Die mageren Jahresind längst vorbei

Am Montag startet die Berliner Fashion Week – sie ist international kaum angesehen. Um den Standort zu stärken, unterstützt der Senat vor allem junge, authentische Designer*innen. Die sollen frischen Wind bringen

Das hat man so schon in den 1980er Jahren gesehen: Mode der Designer Lena Hoschek auf der Berlin Fashion Week im Jahr 2013 Foto: Tobias Schwarz/reuters

Von Lilly Schröder

Berlin ist alles Mögliche – „bedeutungslos“ finden es wohl die wenigsten. Nur im Mode-Kontext gehen die Hauptstadt und das vernichtende Wörtchen Hand in Hand: „Die Big Player sind Mailand, Paris und New York. Gerade ist auch Kopenhagen im Kommen“, sagt Kaja Busch, selbstständige Modedesignerin und Kostümbildnerin. „Berlin ist als Modeindustriestadt im internationalen Vergleich irrelevant.“

Trotzdem strömen ab Montag wieder Tausende Modeschaffende, Scouter*innen, Käufer*innen, Presse und Models nach Berlin, denn es ist Fashion Week. Eine Woche lang stehen Canapés und Sekt bei Modeschauen, Pop-ups, Ausstellungen, Installationen und Konferenzen auf dem Programm. „Auf den Messen wird nur Fast Fashion verkauft“, sagt Busch. Die Shows seien deutlich kreativer.

Aus künstlerischer Sicht sei die Fashion Week in den letzten Jahren jedoch „relativ uninteressant“ gewesen, findet die gebürtige Berlinerin. „Sie probiert zu stark, andere Fashion Weeks nachzuahmen und High Fashion zu sein, aber das funktioniert nicht.“ Viel interessanter wäre es, die Aspekte zu nutzen, die Berlin ausmachten: kulturelle Vielfalt, die Musikkultur, die Fähigkeit, „aus nichts etwas zu machen und Spaß zu haben“.

In den Nuller Jahren und bis 2015 sei das der Fall gewesen: „Damals haben sich sehr interessante Labels angesiedelt. Niemand hatte eine Ahnung, wie man Mode in Berlin gestalten könnte, es gab keine Anleitung dafür, und alle haben sich gegenseitig geholfen“, erzählt Busch. Zu dieser Zeit habe Berlin als Modestadt auch internationale Aufmerksamkeit erlangt. Dann der Absturz: „Der kapitalistische Druck hat den Glow der Avantgarde zerstört.“ Die jungen Labels konnten sich nicht mehr finanzieren, Geldgeber überrollten die Fashionwelt und nahmen starken Einfluss auf die Designarbeit. Die Mercedes Benz Fashion Week habe stark zur Kommerzialisierung und zum Fokus auf große Labels beigetragen, so Busch.

Der Autokonzern war seit 2007 Titelsponsor der Berlin Fashion Week, 2022 kündigte er seinen Rückzug an. Die Pandemie hatte die Branche erschüttert, einige Modemessen meldeten Insolvenz an, andere gaben bekannt, nach Frankfurt zu ziehen. Während der Senat die Fashion Week bis dahin lediglich mit 300.000 bis 450.000 Euro pro Saison unterstützte, kündigten das Land Hessen, die Stadt Frankfurt und ihre Messegesellschaft 2021 an, über die folgenden drei Jahre 10 Millionen Euro in die Frankfurt Fashion Week zu investieren. Um sich davon nicht in den Schatten stellen zu lassen, erhöhte Berlin das Budget 2021 auf 3,5 Millionen Euro.

Diese Unterstützung wird dringend benötigt, denn Berlin ist ein hartes Pflaster für Mode. „Die Berliner Kundschaft ist sexy, aber arm, die Leute haben kein Geld, um Slow Fashion zu kaufen“, sagt Helena Stölting. Die Designerin fertigt handgemachte „Slime-Fashion“ aus Überschussmaterialien, Resten der Leder-Industrie, Haaren, Zähnen, schleimigen Texturen und Farben. Ihre Stücke fangen bei 50 Euro an, erst ab 100 Euro mache es wirtschaftlich Sinn, handgemachte Kleidung zu verkaufen, sagt sie. Deutsche Kun­d*in­nen seien deutlich preissensibler als ausländische.

Doch die „Arm, aber sexy“-Hauptstadt bietet auch Standortvorteile. „Berlin ist für mich vor allem ein Standort, um günstig zu leben. In einer anderen Stadt wäre ich finanziell nicht fähig, ein kleines Label zu haben“, sagt Stölting. Weil es vielen in der Branche ähnlich geht, sei Berlin, insbesondere Neukölln, ein „toller Standort, um sich mit gleichgesinnten Stylisten oder Fotografen zu vernetzen und zu kollaborieren.“

Weil es aber zu wenig Ab­neh­me­r*in­nen gibt, wandern Designer*innen, die mehr internationale Aufmerksamkeit erlangen, in andere Städte ab. Gleiches gilt für Models: „Ich habe noch nie an der Berliner Fashion Week teilgenommen“, sagt ein international tätiges deutsches Model der taz. Seinen Namen möchte er in der Zeitung nicht lesen. Sein Begründung: „Hier zeigen kaum international relevante Marken, es gibt auch keine jungen Designer, die momentan interessant sind.“

Um dem entgegenzuwirken, hat der Senat tief in die Tasche gegriffen und die Zusammenarbeit mit dem Fashion Council Germany (FCG) aufgenommen. Ziel des Lobbyvereins der Modebranche ist es, durch verschiedene Initiativen deutsches Modedesign als Kultur- und Wirtschaftsgut zu unterstützen. In Kooperation mit dem FCG bietet der Senat Programme wie „Berlin Contemporary“ an, bei denen sich De­si­gne­r*in­nen um eine Förderung von 25.000 Euro bewerben können, um eine Modeschau zu realisieren.

„Durch den Fashion Council bekommt die Fashion Week wieder Aufwind“, sagt Kaja Busch. „Eine Show zu machen, kostet mindestens 10.000 Euro, ohne Kollektionskosten. Das können sich viele junge Labels nicht leisten.“ Helena Stölting betont ebenfalls, dass sich die Fashion Week durch die Nachwuchsförderung von „Null auf Hundert entwickelt“ habe. Zunehmend seien nun junge Labels vertreten, die der Club- und „Kinky-Szene“ (Fetischszene) Berlins entsprächen, etwa Marken wie Namilia, Haderlump, Kitschy Couture oder GmbH. „Es ist wichtig und angebracht, dass die Fashion Week so offen ist für sexuelle Themen“, meint Stölting.

Zweimal im Jahr findet die Berlin Fashion Week statt, zuletzt im Februar, jetzt vom 1. bis zum 4. Juli. Der im Auftrag der Senatswirtschaftsverwaltung und dem Fashion Council Germany (FCG) initiierte Wettbewerb hat dabei 2 Kategorien: die Talentförderung „Berlin Contemporary“, bei der eine internationale Jury die besten von 35 Shows der teilnehmenden Label mit Preisgeldern von 25.000 Euro prämiert, und dem B2C (Business to Customer) Format „Studio2Retail“, bei dem Ateliers, Läden und Pop-ups für alle zugänglich sind.

Hier gibt es Fashion: Locations sind das Tempodrom, der Flughafen Tempelhof, das Kulturforum, die König Galerie in Kreuzberg oder das Reethaus auf dem Rummelsburger Flussbad Campus. (taz)

Diese Offenheit schätzt auch die selbstständige Agentin Elisabeth Brandauer. Weil Berlin sich noch in einem „Entwicklungsstadium“ befinde, gebe es viel Spielraum für Unkonventionelles. In den letzten Jahren gab es Modeschauen in der U5 und der U8, leerstehende Einkaufshallen, Innenhöfe und Schulturnhallen wurden in Laufstege verwandelt. „In Mailand, Paris oder New York gibt es so etwas schon seit 10 Jahren nicht mehr. Dort ist so viel Geld in der Branche, dass alles glänzt und perfekt ist. Die Modeschauen sind auf den höchsten technischen Standards, alles ist durchgeplant und folgt den Vorschriften“, sagt Brandauer.

Die gebürtige Wienerin hat in Berlin eine Castingagentur gegründet, um „unkonventioneller Schönheit eine Plattform zu geben“. Auch in Berlin gebe es den Druck, einem heteronormativen Schönheitsideal zu entsprechen, doch er sei deutlich geringer als in anderen Modestädten. Diese Nonkonformität spiegele sich in den Models wider: „In Berlin herrschen die wenigsten Vorschriften hinsichtlich Größe, Gewicht, Tattoos oder Piercings.“

Dabei wären einige Vorschriften nicht verkehrt. In Spanien, Italien und Israel etwa wurde ein Mindest-BMI (Body-Mass-Index) für Models festgelegt, um den Magerwahn einzudämmen. Und Frankreich erließ 2017 ein Gesetz, wonach jedes Laufstegmodel ein ärztliches Attest braucht, das einen BMI im Bereich des Normalgewichts bestätigt. Wer sich nicht daran hält, muss mit 2 bis 6 Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe von bis zu 75.000 Euro rechnen. Es hagelte Kritik von Designer*innen: Sie sahen darin eine Einschränkung der künstlerischen Freiheit.

„Das wurde aber nie ernsthaft durchgesetzt“, sagt ein Model, das auf den Fashion Weeks in Paris, New York und Mailand läuft, der taz. Auch sie möchte nicht namentlich genannt werden. „Das Einzige, was eine Zeit lang gemessen wurde, war, dass der Hüftumfang nicht weniger als 88 Zentimeter beträgt.“ Das Zynische daran: „Gleichzeitig soll man nicht mehr als eine 88 haben.“ Das Motto der Agenturen laute „Je dünner, desto besser, es sei denn du bist Kylie Jenner.“

Wie so oft ist Authentizität der Schlüssel zum Erfolg

Denn die Marken bevorzugten Mager-Models und setzten die Maßstäbe für das Körperideal. Durch die kurvigen Körper der einflussreichen Jenners und Kardashians waren in den letzten Jahren kurvigere Köper populär geworden, auf dem Laufsteg habe sich das jedoch nie widergespiegelt, sagt Kaja Busch. „Jetzt geht der Trend wieder in Richtung super skinny“, einem Ideal, das an das heroin chic der 90er erinnert.

„Immer noch bilden viel zu wenige De­si­gne­r*in­nen aus eigener Motivation heraus diverse Körperbilder ab“, kritisiert Busch. „Die De­si­gne­r*in­nen produzieren für Größe 34/36, auf den Laufstegen gibt es zwei Quoten-Plus-Size-Girls, die eine 42 tragen – was gar nicht wirklich Plus Size ist.“ Busch räumt ein, dass es eine Verbesserung gegeben habe. Aber die sei sehr gering und schleppend: „Es ist schwierig, Licht am Ende des Tunnels zu sehen.“

Ähnlich verhielt es sich lange mit der Berlin Fashion Week. Doch es gibt Hoffnung. Und wie so oft ist Authentizität der Schlüssel zum Erfolg.