nicht verstehen? Dagegen ist mir so eine beflissene Backstabberin doch viel unheimlicher. Erst immer schön freundlich, und dann auf einmal – Zack! Bing! – Ende der Ausbaustrecke.