Rute raus, der Spaß fängt an

Am Ufer der ewigen Jugend. Eine voll ausgefahrene Geschichte über das alte Problem der Penislänge. Mit echtem Fischgeruch

Foto: Zeichnung:Dorthe Landschulz

Von Ella Carina Werner

Neulich, es war ein Sonntag, lag ich an meinem geliebten Aßmann-Kanal auf der Wiese. Mit geschlossenen Augen döste ich so durch den Tag, um mich herum nichts als das herrliche Zwitschern der Vögel und zweier junger Männer irgendwo neben mir.

Sie fachsimpelten, so wie junge, noch unfertige Männer halt fachsimpeln, und selbstverständlich ging es um ihre Penisse. Anders gesagt, um ihre „Ruten“. Um die Länge ihrer Ruten. Um das Gewicht ihrer Ruten, sogar um die Biegsamkeit. Ruten, die sie sogleich auszupacken gedächten, um möglichst viele „blutjunge Brassen“ zu ködern. Okay, nicht sehr einfühlsam, nicht sehr auf konsensuelle Zärtlichkeit bedacht, dachte ich, aber okay, für mich war die Situation vergnüglich. „Jaa, redet nur weiter“, dachte ich. So machen Sonntage Spaß.

Der eine Typ, der mit der kieksenden Stimmbruchstimme, sprach sogar von seiner extra langen „Teleskoprute“. Ganz schön selbstbewusst, die jungen Kerlchen heute, schmunzelte ich: Da ist aber jemand mit sich im Reinen! Das gefiel mir gut. Nicht so verunsichert, nicht so von Selbstzweifeln geplagt wie die Luschis zu meiner Zeit. Fünf Minuten später referierte der Stimmbruch-Boy immer noch von seiner großartigen „Teleskoprute“, die sich auf wenige Zentimeter zusammenschieben ließe, ehe er noch etwas von der Anzahl der „Schnurlaufringe“ berichtete.

Da schlug ich die Augen auf. Und war sofort enttäuscht. Wenige Meter links von mir, am Ufer des Kanals, hockten die Jungs auf Campingstühlen und angelten. Sie angelten wirklich! Ich konnte es kaum glauben. Angelruten in den Händen, Schnüre im Wasser, saßen sie in moosgrünen Matschhosen da.

Ich guckte, ob sie dabei wenigstens kifften oder ein paar zünftige Dosenbiere im Spiel waren – aber nichts. Was war mit ihnen los? Angeln kannte ich nur als trostloses Hobby dieses einen gemütskranken Vaters meiner Grundschulfreundin. Jeden Sonntagvormittag schlappte er in Gummistiefeln mit Eimer und Angel durch unser westfälisches Dorf Richtung Weser. Keiner wusste, warum er das tat. Vermutlich angelte er seinen Samstagabendrausch aus oder schwänzte den Gottesdienst.

Trendsport der Jugend

Aufgewühlt kramte ich mein Handy aus der Tasche und recherchierte: Angeln war allen Ernstes seit einigen Jahren ein Trendsport unter jungen Leuten. Es gab zahlreiche Tiktok-Videos, darunter viele von der Jungen Union. Es gab die Begriffe „Urbanes Angeln“ und „Streetfishing“. Es gab Jugend-Angelclubs, die aus allen Gräten … äh, Nähten platzten. Es gab jugendliche Online-Foren, und ob sich die Mitglieder dort „Dschingis Karp“ oder „Sharkira“ nannten, wollte ich lieber nicht wissen.

Gerade sprachen die Jungs über „Drop-Shot-Angeln“ und die besten „Spots“. Coole Anglizismen und Angeln, das brachte ich im Kopf irgendwie nicht zusammen. Doch ehe sie noch ein geiles „Jugendwort des Jahres“ wie „Fishing Luck“ oder „aqua culture clash“ kreieren konnten, sprachen sie bereits über die Prüfung zu ihrem nächsten „Fischerei-Schein“. Auch das noch! Nicht mal illegal lebten sie ihr krankes Hobby aus, nicht mal „Fischwilderei“ betrieben sie, sondern gingen schön brav zum Theorieunterricht, wie in der Fahrschule. Der Horror.

Dann redeten die beiden traurigen Wichte über die Familie der „Barschartigen“, darunter den Zander. Gern hätte ich etwas gesagt. Zum Beispiel, dass für uns damals der einzige Zander, den wir kannten, der Frank war – na und, wir hatten trotzdem unsere lecker Fischstäbchen von Kaiser’s Tengelmann.

Gern hätte ich sie gefragt, warum sie das taten. Jugendforscher würden irgendwas von „Entschleunigung“ und einem ersehnten, wichtigen Reststück „Real Life“ dozieren, von „Naturerfahrung“ und „Sich selber spüren“, aber ich vermute, es war einfach totale Perspektivlosigkeit. Oder Faulheit. Diese ganze „Generation Z“ ist doch körperlich zu schlaff für andere, richtige Sportarten wie Basketball oder Beer Pong. Ja, können die jungen Meeresfrüchtchen ihre Freizeit nicht sinnvoll gestalten: Mofa fahren, Graffiti sprühen, Weltschmerz zelebrieren oder Heavy Petting, wie ganz normale Halbstarke?

Was auch ein Angel-Motiv sein könnte: Die pure Lust am Töten. Immer nur virtuell in den Ego-Shootern ist doch auch nichts – und wer kann diesen Drang nicht verstehen? Doch vermutlich würden diese Weichlinge ihre Fische am Ende noch vorsichtig vom Köder nehmen und wieder ins Wasser werfen, zurück ins Leben, denn auch von diesem Angeltrend namens „Catch and Release“ hatte ich gelesen.

Mittlerweile prahlten die beiden verpickelten Hechte mit ihren hochwertigen „Lebend-Ködern“, als ginge es jetzt doch um ihre Geschlechtsteile, worum es im Subtext sicher auch ging. Irgendwann sagte der eine den hübschen Satz: „Die Moderlieschen haben ja auch gerade Schonzeit“, als spräche er von menstruierenden Mädchen, die man gerade nicht anrühren dürfe.

Also, eines wusste ich. Das mit den Mädels konnten sich die Angel-Nerds abschminken! Niemals würden sie mit diesem Hobby im echten Leben ein paar lebenslustige Backfische oder Prachtschmerlen ködern.

Badboys mit Vereinsbeitrag

„Ah, da seid ihr ja schon“, nuschelte auf einmal eine phlegmatische Stimme hinter mir. Ich drehte mich um. Da standen zwei bleichgesichtige Mädchen in Spaghetti-Tops und schlammfarbenen Anglerhosen.

„Bitte, bleibt nicht stehen“, dachte ich. Sucht euch andere Jungs! Autoscooter-Raser, Kiffer, Punker, meinetwegen auch richtige Angler-Underdogs, die Badboys der Szene, sexy Nonkonformisten mit Outcast-Image, die niemals den Angelvereinsbeitrag rechtzeitig überwiesen.

„Mixt ihr eurer Wurmfutter eigentlich selber oder kauft ihr Fertig-Gemixtes?“, ging einer der Jungen jetzt flirtmäßig in die Vollen, und eines der Mädchen fragte zurück, ob irgendwer eigentlich eine „Madenbox“ dabei hätte.

Ich sah den vieren noch eine Weile zu, ehe der Stimmbruch-Junge gellte: „Ich hab einen!“ Und richtig, an seiner Angel zappelte ein stattlicher Fisch. Oh, wie er zappelte! Der Junge nahm ihn vom Köder, aber hielt das zappelnde Wesen unschlüssig in der Hand.

Da nahm ihm eines der Mädchen den Fisch aus der Hand und schlug ihn mit voller Wucht auf den Gehweg. Da zappelte der Fisch dann nicht mehr. Ein sachgerecht ausgeführter Genickbruch, alle Achtung, dachte ich und packte rasch meine Sachen zusammen, ehe sich das geheimnisvolle Haudrauf-Girl noch an mir vergriff.

Ich ging nach Hause: erschrocken, aber auch ein bisschen hoffnungsfroh. Diese junge Generation würde noch einiges erreichen. Wer, ohne mit der Wimper zu zucken, eiskalt einen Barsch erschlägt, kann auch die Erderwärmung noch stoppen; dem gelingt vielleicht sogar die eine oder andere krachlederne soziale Revolution.