Allein gegen die Fifa

STEHAUF-KLUB Ein Transferstreit bedroht die Existenz des SV Wilhelmshaven. Und vor ein paar Monaten sollte ein Spiel manipuliert werden. Aber die Mannschaft spielt unbeeindruckt einfach guten Fußball

Vor Gericht sieht der kleine SVW die Chancen gegen die große Fifa „nicht schlecht“

In der Kabine des SV Wilhelmshaven hängt eine Tabelle. Es ist nicht die offizielle. Es gibt, bezüglich der Regionalliga-Nord, zwei Tabellen. In der richtigen sitzt der SVW nach dem 2:1-Sieg am Samstag gegen die zweite Mannschaft des Hamburger SV mit 34 Punkten auf dem zehnten Platz, in der offiziellen mit 28 Punkten auf Rang 14. Sechs Punkte Differenz.

Diese Saison des SVW ist eine turbulente, und noch ist unklar, wie sie ausgeht. Sportlich wahrscheinlich nicht schlecht.

„Wir können Fußball spielen“, sagt Trainer Christian Neidhart und nickt, während sich der Schaum auf seinem Pils setzt. Gegen den HSV vor 400 Zuschauern im Jadestadion stand der SVW tief, ließ die Hamburger kommen, spielte sich mit kurzen, schnellen Pässen durchs Mittelfeld, und ließ, einziger Vorwurf den der Trainer seinem Team macht, „zu viele Chancen liegen“. Da am Ende keiner aus Regionalliga absteigt, kann nichts schief gehen. Aber so sind Mannschaft und Trainer nicht drauf.

Die Sache mit den sechs Punkten kommt so: Sergio Sagarzazu, 24, Argentinier mit italienischem Pass, stellte sich im Januar 2007 in Wilhelmshaven vor. Kam von San Martín Tucumán, kickte im Mittelfeld. „Guter Spieler, netter Kerl“, erinnert sich Pressesprecher Jörg Schwarz. Machte bis Juni 2008 zwei Tore für den SVW, war „nicht überragend“, ging wieder.

Kaum ist er weg, kommt ein Brief von der Fifa. Der Fußball-Weltverband verlangt namens der argentinischen Klubs River Plate und Atlético Excursionistas 150.000 Euro Ausbildungsvergütung für Sagarzazu. „Das sind, bei einem Etat von insgesamt 250.000 Euro, drei Fünftel“, sagt Schwarz. Gut Kopfrechnen ist Voraussetzung für die Beschäftigung mit dem SVW in dieser Saison. Für 150.000 Euro hätte der SVW Sagarzazu nicht verpflichtet. Schwarz verweist darauf, dass der SVW für Sebastian Polter, der zum Bundesligisten VfL Wolfsburg wechselte, 1.200 Euro Ausbildungsvergütung bekommen hat. Polters Marktwert: 500.000 Euro.

Und dann ist da auch noch die Sache, dass Sagarzazu, für den alle Freigaben vorlagen, als Argentinier gar nicht hätte für Wilhelmshaven spielen dürfen, nur in der Ersten und Zweiten Liga. Als Italiener schon.

Wilhelmshaven zahlte nicht, der DFB zieht dem SVW auf Drängen der Fifa-Disziplinarkommission sechs Punkte ab. Das Geld zahlt der Verein auch weiterhin nicht, weil er dran Pleite ginge. Irgendwann merkt das die Fifa – und dann? Im schlimmsten Fall versetzt der DFB den SVW eine Klasse tiefer, und dann klagt der SVW gegen DFB und Fifa vor einem ordentlichen Gericht. Die Chancen, schätzt Schwarz, stehen dann „nicht schlecht“.

Mannschaft und Trainer ließen sich vom Punktabzug nicht unterkriegen. Auch nicht von dem Versuch eines Spielers aus der zweiten Mannschaft, das Heimspiel gegen den SV Meppen im Oktober 2011 zu manipulieren. Weil die Spieler des SVW nicht mitmachten, die Sache aufflog, der DFB informiert wurde, wurde der Nachwuchsspieler für zehn Monate gesperrt, bis August 2012. Wahrscheinlich steckte die Wettmafia dahinter. Der Spieler flog aus dem SVW und hat Stadionverbot. Damals war der SVW für ein paar Tage geschockt, verlor das Spiel gegen Meppen.

Auf die Frage, ob die Mannschaft nachhaltig irritiert war, sagt Mussa Karli, der gegen den HSV eine Gelbsperre absitzt: „Eigentlich nicht.“ Irritiert war sie durch acht sieglose Spiele zu Saisonbeginn, „als wir uns finden mussten“, sagt Karli. Nun haben sie achtmal nicht verloren. „Der Trainer ist mit der Situation zu Saisonbeginn gut umgegangen“, sagt Karli, „er hat uns gut aufgebaut und stellt uns gut ein.“

Karli tippt seine Wurst in die Currysoße, guckt runter auf den Platz, auf dem der HSV kein Land sieht, und sagt: „Macht Spaß hier.“

Am 9. Mai kommt das Halbfinale im Pokal der Niedersächsischen Fußballverbands gegen den Oberligisten VfV Borussia Hildesheim. Gewinnt der SVW, stehen Neidhart und seine Jungs neben dem TSV Havelse im DFB-Pokal. Dann gibt’s Geld und dann müssen sie wieder Kopfrechnen. Für die 150.00 Euro, die sie für Sagarzazu blechen sollen, reicht’s nicht. Wollen sie auch nicht. Sture, tapfere Wilhelmshavener.ROGER REPPLINGER