Zurück zu den „besten politischen Jahren“ in der Opposition

Eigentlich hatte es beim Parteitag der schleswig-holsteinischen Grünen am Wochenende um eine Strukturreform und die Rolle im neu gewählten Landtag gehen sollen. Statt dessen musste die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth der Basis Mut zusprechen für den kommenden Bundestagswahlkampf. Motto: Opposition können wir ohnehin am besten

Claudia Roth: „Wir sind zu freundlich gewesen und wir waren auch zu vergesslich.“

„Jetzt wird auf eigene Kappe gekämpft“, gab die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth das Motto für den Wahlkampf zum Bundestag aus – etwas anderes bleibt ihr angesichts des angekündigten SPD-Alleingangs auch nicht übrig. Nach dieser Eröffnung des Landesparteitags der schleswig-holsteinischen Grünen am Wochenende in Neumünster hakte Roth im Rekordtempo sämtliche Politikfelder und Reizworte ab, wofür oder -gegen die Grünen ab sofort noch klarer stehen wollen: Menschenrechte, Integration, soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz, Arbeitslosigkeit, Atomkraft, Vorfahrt für Ökonomie, Merkel, Stoiber, Ackermann, Hundt. Auf das letzte Stichwort fühlte sich ein unter einem Tisch dösender Vierbeiner persönlich gemeint und wuffte irritiert auf: So etwas passiert bei Reden, die auf Pawlowsche Reflexe bauen.

Aber Roth gab auch zu: „Wir sind zu freundlich gewesen, wir waren zu vergesslich.“ Jetzt werde alles auf den Tisch kommen: Von Merkels Position zum Irakkrieg bis zu Waffenlieferungen nach China. In Richtung SPD sagte sie: „Wer eine große Koalition will, wird als Juniorpartner von Frau Merkel landen.“

Hatte Roth noch am Freitag gesagt, die grüne Ministerriege werde „ihren Job machen“, klang das am Samstag schon anders; mit großer Mehrheit beschloss der Parteitag eine Resolution, mit der die Koalition in Frage gestellt wird: „Wenn die SPD einen Versuch starten sollte, die Situation gegen uns auszunutzen und wenn das Vertrauen in die gemeinsame Handlungsfähigkeit verbraucht ist, muss ihr klar sein, dass wir die Koalition beenden“, heißt es in dem Papier, das der Landesvorstandssprecher Robert Habeck mit den Bundesvorsitzenden Reinhard Bütikhofer und Claudia Roth abgestimmt hatte. Weiter: „Mit den Grünen wird es keinen Verfassungsverstoß aus parteipolitischem Kalkül geben.“

Dass der Platz auf der Oppositionsbank auch Vorteile haben kann, machte Habeck deutlich: „Wir haben es nicht geschafft, die Hoffnung auf eine andere Politik zu erfüllen.“ Nun sei „Schluss mit Kompromissen und Machterhalt um jeden Preis“: „Jetzt ist die Chance, dass wir Grünen unsere Ideen ins Spiel bringen.“ Die große Koalition – die bestehende in Kiel, die drohende in Berlin – sei nicht „niedlich oder gutväterlich“, die Grünen würden als Gegengewicht dringend gebraucht. Sie müssten sich jetzt auf ihre „besten politischen Jahre“, die in der außerparlamentarischen Opposition, besinnen und allen Gruppen, die in der Regierung kein Gehör fänden, eine Stimme verleihen: „Wir werden die alten Ideale neu denken und in die Zukunft wenden. Wenn wir das durchstehen, beginnt das grüne Zeitalter erst.“

Die Delegierten applaudierten sowohl Roth als auch Habeck – aber es gab schon fröhlichere Parteitage, im vergangenen Herbst etwa, als es noch gut aussah für den Wahlausgang im Land. „Durchhalten“, sagte Anne Lütkes, vor kurzem noch Justizministerin in Kiel, zur allgemeinen Stimmungslage. Und dann musste sie eilig weiter, Flugblätter in eigener Sache verteilen: Die Grünen im hohen Norden beschlossen die Bildung eines Parteirats als neues Gremium in der Landesstruktur, in dem Lütkes gerne einen Sitz wollte.

Als die Grünen das Treffen in Neumünster geplant hatten, sollte es eigentlich nur um solche internen Fragen gehen, außerdem um einen Leitantrag unter dem Motto „Aufbruch in die Opposition“, inhaltlich ein trotziges „Jetzt erst recht“. Ideengeber wolle die Partei im Landtag sein, in der Umweltpolitik, in Bildungsfragen, im Bereich Arbeitsmarkt.

„Wir müssen den Begriff Innovation für uns zurück erobern“, sagte Klaus Müller, ehemals Umweltminister, heute einfaches Mitglied der vierköpfigen Fraktion im Kieler Landtag. Als Motto für den Aufbruch in die Opposition haben die Nord-Grünen ein Plakat mit drei Spielfiguren gewählt: Ein grüner Pöppel steht rechts im Bild, ein schwarzer liegt im Hintergrund, ein roter flüchtet nach links davon – als Zeichen der Hoffnung, SPD-Wähler würden sich von ihrer Partei abwenden und den Grünen anschließen. Esther Geißlinger