SCHLECHTES HANDWERK AUF DEM WEG ZU NEUWAHLEN
: Schröder bleibt sich treu

Eines wenigstens kann man der rot-grünen Bundesregierung nicht absprechen: Noch im Abgang bleibt sie sich treu. Der Koalitionsstreit um den geeigneten Weg zu Neuwahlen folgt exakt dem Muster, mit dem Gerhard Schröder schon in den Jahren zuvor die Wähler verschreckte. Erst spricht der Kanzler ein Machtwort und weckt Hoffnungen auf den entscheidenden Befreiungsschlag. Dann stellt sich bei näherem Hinsehen heraus, dass er sich um die Details nicht gekümmert hat und der große Plan – wie alle großen Pläne – in der Praxis leider undurchführbar ist.

So machte, um nur ein Beispiel zu nennen, Rot-Grün erst Jagd auf „Scheinselbstständige“, um wenig später die Scheinselbstständigkeit per „Ich-AG“ zu fördern. Genauso widersprüchlich ist die Idee, einem Kanzler im Parlament das Misstrauen auszusprechen und ihn gleichzeitig vertrauensvoll zum Spitzenkandidaten für den Wahlkampf zu erklären. Das Schröder diesen Widerspruch übersah, als er vor einer Woche seine Neuwahlpläne hinausposaunte, ist mehr als ein taktisches Missgeschick. Es hat denselben Grund wie alle rot-grünen Fehlschläge zuvor: Das völlige Desinteresse an jedweder Art von Inhalten wird dem Machtpolitiker Schröder zum Verhängnis. Die tausendfache Vielgestaltigkeit der wirklichen Verhältnisse – im Land, im Parlament, in der Verfassung – erscheint ihm als bloße „Friktion“, die sich dem strategischen Plan unverschämterweise in den Weg stellt.

Die Wähler reagieren überaus sensibel auf derlei Überheblichkeit, die sich gerade bei Politikern wie Schröder oder Joschka Fischer nach langjähriger Ermattung in linken Debattierzirkeln bis zum blanken Zynismus gesteigert hat. Wer bis zum vorletzten Sonntag um 18.27 Uhr Rot-Grün noch aus alter Anhänglichkeit die Treue hielt, der sieht sich seit Franz Münteferings Neuwahlankündigung um 18.28 Uhr eines Schlechteren belehrt. Da zog der SPD-Chef den Mantel weg, der das System Schröder zuvor gnädig verhüllte. Nun fällt der Blick des Publikums aufs blanke Nichts. Wem es inhaltlich um etwas geht, soll Schröder mal gesagt haben, der könne politische Spitzenämter nicht erklimmen. Wem es um gar nichts geht, der kann sie offenkundig nicht behalten. RALPH BOLLMANN