Zwischen Verschwörung und Inszenierung

In Bolivien wurden 21 Menschen nach dem Putschversuch festgenommen, der vor dem Hintergrund eines internen Machtkampfes in der Regierungspartei stattfand

Von Katharina Wojczenko, Bogotá

General Juan José Zúñiga hat bei seiner Festnahme nach dem mutmaßlichen Putschversuch vom letzten Mittwoch gesagt, er habe den Staatsstreich im Auftrag von Präsident Luis Arce inszeniert – um dessen Beliebtheit zu steigern. Ein Richter ordnete gegen den bisherigen Armeechef und zwei Generäle eine sechsmonatige Untersuchungshaft an. Ihnen drohen bis zu 20 Jahre Haft wegen Terrorismus und Beteiligung an einem bewaffneten Aufstand. Schwer zu glauben, dass Zúñiga das kurz vor seiner Pensionierung riskierte, um dem Präsidenten einen Gefallen zu tun.

21 Menschen sind seit Mittwoch festgenommen worden – bis auf einen alles Militärs. Deren Angehörige sagen, diese seien von Zúñiga getäuscht worden und unschuldig. Der zivile Festgenommene war laut Regierungsminister Eduardo de Castillo der Ideologe des vereitelten Putschs: Aníbal Aguilar Gómez. Der 71-Jährige ist Bruder des früheren Bildungsministers. Er gehört zum engeren Kreis von Ex-Präsident Evo Morales, stritt eine Beteiligung ab und trat in den Hungerstreik. Aguilar Gómez ist laut der Zeitung El Deber Ex-Berater des Verteidigungsministeriums und Experte für strategische Finanzplanung.

Präsident Arce widersprach Zúñigas Version vom Auftragsputsch: Der habe selbst Präsident werden wollen. Die Regierung untersucht laut Arce, ob der Putschversuch von der rechten Opposition organisiert worden sei. Außerdem sei seine Regierung von Ex-Präsident Morales „politisch angegriffen“ worden. Der stellt sich hinter die in Bolivien verbreitete Theorie eines gescheiterten Selbstputsches. Weitere Führungspersönlichkeiten der Partei MAS („Bewegung für den Sozialismus“) schlossen sich an: Arce habe einen Putsch organisiert, um sich als Retter der Demokratie inszenieren zu können.

Die Reaktionen zeigen den Machtkampf innerhalb der dominierenden MAS und die Blockade im Land. Arce und sein einstiger Förderer Morales sind längst verfeindet. Morales, der seit seiner Rückkehr aus dem Exil 2020 die MAS führt, will 2025 wieder Präsident werden. Bei einem Parteikongress, bei dem Arce und Teile der Partei fehlten, ließ er sich zum einzigen Kandidaten wählen. Arce hält Morales’ Kandidatur für verfassungswidrig und will selbst kandidieren. Den Streit tragen seitdem Parteiflügel und Gerichte aus. Eine wichtige Rolle spielen die sozialen Organisationen, die Basis der Partei, die teils für Arce, teils für Morales demonstrieren.

Präsident Luis Arce und sein einstiger Förderer Evo Morales sind längst verfeindet

Was hat das mit dem Putschversuch zu tun? General Zúñiga hatte am Vortag gedroht, eine Wiederwahl von Morales nicht zuzulassen. Daraufhin setzte Arce ihn ab. Als Kommandant der Streitkräfte darf sich Zúñiga nicht politisch einmischen. Einen Tag später stand der General dann mit Militäreinheiten auf der Plaza Murillo. Die Folge des internen MAS-Machtkampfs ist eine politische Blockade. Im Parlament gibt es zwei Oppositionen: die offizielle Opposition zur MAS und den Morales-Flügel innerhalb der Partei. Die Institutionen liegen brach – allen voran die politisch beeinflusste Justiz.

Dabei wäre Handeln dringend nötig. Bolivien leidet unter der sogenannten holländischen Krankheit: Rohstoffe verkaufen und mit den Einnahmen Importwaren bezahlen. Doch der Gasexport ist massiv gesunken. Schon unter Morales wurden keine neuen Vorkommen erschlossen. Die Goldreserven sind weitgehend verbraucht, Devisen knapp. Das Land hat die weltgrößten Lithiumreserven, doch der Abbau geht nicht voran, auch wegen der Blockade im Parlament.

Importwaren sind stark im Preis gestiegen. Bo­li­via­ne­r:in­nen spüren erste Einschränkungen im Geldverkehr. Manche Fluglinien akzeptieren für internationale Flüge nur noch Bezahlung in Dollar.Das subventionierte importierte Benzin ist knapp, die Preise für Waren des täglichen Bedarfs sind gestiegen – laut Regierung wegen El Niño, Lebensmittelschmuggel ins besser zahlende Ausland und Streiks der Fahrer wegen Benzinknappheit. Laut der Präsidialministerin stecke Morales hinter den Blockaden.