Barbara Oertel über Georgiens Zerwürfnis mit Brüssel
: Multivektoriell gescheitert

Geht doch! Brüssel zieht im Falle Georgiens die Reißleine. Zahlungen in Höhe von 30 Millionen Euro für Militärhilfen aus dem Fonds Europäische Friedensfazilität (EPF) sind ausgesetzt. Finanzhilfen, die jahrelang zu großen Teilen direkt an die Haushaltskasse der Regierung gingen, werden gekürzt. Die „Sanktionen“ gegen die Südkaukasusrepublik, die erst im Dezember vergangenen Jahres den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhalten hat, erfolgen mit Ansage. Doch offensichtlich sind die Warnungen bei dem Adressaten Georgischer Traum (KO) bislang nicht angekommen.

Die Regierungspartei, seit 2012 am Ruder, gefällt sich vor allem in den vergangenen Monaten zunehmend in der Rolle eines Agent Provocateur. Der vorläufig letzte Akt in diesem unwürdigen Schauspiel ist das „Agentengesetz“ nach russischem Vorbild, um effizient gegen aus dem Ausland finanzierte Nichtregierungsorganisationen vorgehen zu können. Trotz wochenlanger Proteste wurde die Vorschrift durchs Parlament geboxt nebst Überstimmung eines Vetos von Staatschefin Salome Surabischwili. Dass dieser Schritt nicht folgenlos bleiben konnte, versteht sich von selbst.

Aus Regierungskreisen in Tbilisi heißt es jetzt, Georgien habe versucht, seine eigenen Interessen zu schützen und sich gleichzeitig in Richtung EU zu bewegen. In den 90er Jahren wurde dieses Schaukeln einiger postsowjetischer Staaten zwischen West und Ost vornehm als multivektorielle Außenpolitik umschrieben. Das Experiment endete stets schlecht – siehe Ukraine.

Auch die georgische Regierung wird dafür vielleicht teuer bezahlen. Nicht nur, dass demnächst wieder Tausende auf der Straße stehen könnten. Auch die russische Propaganda, die derzeit einen von den USA orchestrierten Machtwechsel in Georgien herbeifantasiert, spricht Bände. Denn bei der Parlamentswahl im Herbst ist keineswegs ausgemacht, dass der KO wieder eine Mehrheit erhält. Und dann könnte der viel zitierte Satz: „Wir könnten nach der Ukraine die nächsten sein“, eine ganz reale Bedeutung bekommen.