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: „Diese Inseln stehen für eine bedrohte Vielfalt“

In Hamburg-St. Pauli spielen Hip-Hopper, Punks und ein Klassik-Ensemble für das Areal „Bernie 117“ auf

Interview Hieronymus Holm

taz: Herr Kamerun, Sie treten mit den Hip-Hop-Musikern König Boris und Das Bo, dem ehemaligen Slime-Sänger Diggen und dem Ensemble Resonanz auf. Eine wilde Mischung?

Schorsch Kamerun: Es ist eher eine launige Veranstaltung, die man sonst so nicht machen würde – aber genau darin liegt der Reiz. Wobei ich solche, ein grausames Wort, „Crossover“-Geschichten gewöhnt bin. In meiner Arbeit an Theatern und Opernhäuser ist es genau das, was ich tue: besondere Verbindungen zu suchen, Überschneidungen zu finden. Aber nicht so auf die Art „Metallica spielt Klassik“.

Liegt der Reiz darin, die Grenzen neu zu definieren?

Ich mache das schon seit 25 Jahren, dieses Überschneidungensuchen. Ich spiele in einer Band, die dieses Jahr 40 Jahre alt wird, die Goldenen ­Zitronen, aber neben mir immer noch derselbe Gitarrist steht. Das ist auch cool, aber ich brauche auch was anderes und er sicherlich mindestens genauso. Spannend ist aber vor allem, Verbindungen zu suchen, die sinnig sind und nicht einfach einen Punk-Sänger neben ein E-Musik-Orchester zu stellen. Ich habe letztes Jahr mit vielen anderen „King Arthur“ von Purcell an der Oper Bremen inszeniert, da gibt es diese „Frost Scene“, die wie ein New-Wave-Song funktioniert. Aber es geht nicht immer alles. Ich könnte nicht auf Beethoven-Musik singen, das ergibt einfach keinen Sinn.

Bei der Veranstaltung geht es vor allem um die Rettung des Areals „Bernie 117“, dass seit Jahren in seiner Existenz bedroht ist?

Foto: Guenther Schwering

Schorsch Kamerun

61, ist Autor, Regisseur, Clubbetreiber und Sänger der Band Die Goldenen Zitronen.

Die Szene in Hamburg war schon immer sehr solidarisch, ohne dass das groß ausgesprochen wird. Stichwort Hafenstraße, wo wir als Zitronen herkommen. Das fand ich in seiner Selbstverständlichkeit schon immer beeindruckend und das ist schon anders als in Berlin, wo ich jetzt lebe. Nehmen wir die ganzen St.-Pauli-Themen: Die Künst­le­r*in­nen, die Ja sagen, ohne groß nachzufragen, sofort immer alle da, ob jetzt in der Hip-Hop-Szene, im Punk, in der Clubkultur. Das kenne ich gar nicht anders und habe das immer sehr geschätzt.

Die Zusammenstellung der Künstler steht auch indirekt für die Vielfalt der Szene.

Man muss zugeben, wir verteidigen Inseln. Das kenne ich schon vom Pudel Club, der mittlerweile auch Stiftungen gehört, aber trotzdem autonom entscheiden darf. Bei der Bernie geht es um Ähnliches. Es ist heute eine umgekehrte Geschichte: Wir sind irgendwann hergekommen und konnten uns in Räumen, die niemand haben wollte, ausprobieren. Mittlerweile ist es umgekehrt, man muss diese letzten Räume verteidigen, weil sie nötig sind.

Diese Räume werden immer von denselben Leuten verteidigt. Ist das alles schon Folklore?

Konzert

„Urban string – ‚viva la bernie‘“ mit dem Ensemble Resonanz, König Boris, Das Bo, Diggen und Schorsch Kamerun:

heute, 21 Uhr, Resonanzraum St. Pauli, Hamburg

Der Freiraum „Bernie 117“ im Hinterhof in der Bernstorffstraße 117 ist seit über 30 Jahren Arbeitsort und Zuhause von Kreativen. Aktuell müssen sie kurzfristig drei Millionen Euro sammeln, um das Areal von der Johann-Daniel-Lawaetz-Stiftung pachten zu können; vivalabernie.de

Das würde ich so nicht sagen. Diese Inseln, um die es geht, sind wichtig und meiner Meinung nach sinnvoll zu verteidigen, auch als Haltung gegen Ausverkauf. Klar sind es auch Symbole, die dort verteidigt werden. Sie stehen jedoch für eine Vielfalt, die bedroht ist und an der teilzuhaben immer schwerer wird. Komm mal als 20-jährige*r Stu­den­t*in nach St. Pauli und versuche da zu wohnen.

Was kann man dem entgegensetzen?

Oke Göttlich, der Präsident des FC St. Pauli, der auch Mitglied im Kuratorium des Pudel Clubs ist, hat kürzlich in einem Interview am Beispiel des Vereins erzählt, wie sich die Dinge professionalisiert haben und wie sie trotzdem etwas „anderes“ machen können.Das trifft auf das ganze Viertel zu. Natürlich hat das einen Preis. Manches lässt sich nur halten, wenn die finanziellen Mittel da sind. Dafür braucht es Kollaborationen, die auch mit der Stadt zu tun haben. So was hat man früher nicht gemacht, aber heute sollte die Stadt endgültig begriffen haben, welchen „Wert“ die selbstbestimmte Marke „St. Pauli“ hat und das sich das nicht ewig weiter auspressen lässt.